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AFRIKA/2214: USA Sudan - für die Taten der anderen ... (SB)



Am Beispiel Sudans wird deutlich, wie nützlich es für die US-Regierung sein kann, eine "Terrorliste" für Staaten eingerichtet zu haben, auf die sie mehr Einfluß nehmen will. Der mit diesem Stigma verbundene ökonomische und politische "Druck" - ein anderes Wort für Erpressung - wirkt. So hat die heutige sudanesische Übergangsregierung zwar die Verantwortung für zwei Anschläge 1998 in Ostafrika von sich gewiesen, jedoch prinzipiell ihre Bereitschaft bekundet, einem Urteil des Obersten Gerichts der USA nachzukommen und Entschädigungszahlungen für Taten zu leisten, die unter dem von ihr gestürzten Diktator Omar al-Bashir begangen worden waren.

Am 7. August 1998 waren vor den US-Botschaften in Daressalam (Tansania) und Nairobi (Kenia) zwei Autobomben gezündet worden, in deren Folge 227 Menschen - darunter 212 aus Kenia, 12 aus den USA und 10 aus Tansania - ihr Leben verloren und mehrere tausend verletzt wurden. Dafür verantwortlich gemacht wurde die Organisation Al-Qaida, die damals von dem saudischen Bauunternehmer Osama bin Laden geleitet worden war. Dieser hatte auf Einladung der Regierung al-Bashirs eine Zeitlang in Sudan gelebt, war jedoch zum Zeitpunkt der Anschläge in Afghanistan untergekommen. Dennoch bringt das die sudanesische Regierung ins Spiel, gegen die sich die Klage von 567 Personen richtet, die laut einem auf Reuters gestützten Bericht in der "jungen Welt" eine Entschädigungssumme in Höhe von rund 4,3 Mrd. Dollar fordern. [1]

Vor neun Jahren hat ein U.S. Federal District Court in Washington Sudan zur Zahlung von sechs Mrd. Dollar Kompensation und knapp vier Mrd. Dollar Strafschadenersatz verurteilt. Das Gericht befand das Land schuldig, al-Qaida-Chef bin Laden technisch und finanziell unterstützt zu haben. Außerdem habe es al-Qaida-Mitglieder nach Kenia ausreisen und zugelassen, daß Waffen und Geld zu einer al-Qaida-Zelle in Kenia flossen.

Sudan hat das Urteil nicht angenommen. 2017 wurde die Klage von einem US-Berufungsgericht in Columbia abgewiesen, weil die Tat zu einem Zeitpunkt geschah, als noch gar nicht das Recht bestand, Staaten für "terroristische Taten" zur Verantwortung zu ziehen. Das war erst 2008 mit dem Foreign Sovereign Immunities Act rechtskräftig geworden. Vor kurzem hat jedoch das Oberste Gericht der USA das Urteil des Berufungsgerichts einkassiert - ein Schuft, wer Böses dabei denkt und vermutet, daß das höchste Gericht in den USA politischen Wünschen folgt. Das Gesetz soll auch rückwirkend gelten. [2]

Das Urteil kommt zu einem Zeitpunkt, der für Sudan kaum ungelegener sein könnte. Es ist erst ein Jahr her, daß es einer breiten Protestbewegung gelang, die Militärs auf ihre Seite zu ziehen und Omar al-Bashir zu stürzen. Die gesellschaftliche Lage ist seitdem keineswegs gefestigt, viele Forderungen der Protestierenden wurden nicht oder nur bedingt erfüllt. Auch wenn manche neue Gesichter in der Öffentlichkeit zu sehen sind, hat sich der alte Militärapparat, der schon unter Omar al-Bashir gedient hatte, in die neue Zeit gerettet.

Außerdem kam mit der Coronaviruspandemie das öffentliche und wirtschaftliche Leben zum Erliegen, und der Weltmarktpreis für Erdöl, des wichtigsten Exportartikels Sudans, befindet sich im Keller. Unter diesen Umständen gestalten sich die Verhandlungen zur Konsolidierung der Übergangsregierung und Vorbereitung auf Wahlen schwierig. Und jetzt soll die Regierung als Rechtsnachfolgerin einer Diktatur auch noch Entschädigungen in einer Höhe leisten, die den knappen Staatshaushalt deutlich belasten würde.

Das Entgegenkommen Sudans gründet in dem Versuch, Wohlverhalten zu zeigen, damit das Land endlich von der sogenannten Terrorliste der USA genommen wird. Die von Sudan angestrebte Normalität der Beziehungen sieht das Ende von US-Sanktionen und die Aufnahme von Krediten bei IWF und Weltbank vor. So hoch der Preis für die Rückkehr auf die Seite der vermeintlich Guten, die angeblich weder Terrorismus unterstützen noch staatlichen Terrorismus begehen, durch das Ableisten von Entschädigungen auch sein mag, er wird übertroffen von den Verlusten, die das Volk unter den Sanktionen dauerhaft erleidet. Somit beugt sich Sudan nicht dem Recht, sondern dem politischen Druck.

Würde es hingegen ausschließlich nach Recht in seiner idealisierten, nie erreichten Form und nicht nach dem letztlich in militärischer Gewalt begründeten Form gehen, könnte Sudan ebenfalls eine Liste von Staaten aufstellen, die den Terrorismus unterstützen oder begehen, und darin die USA aufführen. Schließlich hatte Washington jahrelang bewaffnete Kämpfer finanziell und mit Waffen unterstützt, die eine gewaltsame Abspaltung Südsudans anstrebten. [3]

Außerdem war nur knapp zwei Wochen nach den Bombenanschlägen auf die beiden US-Botschaften auf Befehl von US-Präsident Bill Clinton die hochmoderne Medikamentenfabrik al-Shifa am Rande der sudanesischen Hauptstadt Khartum von dreizehn Marschflugkörpern restlos zerstört worden - unter dem fadenscheinigen Vorwand, daß dort Chemiewaffen hergestellt würden. Als angeblicher Beweis gilt eine vom US-Geheimdienst CIA bereitgestellte Bodenprobe vom Fabrikgelände, die EMPTA enthielt, eine Vorläufersubstanz des Nervengases VX.

Bei dem nächtlichen Anschlag starb ein Wachmann, elf Personen wurden verletzt. Anstatt die Fabrik zu zerstören, hätten die Amerikaner einfach nur tagsüber an der Tür klingeln und fragen können, ob sie die Anlage besichtigen dürfen. Sicherlich hätte man ihnen alles gezeigt, so wie anderen westlichen Interessierten zuvor. Daß die in der Lesart der US-Regierung "geheime Chemiewaffenfabrik" nachts von lediglich einer einzigen Person bewacht worden war und nicht von Militärs gesichert wurde, wie von den USA behauptet, muß wohl ein besonders schlauer Trick des Betreibers zur Tarnung seiner finsteren Machenschaften gewesen sein ...

In den Trümmern der Fabrik wurde kein EMPTA gefunden, weil gar nicht erst danach gesucht wurde. Die USA hatten es abgelehnt, daß danach gesucht wurde. Sie werden wohl ihre Gründe dafür gehabt haben. Auch wurde jene belastende CIA-Probe nicht von unabhängiger Seite überprüft. Was blieb: Der Verlust von Medikamenten, die für Menschen weit über Sudan hinaus lebenswichtig waren, und Tierarzneimitteln. Letztere waren fester Bestandteil des Öl-gegen-Lebensmittelprogramms, dem damals Irak unterworfen worden war, in dem eine Maul-und-Klauenseuche grassierte. Die Zerstörung der Medikamentenfabrik hat in der Folge mehrere 10.000 Menschen das Leben gekostet, vermuten Fachleute wie Werner Daum, von 1996 bis 2000 deutscher Botschafter in Sudan. [4]

Es ist fraglich, ob die heutige Regierung Sudans die damals erlittenen Verluste jemals wird einklagen können, sieht sich doch Washington nach wie vor im Recht, daß US-Präsident Bill Clinton wenige Tage nach der von den Medien breit rezipierten Aussage seiner Praktikantin Monika Lewinsky vor der Grand Jury über ihre Affäre mit dem US-Präsidenten den Befehl zur Zerstörung Al-Shifas erteilte.

Die neue Regierung hat nicht nur zugesagt, Entschädigungen für die Angehörigen der Opfer der beiden Bombenanschläge zu leisten, sondern auch für die Angehörigen der am 12. Oktober 2000 auf dem US-Kriegsschiff USS "Cole" getöteten 17 Seeleute. Die "Cole" hatte zum Betanken den Hafen von Aden in Jemen angelaufen und war von einer Bombe, die von Al-Qaida-Mitgliedern mit einem Boot an seine Bordwand gelenkt worden war, schwer beschädigt worden. Eine Kompensationssumme in Höhe von 30 Millionen Dollar ist im Gespräch. [5]

1993 hatten die USA Sudan auf die Terrorliste gesetzt. Bereits zur Amtszeit von Präsident Barack Obama deuteten die USA an, das Land wegen seines Wohlverhaltens hiervon wieder herunterzunehmen, also zu einer Zeit, als Diktator al-Bashir noch fest im Sattel saß. Donald Trump signalisierte ebenfalls ein Ende des Embargos, nachdem Sudan neue Verbündete gesucht und gefunden hatte, nämlich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Koalitionäre, die seit Jahren den Jemen bekriegen. Sudan schickte seine Söldnertruppen auf die andere Seite des Roten Meeres. Das war natürlich kein Terrorismus.

Der Regierung Sudans wird seit Jahren eine Möhre vor die Nase gehalten, hinter der sie herlaufen darf, möglicherweise ohne sie jemals zu erreichen. Es sei denn, die USA sind an einer noch engeren Bindung des wegen seiner Lage am Roten Meer und als Schnittstelle zwischen dem arabischen und schwarzafrikanischen Raum geostrategisch bedeutenden Landes an ihre eigene politische und wirtschaftliche Hegemonialsphäre interessiert. Unter solchen Umständen könnte schon mal die eine oder Möhre verteilt werden.

Eine solche "Möhre" ist beispielsweise im Mai dieses Jahres Washingtons Anerkennung des altgedienten Diplomaten Noureldin Sati als Botschafter Sudans in den USA. [6] Wer fragt schon danach, ob die zunehmend wärmeren Gefühle, die man dort dem afrikanischen Land entgegenbringt, in dem geopolitischen Ansinnen gründen, den Rivalen China, dem bisherigen Hauptabnehmer sudanesischen Erdöls, Stück für Stück von den weltweiten Versorgungsketten abzuschneiden und niederzukonkurrieren.


Fußnoten:

[1] https://www.jungewelt.de/artikel/378660.sudan-soll-zahlen.html

[2] https://www.voanews.com/africa/analyst-sudan-has-no-cash-pay-damages-1998-embassy-bombings

[3] https://www.spiegel.de/politik/ausland/entfuehrtes-waffenschiff-diskreter-deal-fuer-einen-kleinen-krieg-a-733649.html

[4] jstor.org/stable/42762701

[5] https://www.afrikaverein.de/insight-africa/news/wiedergutmachung-der-sudan-entschaedigt-us-amerikanische-familien-mit-30-mio-us-dollar/

[6] https://www.voanews.com/usa/us-awaits-first-sudanese-ambassador-over-20-years

25. Mai 2020


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