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ASIEN/578: Obamas Probleme in Afghanistan nehmen rapide zu (SB)


Obamas Probleme in Afghanistan nehmen rapide zu

Verspielt Obama die in ihn gesteckten Hoffnungen am Hindukusch?


Seit Barack Obamas Amtsantritt als Präsident der Vereinigten Staaten am 20. Januar wird beiderseits des Potomac - in der Hauptstadt Washington und im gegenüberliegenden Arlingtoner Pentagon - an einer neuen Afghanistan-Strategie gearbeitet. Zwar hatte Obama die Präsidentenwahl mit dem Versprechen gewonnen, die US-Streitkräfte innerhalb von 16 Monaten aus dem Irak abzuziehen, aber er will gleichzeitig, um seine Eignung für den Posten des Befehlshabers der größten Armee der Welt zu beweisen, Härte in Afghanistan demonstrieren. Obama hatte George W. Bush vorgeworfen, den Kampf gegen Taliban und Al Kaida in Afghanistan zugunsten eines militärischen Abenteuers im Irak vernachlässigt zu haben. Deshalb will Amerikas neuer Hoffnungsträger am Hindukusch die Zahl seiner Soldaten von 30.000 auf rund 60.000 verdoppeln, das Land stabilisieren und die Männer von Mullah Omar und Osama Bin Laden bis nach Pakistan hinein verfolgen. Gut möglich, daß sich der neue demokratische Präsident in Afghanistan übernimmt, wie es sein republikanischer Vorgänger im Irak getan hat.

Seit zwei Jahren befinden sich in Afghanistan die Taliban auf dem Vormarsch. Sie kontrollieren inzwischen weite Teile des Landes, und selbst in der Hauptstadt Kabul leben ausländische Soldaten, Wachleute und Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen mit der Angst vor Überfällen oder Selbstmordanschlägen. Es scheint hauptsächlich zwei Gründe für das Wiedererstarken der Taliban zu geben. Erstens ist der nach dem Einmarsch westlicher Truppen im Oktober 2001 und dem Sturz der Taliban-Regierung wenige Wochen später versprochene "Wiederaufbau" Afghanistans weitestgehend ausgeblieben. Die meisten Menschen dort leben in extremer Armut. Mohnanbau und der Handel mit Opium stellen nach wie vor fast die einzige Möglichkeiten dar, das Überleben zu sichern. Zweitens haben die NATO-Streitkräfte durch Luftangriffe und Razzien, die in den letzten Jahren zahlreichen Zivilisten das Leben gekostet haben, das Vertrauen und den Respekt der afghanischen Bevölkerung verloren. Diese beiden Aspekte der Besatzung sind es, die immer mehr junge Afghanen zu den Waffen greifen lassen, um die fremdländischen Soldaten aus dem Land zu verjagen.

Auch in Pakistan treiben die häufigen Raketenangriffe, welche das Pentagon und die CIA im Nachbarland Afghanistans per Drohne auf mutmaßliche Unterschlupfe der militanten NATO-Gegner durchführen, die Menschen in die Arme der Taliban. Als am 23. Januar mit ausdrücklichem Einverständnis Obamas ein ebensolcher völkerrechtlich illegaler Raketenangriff auf ein Dorf in den Federally Administered Tribal Areas (FATA) erfolgte und 22 Menschen - darunter nicht wenige Kinder und Frauen - tötete, war die Enttäuschung in Pakistan über Amerikas neuen Präsidenten groß. Für die Kritik der pakistanischen Regierung ebenso wie die der afghanischen gegen solche kontraproduktiven Maßnahmen zeigt sich die Obama-Regierung genauso wie die frühere Bush-Administration taub. US-Presseberichte deuten darauf hin, daß Washington demnächst sogar seine bisherige Marionette in Kabul, Hamid Karsai, fallenlassen und gegen eine andere austauschen könnte, weil der afghanische Präsident in letzter Zeit lautstark gegen die unverhältnismäßige Gewaltanwendung der NATO-High-Tech-Krieger protestiert und inzwischen als unsicherer Kantonist gilt, was die bevorstehende Truppenaufstockung und die damit einhergehende Eskalation des Krieges betrifft.

Doch bevor Obama und seine Generäle ihre "neue" Strategie in Afghanistan umsetzen können, müssen sie zwei schwere Rückschläge verdauen. Am 2. Februar haben die Verbündeten der Taliban in Pakistan nach monatelangen Überfällen auf Lastwagenkonvois, die Nachschub für die westlichen Truppen in Afghanistan von der Hafenstadt Karatschi nach Kabul und Kandahar bringen, eine 30 Meter lange Eisenbrücke über eine Schlucht am Khyber-Paß in die Luft gesprengt. Damit fällt auf absehbare Zeit die wichtigste Nachschubroute für die NATO-Soldaten am Hindukusch aus. Man kann davon ausgehen, daß die pakistanischen Taliban dafür sorgen werden, daß die Reparaturarbeiten an der strategisch wichtigen Brücke zwischen Peshawar und der afghanischen Grenze nur schleppend vorankommen, wenn überhaupt. Ebenfalls am 2. Februar hat Kurmanbek Bakijew, der Präsident Kirgistans, auf einer Pressekonferenz in Moskau, wo er sich zu Beratungen mit seinem russischen Amtskollegen Dimitri Medwedew aufhielt, die Schließung des Militärflughafens Manas für die US-Streitkräfte bekanntgegeben. Bisher transportierte das Pentagon monatlich rund 15.000 Soldaten und 500 Tonnen Fracht für den Einsatz in Afghanistan über den kirgisischen Fliegerhorst.

Währenddessen verliert in Pakistan der Kampf dessen Armee gegen die paschtunischen Verbündeten der Taliban in der Grenzregion zu Afghanistan immer mehr an Unterstützung. Die meisten Pakistaner sehen nicht ein, warum in ihrem Land Tausende Soldaten, Milizionäre und Zivilisten ihre Leben verlieren und Hunderttausende vor den Kämpfen in Regionen wie Swat, Bajaur oder Nord- und Südwasiristan fliehen müssen, nur weil die US-Streitkräfte in Afghanistan die Taliban nicht bezwingen können. Wie die in Abu Dhabi erscheinende Tageszeitung The National am 5. Februar berichtete, fordern die politischen Parteien in Pakistans Nordwestfrontierprovinz (NWFP) inzwischen eine Beendigung der Militäroffensive in den Stammesgebieten und politische Verhandlungen mit den Aufständischen. In dem Bericht wurde Syed Ala ud Din, Parlamentsabgeordneter der Pakistan People's Party von Präsident Asif Ali Zardari, mit den Worten zitiert: "Die Militäroperation hat sich als nutzlos und kontraproduktiv erwiesen. Vor der Operation kontrollierten die Taliban 25 Prozent der Provinz Swat; nun kontrollieren sie 75 Prozent."

Inzwischen gibt es nicht wenige Militärexperten, die Obama vor dem Versuch warnen, in Afghanistan bzw. im Grenzgebiet Afghanistan-Pakistan eine militärische Lösung zu suchen, weil keine Macht der Welt den rund 40 Millionen Paschtunen einfach ihren Willen aufzwingen könne. Interessanterweise hat am 4. Februar George Friedman, Chef des angesehenen privaten Nachrichtendienstes Stategic Forecasting (Stratfor), in einem Gastkommentar für die New York Times dem neuen US-Präsidenten empfohlen, einen Deal mit den Taliban zu suchen, um den Krieg in Afghanistan so schnell wie möglich zu beenden, und künftig nur noch mit polizeilichen und geheimdienstlichen Mitteln den Kampf gegen Osama Bin Ladens Al Kaida zu forcieren. Alles andere sei sinnlos, koste zahlreiche Leben und enorme Summen Geld und destabilisiere die Nuklearmacht Pakistan, so Friedman. Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob Obama den weisen Rat befolgt, oder wie befürchtet, sich in Afghanistan ebenso verstrickt wie einst Lyndon Johnson in Vietnam.

6. Februar 2009