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ASIEN/580: USA fachen Bürgerkrieg in Pakistan an (SB)


USA fachen Bürgerkrieg in Pakistan an

Washingtons Afghanistan-Strategie destabilisiert Pakistan zusehends


In seinem jüngsten Buch "Pakistan" schildert der in Großbritannien lebende, linke Aktivist und Schriftsteller Tariq Ali ausführlich, wie die USA seit dem Abzug der Briten vom indischen Subkontinent in die pakistanische Politik eingemischt und über ihre Verbindungen zum Militär, zu Großgrundbesitzern und zur höheren Beamtenschaft das Land für Konfrontationen mit der Sowjetunion und Indien benutzt und das Aufkommen einer echten Volksdemokratie verhindert haben. [1] Unter Amerikas neuem Präsidenten Barack Obama dürfte die Einmischung Washingtons in die Angelegenheiten Pakistans eher zu- als abnehmen, ist doch Amerikas Hoffnungsträger entschlossen, den seit mehr als sieben Jahre andauernden Krieg der NATO in Afghanistan gegen die Taliban und Al Kaida nach Pakistan hineinzutragen. Die Folgen dieses Aktionismus könnten ein Auseinanderbrechen des pakistanischen Staates sein - was einige Pakistaner als das eigentliche Ziel Washingtons ansehen, das sich so des strategischen Problems der "islamischen Atombombe" entledigen will.

Seit zwei Jahren gehen die pakistanischen Streitkräfte auf Drängen der USA in den autonomen Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan, wo sie rein rechtlich eigentlich nichts zu suchen haben, gegen Stammesmilizionäre und militante Islamisten vor, die im Verdacht stehen, ihre paschtunischen Stammesverwandten von den afghanischen Taliban Unterschlupf zu gewähren und mit Nachschub an Kämpfern und Waffen zu unterstützen. Gleichzeitig werden regelmäßig mutmaßliche Taliban-Ziele in Pakistan mit Raketen, die von Drohnen aus abgefeuert werden, angegriffen. Hat diese gemeinsame Boden- und Luftoffensive in Pakistan der NATO in Afghanistan genutzt? Keineswegs. Seit zwei Jahren befinden sich dort die Taliban auf dem Vormarsch, während in Pakistan die Stammesgebiete immer mehr in Aufruhr geraten und der blutige Bürgerkrieg dort droht, sich mit Hunderten von Toten und Zehntausenden von Flüchtlingen auf andere Landesteile auszuweiten.

Angefangen hatte die aktuelle Krise im Juli 2007, als Pakistans damaliger Präsident, General Pervez Musharraf, auf Drängen der USA die von Islamisten besetzte Rote Moschee im Herzen Islamabads durch Spezialstreitkräfte erstürmen ließ. Vor allem der Tod Dutzender Schülerinnen eines auf dem Gelände der Moschee befindlichen Mädcheninternats hat viele Pakistaner empört und Musharraf in ihren Augen diskreditiert. Seit diesem tragischen Ereignis befinden sich Pakistans Islamisten, die sich Pakistanische Taliban nennen, praktisch im Aufstand. Bemühungen der neuen Regierung in Islamabad im letzten Jahr, einen Waffenstillstand mit Baitullah Mehsud, dem Anführer der Pakistanischen Taliban, und anderen Milizenführern zu vereinbaren, scheiterten letztlich am Veto der Regierung George W. Bushs, die in den Stammesgebieten die harte Hand Islamabads sehen wollte.

Am Resultat läßt sich die Kontraproduktivität dieser Politik, die bisher von Obama fortgesetzt wird, erkennen. In einem Interview, das der US-Fernsehsender CBS mit Pakistans Präsidenten Asif Ali Zardari für das Nachrichtenmagazin "60 Minutes" geführt hat und deren Abschrift bereits am 13. Februar veröffentlicht wurde, erklärte der Witwer Benazir Bhuttos, daß sich die Taliban in weiten Teilen seines Landes etabliert hätten und daß der pakistanische Staat um sein "Überleben" kämpfe. Bereits am 11. Februar hatte Hamid Mir in der pakistanischen Tageszeitung The News (Jang) von ernstzunehmenden Drohungen der Taliban, den Konflikt, der derzeit in der Region Swat tobt, in die nur 100 Kilometer davon entfernte Hauptstadt Islamabad zu tragen und dort Regierungsbeamte und andere Würdenträger umzubringen.

Pakistans Islamisten werfen der Regierung in Islamabad vor, auf Geheiß der USA gegen die eigenen Landsleute militärisch vorzugehen, nur weil die NATO in Afghanistan mit den Taliban nicht fertig wird. Viele einfache Pakistaner, die mit den Islamisten und deren strenger Auslegung der Lehre Mohammeds nichts am Hut haben, sehen es dennoch genauso. Hinzu kommt, daß alles, was die USA in letzter Zeit unternehmen, den Verdacht, daß sich die militärische und politische Führung Pakistans wie eine Marionettenregierung Washingtons verhält, bestärkt.

Vor wenigen Tagen befand sich Obamas Sondergesandter Richard Holbrooke zu Beratungen in Pakistan. Er führte Gespräche mit Regierungsvertretern in Islamabad, ranghohen Militärs in Rawalpindhi und besuchte per Hubschrauber die umkämpften Grenzregionen Mohmand und Bajaur. Bei seiner Ankunft in Islamabad hatte Holbrooke erklärt, statt Ratschläge zu erteilen oder Forderungen zu stellen, wolle er erstmal zuhören, um mit den pakistanischen Partnern eine Lösung der gemeinsamen Probleme finden zu können. Mit der Betonung auf Zuhören sollte der neue Stil der Obama-Regierung angedeutet werden. Leider scheint jedoch dieser mehr eine PR-Maßnahme als substantielle Abkehr vom Unilateralismus der Bush-Administration zu sein.

Wie Syed Saleem Shahzad am 13. Februar in der Asia Times Online unter der Überschrift "Taliban send a bloody warning" berichtete, soll es Holbrooke bei seinem Treffen am Tag davor mit Pakistans Oppositionsführer Nawaz Sharif von der Moslem-Liga darum gegangen sein, den Ex-Premierminister dazu zu bringen, eine landesweite, für März geplante Protestaktion gegen die Regierung und für die Wiedereinsetzung der von Musharraf Ende 2007 entlassenen Richter nicht zu unterstützen, weil diese sonst "destabilisierend" wirken könnte. Die negative Einstellung Holbrookes gegenüber der Anwaltsbewegung, die sich seit rund zwei Jahren energisch für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Pakistan einsetzt, spricht Bände für die Doppelzüngigkeit der USA, die sich sonst gern als eifrigster Verfechter der Menschenrechte präsentieren.

In Pakistan mußte sich Holbrooke allen Presseberichten zufolge viel Kritik an den US-Raketenangriffen in der Grenzregion zu Afghanistan anhören, die nicht nur eine krasse Mißachtung der pakistanischen Souveränität darstellen, sondern auch in den letzten Jahren zahlreiche Zivilisten das Leben gekostet haben. Seit Monaten drängt Islamabad auf eine Beendigung solcher Angriffe, nicht zuletzt weil sie die Menschen in die Arme der Taliban treiben. Noch am letzten Tag des Besuchs Holbrookes in Pakistan am 12. Februar hat Dianne Feinstein, demokratische Senatorin aus Kalifornien und Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats in Washington erstmals öffentlich enthüllt, daß die US-Drohnen, die derzeit Tod und Schrecken über die pakistanischen Grenzregionen bringen, nicht, wie bisher angenommen, von Afghanistan kommen, sondern von einem Militärstützpunkt in Pakistan selbst starten. Die Bemerkung von Obamas Parteikollegin, die damit die eigene Verwunderung über die aus ihrer Sicht überzogenen Proteste der Pakistaner gegen die Raketenangriffe zu Protokoll geben wollte, haben in Pakistan Empörung ausgelöst und die Regierung in Islamabad in große innenpolitische Schwierigkeiten gebracht.

Bisher hieß es, die eingesetzten, mit Hellfire-Raketen bestückten Predator-Drohnen kämen aus Afghanistan. Stimmten die Angaben Feinsteins, erschütterte das die Glaubwürdigkeit der pakistanischen Regierung, denn es bedeutete entweder, daß sie von den USA übergangen worden wäre und nicht wüßte, was auf dem eigenen Staatsterritorium passierte, oder, daß sie die Genehmigung für die Nutzung eines pakistanischen Luftwaffenstützpunktes für die Drohnenflüge und die Raketenangriffe erteilt hätte und sich mit lautstarken Protesten als unschuldig aufspielte. Wohlwissend um den schweren diplomatischen Schaden, den Feinstein mit ihrer Bemerkung - ob mit Absicht oder nicht, sei dahingestellt - angerichtet hatte, behauptete am selben Tag ihr Sprecher Philip LaVelle, die Senatorin habe sich lediglich auf Angaben eines Artikels der Washington Post vom März 2008 bezogen. Wie der Washingtoner Korrespondent Greg Miller in der Los Angeles Times jedoch am 13. Februar feststellte, hatte Feinstein, die auf täglicher Basis Einblick in Geheimdienstmaterial der allerhöchsten Stufe erhält, selbst keinen Zeitungsartikel erwähnt. Während die CIA die Sache nicht kommentieren wollte, haben gegenüber Miller "ehemalige US-Geheimdienstvertreter bestätigt, daß Feinsteins Darstellung zutrifft".

Noch während die Diskussion um die Äußerung Feinsteins die pakistanischen Medien beherrschte, traf am 14. Februar die Meldung von dem jüngsten US-Raketenangriff auf ein Ziel in Pakistan ein - der zweite seit der Amtsübernahme durch Obama am 20. Januar. Bei dem Angriff auf drei Gehöfte in Südwasiristan nahe der Grenze zu Afghanistan sollen 30 Menschen, die meisten von ihnen Zivilisten, getötet worden sein. Wie die New York Times am 15. Februar berichtete, scheint der Angriff dem bereits erwähnten Milizenchef Baitullah Mehsud gegolten zu haben. Sollte dies stimmen, käme die Operation dem ersten direkten Eingriff der USA in die Kämpfe auf der pakistanischen Seite der Grenze gleich - was die Gefahr einer Ausweitung des Bürgerkrieges auf das ganze Land in sich bürge.

Wohlwissend um die instabile Lage Pakistans, hat am 15. Februar die Regierung in Islamabad der Einführung der Scharia in Malakand, einem Teil der autonomen Nordwestfrontierprovinz (NWFP) zugestimmt. Indem man auf Forderungen der Islamisten eingeht, hofft Islamabad die meisten von ihnen beschwichtigen und die Militanten unter den Stammesangehörigen isolieren zu können. Nicht wenige Beobachter sehen die Einführung der Scharia in Malakand als schwere Niederlage Islamabads an, welche die Aufständischen nur weiter ermutigen und die ohnehin nicht besonders ausgeprägte Kampfmoral in den pakistanischen Streitkräften, die viele Islamisten in ihren Reihen haben, sinken lassen wird. Durch die Ausweitung des "Antiterrorkrieges" auf Pakistan dürften dort die Zentrifugalkräfte zusätzlichen Schwung erhalten, während die staatliche Einheit weiter geschwächt wird.

16. Februar 2009

1. Siehe hierzu im SCHATTENBLICK unter BUCH\SACHBUCH:
REZENSION/463: Tariq Ali - Pakistan