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ASIEN/595: Übernehmen sich die USA mit ihrer Af-Pak-Strategie? (SB)


Übernehmen sich die USA mit ihrer Af-Pak-Strategie?

Kurs der Obama-Regierung droht Pakistan vollends zu destabilisieren


An diesem 6. Mai treffen sich der afghanische Präsident Hamid Karsai und sein pakistanischer Amtskollegen Ali Asif Zardari mit Barack Obama im Weißen Haus zu einer Krisensitzung. Die drei Staatsoberhäupter wollen beraten, wie die Taliban, die sich hauptsächlich aus der paschtunischen Bevölkerung auf beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Grenze rekrutieren und von dieser auch unterstützt werden, bekämpft werden sollen. Das trilaterale Gifpeltreffen am Amtsitz des amerikanischen Präsidenten findet unter einem ganz schlechten Stern statt. Vor zwei Tagen soll die US-Luftwaffe bei einem Bombenangriff auf Aufständische im Bezirk Bala Baluk in der westafghanischen Provinz Farah, nahe der Grenze zum Iran, bis zu 150 Dorfbewohner, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, getötet haben. Während dessen befinden sich bis zu einer halben Million Bewohner der Nord-West-Frontierprovinz (NWFP) Pakistans auf der Fluch vor den aufgeflammten Kämpfen um das Swat-Tal und darüber hinaus zwischen den regulären, pakistanischen Streitkräften und militanten Islamisten.

Seit Obama beim Amtsantritt Ende Januar die Bezwingung der afghanischen Taliban zum obersten Ziel seiner Außen- und Sicherheitspolitik erklärt hat, selbst wenn dies ein militärisches Vorgehen der USA gegen Ziele in Pakistan erfordern sollte, kommt es am Kriegsschauplatz "Af-Pak" - so der neue Sammelbegriff des Pentagons - zu einer furchterregenden Eskalation. Washington stockt derzeit seine Truppen in Afghanistan um weitere 20.000 Mann auf, um den Vormarsch der Taliban - die weite Teile des Südens und des Ostens sowie inzwischen fast alle Ausfallstraßen um die Hauptstadt Kabul kontrollieren - zu stoppen. Daß dies gelingen wird, ist jedoch sehr zu bezweifeln. Gleichzeitig forciert die CIA ihre Drohenangriffe auf Ziele in Pakistan, während Washington die Regierung in Islamabad praktisch zu einer Bodenoffensive gegen die Islamisten im eigenen Land zwingt, welche dieses in einen regelrechten Bürgerkrieg stürzen könnte. Die tagelangen Schießereien in der von 14 Millionen Menschen bewohnten Metropole Karatschi, Hauptstadt der Provinz Sindh, die Ende April rund 34 Menschen das Leben kosteten, sowie die Proteste in der Provinz Belutschistan gegen die Selbstherrlichkeit der Zentralregierung in Islamabad gehören zu den deutlichsten Auflösungserscheinungen.

Die aktuelle Krise in Pakistan haben die Amerikaner sich selbst zu verdanken. Wie man lange Zeit vermutet und John Bolton, einst UN-Botschafter der Regierung George W. Bushs, in einem am 1. Mai erschienenen Gastkommentar für das Wall Street Journal bestätigt hat, waren es die Amerikaner, die 2007 und 2008 Präsident Pervez Musharraf aus dem Amt gedrängt haben, um diesen durch eine "demokratische" Regierung ersetzen zu lassen, welche dem Willen Washingtons gefügiger sein und die notfalls mit Gewalt die Verwendung pakistanischen Territoriums als Rückzugsgebiet der afghanischen Taliban unterbinden sollte. Der Ex-Fallschirmjägerkommandeur Musharraf, der vom militärischen Handwerk nicht wenig verstand, hatte dies bereits in Ansätzen versucht, festgestellt, daß es aussichtslos war, und deshalb 2006 einen Waffenstillstand mit den paschtunischen Stammeskriegern in der Grenzprovinz Nordwasiristan vereinbart.

Nach der Machtübernahme durch die neugewählte Regierung im letzten Frühjahr wird diese seitens der USA kontinuierlich zu einer Konfrontationshaltung gegenüber den einheimischen Dschihadisten gedrängt. Präsident Zardari, der eingewilligt hat, ist deshalb bei der eigenen Bevölkerung, die ihn als Marionette Washingtons betrachtet, sehr unbeliebt. Der ehemalige Premierminister Nawaz Sharif, der vor einem solchen Konfrontationskurs stets gewarnt hat, ist nicht umsonst derzeit der populärste Politiker Pakistans. Lange Zeit behandelten die USA den Vorsitzenden der Pakistanischen Moslem-Liga (Nawaz) (PML-N) fast als einen Aussätzigen, weil er derjenige ist, der als Premierminister 1998 die ersten Tests der pakistanischen Atombombe angeordnet hat und angeblich zu viele Sympathien für die Sache der Islamisten hegt. Wegen der desaströsen Lage in Pakistan versucht Washington laut Presseberichten - unter anderem der Asia Times Online vom 5. Mai - Zardari dazu zu bringen, seinen Erzfeind Sharif zum Premierminister zu ernennen, um somit eine große Koalition zwischen der PML-N und der Pakistan People's Party (PPP) des Präsidenten zustandezubringen.

Für den Fall, daß dies nicht gelingt, spielt man auch in Washington offenbar mit dem Gedanken an die erneute Einführung einer Militärdiktatur in Islamabad unter der Leitung von Musharrafs Nachfolger als Generalstabschef, Ashfak Kiyani, um Pakistan zu "stabilisieren". Zu diesem drastischen Schritt hat Bolton in seinem bereits erwähnten WSJ-Gastbeitrag geraten. Wie die britische Sonntagszeitung Observer am 3. Mai berichtete, soll General David Petraeus, der für den Nahen Osten und Zentralasien zuständige CENTCOM-Oberbefehshaber, Ende April Vertretern des Obama-Kabinetts gesagt haben, daß die Regierung von Präsident Zardari und dessen Parteikollegen und Premierminister Yousef Raza Gilani lediglich "zwei Wochen" hätten, um den Aufstand der Tehreek-e Taliban Pakistan (TTP) niederzuschlagen, ansonst drohe dem pakistanischen Staat der "Zusammenbruch".

Offenbar geht in Washington die Angst um, daß in Pakistan eine prä-revolutionäre Situation ähnlich der vor dem Sturz des Schahs 1979 im Iran vorherrscht. Dafür sprechen die jüngsten Äußerungen von Außenministerin Hillary Clinton und von Richard Holbrooke, Obamas Sonderberater zum Thema "Af-Pak", hinsichtlich ihrer Sorgen um die Sicherheit des pakistanischen Atomwaffenarsenals. Wie Jane Perlez und Pir Zubair Shah in einem aufschlußreichen Artikel schrieben, der am 16. April in der New York Times erschienen ist, führen die Taliban im Swat-Tal quasi eine "Klassenaufstand" an, der sich "aus der großen Kluft zwischen einer kleinen Gruppe wohlhabender Großgrundbesitzer und ihren landlosen Pächtern" speist. Angesichts der bitteren Armut und der himmelschreienden Korruption in Pakistan bedürfte es nur eines Funkens, um den Aufstand im Swat-Tal zu einer landesweiten Revolte werden zu lassen.

Der Aktionismus der außenpolitischen Elite in Washington und ihr ständiger Drang, sich in Ländern einzumischen, wo dies überhaupt nicht erwünscht ist, könnte diese Lunte liefern. Dies befürchtet beispielsweise Michael Scheuer. In einen Artikel, der am 6. Mai bei Antiwar.com unter der Überschrift "Obama's Afghan-Ignorant Policy Guide" erschienen ist, hat der ehemalige Leiter der CIA-Abteilung zur Bekämpfung des Al-Kaida-"Netzwerkes" kein gutes Haar an der neuen, unter der Leitung von Bruce Riedel erstellten Aufstandsbekämpfungstrategie des Weißen Hauses für Afghanistan und Pakistan gelassen. Scheuer sagt bei Fortsetzung der militärischen Besetzung Afghanistans eine drastische Verschlechterung der militärischen Lage der USA gegenüber den Taliban einschließlich katastrophaler Auswirkungen für Pakistan voraus.

6. Mai 2009