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ASIEN/718: Rußland und Japan entzweit die Frage der Kurileninseln (SB)


Rußland und Japan entzweit die Frage der Kurileninseln

Medwedew und Kan setzen gefährliche nationalistische Kräfte frei


Durch den Aufstieg Chinas zur Supermacht - das Land hat in diesen Tagen Japan auf den zweiten Platz der größten Volkswirtschaften der Welt verwiesen und könnte die USA innerhalb der nächsten zehn Jahre eingeholt haben - gewinnt Ostasien an geopolitischer Bedeutung. Dort prallen die wirtschaftlichen und militärischen Interessen der USA, Chinas, Rußlands und Japans aufeinander. Gleichzeitig zeichnet sich die Region durch mehrere politische Minenfelder aus, die seit der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht geräumt wurden und von denen eine permanente Konflikt- und Kriegsgefahr ausgeht. Hierzu gehören die unterschiedlichen Positionen Chinas und der USA in der Taiwan-Frage, die Konfrontation zwischen Nord- und Südkorea, der Kampf Chinas und Japans um die Ausbeutung der Öl- und Gasreserven des Ostchinesischen Meers und die Frage der völkerrechtlichen Zugehörigkeit der südlichen Kurileninseln, welche die Beziehungen zwischen Moskau und Tokio belastet.

Die kaum besiedelte, vulkanische Inselgruppe der Kurilen erstreckt sich zwischen Japans nördlicher Insel Hokkaido und der russischen Halbinsel Kamtschatka. Bis zum Zweiten Weltkrieg gehörte die ganze Kurilen-Inselkette einschließlich der Südspitze Kamtschatkas zu Japan. Unmittelbar nach der Kapitulation Japans im August 1945 hat die Rote Armee in einer Art Blitzoperation das ganze Gebiet erobert. Japan hat die Besatzung niemals anerkannt und fordert bis heute die Rückgabe der vier südlichen Inseln Iturup, Shikotan, Habomai und Kunashiri, seiner sogenannten "Nordterritorien". Nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 hat Rußland Bewegung im Streit signalisiert, als Kompromißlösung die Rückgabe der südlicheren beiden der vier Inseln in Aussicht gestellt und die Bildung einer Historikerkommission angeregt. Auf das Angebot ist Japan nicht eingegangen. Tokio verweist auf die große Nähe der vier Inseln zu Hokkaido und ihre lange Besiedlung durch die Volksgruppe der Ainu und hält an seiner Grundforderung fest.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, daß die Japaner sehr heftig reagierten, als im vergangenen November Dmitri Medwedew völlig unangekündigt als erster russischer Präsident Kunashiri besuchte und auf Twitter von der Schönheit jenes "Teils Rußlands" schwärmte. Aus Protest wurde der japanische Botschafter vorübergehend aus Moskau abgezogen. In der Zwischenzeit haben die südlichen Kurilen Besuch von weiteren hohen Gästen aus der russischen Hauptstadt, darunter am 10. Februar Verteidigungsminister Anatoli Serdschukow, erhalten. Der Besuch Serdschukows fiel mit der Bekanntgabe neuer Pläne des Kremls zusammen, im Rahmen eines wirtschaftlichen Aufbauprogramms für Ostsibirien und die Region um Wladiwostok die pazifischen Streitkräfte Rußlands zu modernisieren. Zu diesen Plänen gehören Strukturhilfen für die Südkurilen, der Ausbau der Verteidigungsanlagen dort und die Aufnahme zweier neuer Kriegsschiffe vom Typ Mistral aus Frankreich in Rußlands Pazifikflotte. In diesem Zusammenhang hat Medwedew von den Südkurilen als "unveräußerlichen Teil der russischen Föderation" gesprochen.

Der Vorstoß Moskaus hat den Träumen Tokios von einer Rückgabe der "Nordterritorien" einen mächtigen Dämpfer versetzt. Um so energischer versuchen die Japaner nun, ihren Anspruch geltend zu machen. In den letzten Tagen ist es zu Protesten japanischer Nationalisten vor der russischen Botschaft in Tokio gekommen. Dort hat man aus den Kreisen der Demonstranten einen Brief mit einer Gewehrpatrone erhalten. In einer Rede vor früheren Bewohnern der Inseln hat Japans Premierminister Naoto Kan den Besuch Medwedews auf Kunashiri als eine "unverzeihliche Schandtat" bezeichnet. In Rußland hat man wenig Verständnis für die Unmutsäußerungen der Japaner gezeigt. Außenminister Sergej Lawrow hat Protest gegen die Verbrennung der russischen Staatsflagge bei der Demonstration vor der Botschaft eingelegt und Premierminister Kan wegen dessen "undiplomatischer" Sprache kritisiert.

Am 12. und am 13. Februar führte Japans Außenminister Seiji Maehara in Moskau Krisengespräche, welche den Streit entschärfen sollten, jedoch die Unversöhnlichkeit der Positionen beider Staaten deutlicher denn je gemacht haben. Am ersten Tag des Staatsbesuchs hat Medwedews Stabschef Sergei Narischkin laut RIA Novosti gegenüber Maehara beklagt, die Überreaktionen Tokios auf den Besuch Medwedews auf Kunashiri hätten "zu einer Situation geführt, wo weitere Diskussionen der territorialen Frage an Bedeutung" verlören. Narischkin unterstrich Rußlands Bereitschaft zu einem Friedensabkommen mit Japan - was durch den Streit um die Südkurilen seit Jahrzehnten blockiert wird -, erklärte aber, die Gespräche darüber müßten "ohne Vorbedingungen und historische Rückbezüge" geführt werden. Als sein Amtskollege Lawrow bekanntgab, daß Rußland japanische, südkoreanische und chinesische Investoren auf die Südkurilen locken wolle, wurde es Maehara zuviel. Er erklärte die Inseln zu "ureigenen Territorien Japans" und lehnte Investitionen aus einem "Drittland" dort ab, weil sie "die Situation verkomplizieren" würden.

Am zweiten Tag rangen sich Maehara, Lawrow und Narischkin immerhin zu einer Erklärung durch, derzufolge Japan und Rußland ihre Beziehungen wieder verbessern, die wirtschaftliche Zusammenarbeit vorantreiben und mit einem völkerrechtlichen Abkommen einen Schlußstrich unter den Zweiten Weltkrieg ziehen wollten. Letzteres setzt natürlich eine Einigung in der Frage der Südkurilen voraus. Doch solange die Führung eines jeden Staates die nationalistische Karte spielt - Kan und Maehara wegen der niedrigen Zustimmungsrate ihrer Regierung und Medwedew wegen der russischen Unterhauswahl Ende diesen Jahres und der Präsidentenwahl 2012 -, ist eine gütliche Einigung in dieser schwierigen Territorialfrage nicht in Sicht.

15. Februar 2011