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ASIEN/738: Kurs der Obama-Regierung in Afghanistan unklar (SB)


Kurs der Obama-Regierung in Afghanistan unklar

Termin für Beginn des Truppenabzugs bringt die USA in Entscheidungsnot


In Juli 2011 soll der von Präsident Barack Obama Ende 2009 vorgegebene Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan beginnen. Damals hatten der Verteidigungsminister Robert Gates, der CENTCOM-Chef General David Petraeus und der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, Admiral Michael Mullen, Obama erfolgreich zu einer Aufstockung der Zahl der US-Soldaten auf mehr als 100.000 mit dem Versprechen gedrängt, innerhalb der darauf folgenden eineinhalb Jahre die Taliban dermaßen in die Knie gezwungen zu haben, daß Washington Mitte 2011 den Sieg verkünden und mit dem großen Truppenabzug beginnen könne. Der Plan war für Obama wichtig, will doch dieser im November 2012 zu einer zweiten Amtszeit wiedergewählt werden und zu diesem Zweck das Thema Afghanistan erledigt haben. Auch wenn der Präsident an der Ende 2001 im Weißen Haus geschlossenen Vereinbarung festhalten möchte, deutet alles darauf hin, daß ihm das eigene Militär aus übergeordneten geopolitischen Interessen einen Strich durch die Rechnung machen will.

Man braucht sich nur die unterschiedlichen Aussagen zu vergegenwärtigen, die Obama und Gates am 7. Juni gemacht haben. Im Fersehinterview erklärte der Präsident: "Nachdem wir Osama Bin Laden getötet, Al Kaida in die Flucht geschlagen und den größten Teil von Afghanistan stabilisiert haben, so daß die Taliban nicht wieder die Macht übernehmen können ... müssen wir erkennen, daß wir ein großes Stück unserer Mission erfüllt haben und daß die Zeit gekommen ist, daß die Afghanen mehr Verantwortung übernehmen." Mit diesen Worten hat der Präsident deutlich zu erkennen geben, daß er einen raschen Abbau der US-Truppenpräsenz am Hindukusch favorisiert und dem Rat seines Vizes Joseph Biden, den "Antiterrorkrieg" beiderseits der afghanisch-pakistanischen Grenze hauptsächlich mittels des Einsatzes von Spezialstreitkräften und Hellfire-Raketen der CIA zu führen, folgen möchte.

Im Gegensatz dazu gab Gates, der Ende Juni in Rente geht, bei seinem zwölften und letzten Besuch in der afghanischen Hauptstadt Kabul Durchhalteparolen zum besten. Vor dem Abflug zum zweitägigen Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel erklärte der Veteran des Iran-Contra-Skandals und ehemalige CIA-Chef vor amerikanischen und afghanischen Offizieren: "Ich verlasse Afghanistan heute in dem Glauben, daß wir, wenn wir weiterhin den Druck aufrechterhalten, dem Feind einen entscheidenden Schlag versetzen und die Wende in diesem Konflikt herbeiführen werden können." Nach fast zehn Jahren Krieg immer noch Licht am Ende des Tunnels erblicken zu wollen spricht Bände über die Aussichtslosigkeit des militärischen Unterfangens der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan. Nichtsdestotrotz gilt Gates zusammen mit Petraeus als Verfechter eines minimalen Truppenabzugs, um die wenigen taktischen Gewinne der ausländischen Streitkräfte in den letzten 18 Monaten schwerster Aufstandsbekämpfung "nicht zu verspielen".

Anfang Juli wechselt Petraeus vom ISAF-Oberbefehlshaber zum CIA-Chef und tritt damit die Nachfolge von Leon Panetta an, der seinerseits Gates im Pentagon ersetzen wird. Trotz einer gewissen Kontinuität in Obamas Kriegskabinett scheinen die Hardliner langsam an Unterstützung für ihren Kurs zu verlieren. Presseberichten zufolge führen Vertreter der NATO und der Taliban, deren Überfälle und Anschläge überall in Afghanistan zunehmen, bereits Vorgespräche über eventuelle Friedensverhandlungen. Um die Versöhnung in Afghanistan voranzutreiben, hat die Regierung Hamid Karsais in Kabul beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bereits die Streichung der Namen von rund 50 Taliban-Kommandeuren von der "Terroristen"-Liste nach Resolution 1267 beantragt.

Gleichzeitig regt sich im US-Kongreß Widerstand gegen die enormen Kosten des Militärengagements in Afghanistan - schätzungsweise 10 Milliarden Dollar im Monat. Am 8. Juni sorgte auf dem Kapitol in Washington die Veröffentlichung eines Berichts des außenpolitischen Ausschusses des Senats über die Verschwendung von Aufbaugeldern in Afghanistan für eine hitzige Debatte. In dem Bericht hieß es, die Wiederaufbauprojekte des Westens seien zu teuer und dem Entwicklungsstand Afghanistans nicht angemessen. Die ausländischen Armeen und Nicht-Regierungsorganisationen in Afghanistan hätten um sich herum eine aufgeblähte Besatzungswirtschaft geschaffen, die nicht nur verschwenderisch, sondern langfristig unhaltbar sei und nach dem Truppenabzug in sich kollabieren werde.

Doch gerade diese Wirtschaft, welche sich die USA in Afghanistan nicht mehr leisten können, ist es, an die sich Petraeus und die Hardliner klammern, wohl wissend, daß Afghanistan, sobald der Geldhahn zugedreht wird, genauso schnell wieder an die Taliban zurückfallen könnte, wie Südvietnam 1975, nach dem Abzug der letzten US-Soldaten, von den Truppen des Nordens eingenommen wurde. Ähnliche chaotische Bilder wie damals von der Räumung Saigons wollen die Amerikaner auf alle Fälle in Afghanistan vermeiden. Deswegen halten sich die im Senat diskutierten Truppenabzugsszenarien zwischen 15.000 Mann - so der Demokrat Carl Levin - und 3000 Mann - so der Republikaner John McCain - bis Ende dieses Jahres zunächst in Grenzen. Um schneller Soldaten aus Afghanistan abziehen und die Kosten des ganzen Engagements eindämmen zu können, müssen die Amerikaner irgendeine Art von Deal mit den Taliban erzielen. Wie dieser jedoch aussehen könnte, ist unklar, denn während Mullah Muhammed Omar und Konsorten an ihrer Forderung nach Abzug aller ausländischen Streitkräfte festhalten, wollen die USA eine langfristige Militärpräsenz im Lande behalten. Generalleutnant William Caldwell, der für die Ausbildung der afghanischen Armee zuständig ist, erklärte am 6. Juni auf einer Tagung beim Brookings Institute, diese Aufgabe werde man vor 2016 oder 2017 nicht erledigt haben.

9. Juni 2011