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ASIEN/745: Rabbani-Anschlag demonstriert Stärke der Taliban (SB)


Rabbani-Anschlag demonstriert Stärke der Taliban

Afghanischer "Friedensprozeß" eine Totgeburt?


Mit der spektakulären Ermordung des früheren afghanischen Präsidenten Burhanuddin Rabbani in seiner Wohnung im schwerbewachten Diplomatenviertel Kabuls haben die Taliban und die mit ihnen verbündeten Gegner der NATO-Militärpräsenz in Afghanistan eindrucksvoll gezeigt, wer am Hindukusch das Heft des Handelns in der Hand hält. Der Anschlag erfolgte zur gleichen Zeit, als sich Afghanistans Präsident Hamid Karsai am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York mit seinem amerikanischen Amtskollegen Barack Obama traf, und ließ deren Hoffnungen auf eine Beendigung des Krieges zu den Bedingungen Washingtons und Kabuls von einem Moment zum anderen wie eine Seifenblase zerplatzen. Nach der Unterredung mit Obama und dem obligatorischen Auftritt vor der Presse, bei dem beide Männer ihr Bedauern über den gewaltsamen Tod Rabbanis zum Ausdruck brachten und zugleich ihren Durchhaltewillen bekundeten, flog Karsai, entgegen ursprünglicher Pläne, nach Kabul zu einem Krisentreffen mit seinem Kabinett zurück.

Das Attentat auf Rabbani stellt lediglich den jüngsten militärischen Erfolg der Gegner der ausländischen Truppenpräsenz in Afghanistan dar. Der Mordanschlag geschah genau eine Woche, nachdem eine schwerbewaffnete Gruppe Aufständischer in der afghanischen Hauptstadt mehrere Bombenanschläge durchführte, ein im Bau befindliches Hochhaus im Diplomatenviertel besetzte, von dort aus Raketen auf die amerikanische und britische Botschaft abfeuerte und sich bis zu ihrer Ausschaltung ein 20stündiges Feuergefecht mit den Sicherheitskräften lieferte. Bei dem Überfall starben neben den zehn Mitgliedern des Todeskommandos 14 weitere Menschen. Am 10. September hatte ein Selbstmordattentäter mit einer Lastwagenbombe einen US-Militärstützpunkt in der Provinz Wardak angegriffen und der NATO so die höchsten Verluste eines Tages - 89 Verletzte - zugefügt. Am 8. August hatten die Taliban ebenfalls in Wardak einen NATO-Transporthubschrauber abgeschossen und dabei 30 US-Militärs, die meisten von ihnen Angehörige der Spezialstreitkräfte, getötet. Das war die höchste Anzahl von Gefallenen, welche die US-Streitkräfte seit Beginn des Krieges im Oktober 2001 an einem Tag beklagen mußten.

Der 71jährige Tadschike Rabbani ist nun das prominenteste Opfer der neuen Taktik der Taliban, ranghohe Vertreter der mit der NATO zusammenarbeitenden Behörden Afghanistans auf der Bundes- und Provinzebene mittels Selbstmordanschlägen und Überfällen zu liquidieren. Am 10. März hatten sie General Abdul Rahman Sayedkhili, den Polizeichef der Provinz Kundus, am 15. April Kandahars Polizeichef Khan Mohammed Mudschahed, am 28. Mai General Mohammed Daud Daud, Gouverneur der nördlichen Provinz Takhar, am 12. Juli Karsais Halbbruder und Kandahars wichtigsten Strippenzieher, Ahmed Wali Karsai, am 17. Juli Jan Muhammed Khan, den ehemaligen Gouverneur der Provinz Uruzgan und am 27. Juli Ghulam Haider Hamidi, den Bürgermeister Kandahars, getötet. Damit geben die Taliban zu erkennen, daß sich jeder Kollaborateur in Lebensgefahr befindet.

Im vergangenen Oktober hatte Karsai Rabbani zum ersten Vorsitzenden eines Hohen Friedensrats (High Peace Council - HPC) ernannt und damit mit der Auslotung von Möglichkeiten zur Beendigung des Afghanistankrieges beauftragt. In dieser Funktion war der ehemalige Mudschaheddinkommandeur und Veteran des Krieges gegen die Streitkräfte der Sowjetunion, der von 1992 bis zur Eroberung Kabuls durch die Taliban 1996 afghanischer Präsident und danach Anführer der sogenannten Nordallianz war, extra aus Dubai nach Kabul zurückgeflogen, um zwei Unterhändler der Taliban in seiner Wohnung zu empfangen. Einer der Gesandten trug eine Bombe bei sich und zündete sie im Moment der Begrüßung. Durch die Wucht der schweren Explosion wurden beide Männer sowie vier Leibwächter Rabbanis auf der Stelle getötet. Der zweite Taliban-Vertreter liegt derzeit schwer verletzt in einem Kabuler Krankenhaus auf der Intensivstation. Ebenfalls schwer verletzt wurde Masoom Stanekzai, ein Vertrauter Karsais, der die Taliban-Männer zur Wohnung Rabbanis begleitete und dafür gesorgt haben soll, daß diese beim Betreten des Anwesens nicht auf Waffen oder Sprengstoff durchsucht wurden. Ob Stanekzai dabei einfach ein schwerer Fehler unterlaufen ist oder ob er wußte, was er damit tat, ist derzeit unklar und dürfte zu den Hauptfragen der polizeilichen Ermittlungen gehören.

Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters hat am 21. September Taliban-Sprecher Zabihullah Mudschahid telefonisch und von einem unbekannten Ort aus im Namen des Islamischen Emirates Afghanistan die Verantwortung für den Anschlag übernommen. Laut Mudschahid hatten sich die Taliban auf die Gespräche mit Rabbani lediglich eingelassen, um den HPC-Vorsitzenden umbringen zu können. Er gab die Namen der beiden Attentäter mit Mohammed Masoom und Wahid Yar an und bezeichnete diese als "redegewandte und gut ausgebildete" Kämpfer. "Beide trafen Rabbani häufig in seiner Kabuler Wohnung und haben dadurch sein Vertrauen und das seiner Wachleute gewonnen. Sie stellten Rabbani in Aussicht, sie würden bald ranghohe Mitglieder der Talibanführung an den Verhandlungstisch bringen", so Mudschahid. In einem Bericht der New York Times vom 21. September heißt es, Masoom, der seit Tagen in Kabul in einem Gästehaus der Regierung residierte, hätte Stanekzai wissen lassen, er habe eine wichtige Botschaft von der Quetta-Shura, will heißen von der obersten Taliban-Führung um Mullah Mohammed Omar, erhalten, die er Rabbani unbedingt übermitteln sollte. Offenbar war dies nur eine Tarngeschichte. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Mudschahid sind weitere Anschläge gegen "solche Leute" wie Rabbani geplant.

In einem Artikel der Asia Times Online vom 21. September mit dem Titel "Taliban strike at peace process" heißt es unter Berufung auf den afghanischen Politikanalytiker Waheed Mozhdah, vor seinem Tod wollte Rabbani als HPC-Vorsitzenden zurücktreten, da er keinen Friedenswillen seitens der Taliban erkennen konnte und die laufenden Vorgespräche auf Friedensverhandlungen für sinnlos hielt. Der mangelnde Fortschritt könnte auch andere Gründe gehabt haben. Bislang lassen die USA nicht erkennen, daß sie auf die Kernforderung der Taliban - Abzug sämtlicher ausländischer Streitkräfte aus Afghanistan - einzugehen bereit sind. Hinzu kommt, daß Karsai mit der Ernennung Rabbanis sozusagen zum Friedensbotschafter keine glückliche Wahl getroffen hatte, sahen doch die Taliban in ihm jemanden, dessen Milizionäre von der Jamiat-i-Islami in den neunziger Jahren schwere Kriegsverbrechen und Greueltaten auf Kosten der Volksgruppe der Paschtunen verübt hatten. In diesem Zusammenhang erinnerte John Glaser in einem ebenfalls am 21. September erschienenen Artikel auf eine kritische Äußerung des Vorsitzenden der afghanischen Kommission für Versöhnung anläßlich Karsais Vergabe des Postens des HPC-Vorsitzenden an Rabbani vor fast einem Jahr: "Sie schaffen die Bedingungen für ein großes Feuer, das zu löschen sie nicht imstande sein werden."

21. September 2011