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ASIEN/798: Pakistans Nawaz Sharif kehrt an die Macht zurück (SB)


Pakistans Nawaz Sharif kehrt an die Macht zurück

Erster regulärer demokratischer Regierungswechsel in Islamabad



14 Jahre nachdem er vom damaligen Armeechef Pervez Musharraf als pakistanischer Premierminister weggeputscht und für lange Zeit ins Exil in Saudi-Arabien abgeschoben wurde, kehrt Nawaz Sharif an die Macht zurück. Aus den Parlamentswahlen am 11. Mai ist seine Pakistanische Moslem-Liga - Nawaz (PML-N) mit Abstand als stärkste Fraktion hervorgegangen. Die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) des früheren Kapitäns der pakistanischen Cricket-Nationalmannschaft Imran Khan, die von vielen jungen Menschen in den Großstädten favorisiert wurde, hat durch das Erreichen des zweiten Platzes ihr bisher bestes Ergebnis erzielen können. Eine katastrophale Niederlage erlitt dagegen die seit 1998 regierende Pakistan Peoples Party (PPP) der Ende 1997 unter immer noch nicht geklärten Umständen ermordeten Benazir Bhutto.

Sharif, Stahlmagnat und politischer Ziehsohn des früheren pakistanischen Diktators General a. D. Zia Ul-Haq, ist 1997 ähnlich wie Bhutto infolge einer von ihr mit Musharraf ausgehandelten Amnestieregelung nach Pakistan zurückgekehrt. Seitdem hat er seine Partei mit ihrer Basis in der Provinz Punjab wiederaufgebaut - ein Teil davon war ihm während des Exils loyal geblieben, der andere zu Musharraf übergelaufen - und sich als Oppositionsführer hervorgetan. Die Unfähigkeit der regierenden PPP, angeführt von Bhutto-Witwer Asif Ali Zardari und Premierminister Yousuf Raza Gilani, die Probleme des Landes in den Griff zu bekommen, hat die sozialdemokratische Partei in den Augen der Bevölkerung diskreditiert und bei ihr eine Grundstimmung nach Veränderung aufkommen lassen.

Die Hauptsorgen der Pakistaner sind erstens die lahmende Wirtschaft und die damit zusammenhängende Energieknappheit, zweitens die politische Gewalt der pakistanischen Taliban, die sich von der Grenzregion zu Afghanistan auf andere Landesteile - bestes Beispiel Karatschi - ausgeweitet hat, drittens die Drohnenangriffe der CIA in der besagten Grenzprovinz Khyber Pakhtunkhwa, die zahlreichen Zivilisten das Leben kosten, viertens die anhaltende Instabilität in der Provinz Belutchistan und fünftens die außenpolitischen Spannungen mit Indien und Afghanistan.

Mit dem vor wenigen Wochen begonnenen Ausbau der Iran-Pakistan- Pipeline für Öl und Gas auf der pakistanischen Seite der Grenze hat die PPP eine Aufhebung des Energiemangelproblems, wegen dem es überall in Pakistan immer wieder zu stundenlangen Stromausfällen kommt, immerhin in Aussicht gestellt. Doch die positive Entwicklung kam zu spät, um den Popularitätsverlust der PPP wieder wettzumachen. Der Wahlkampf selbst wurde von einer beispiellosen Serie an Bombenanschlägen und Attentaten überschattet, die mehr als 130 Menschen das Leben kosteten. Hauptziel der Attentate waren Kandidaten und Wahlhelfer der PPP sowie kleinerer Regionalparteien. Am 9. Mai wurde sogar Ali Haider Gilani, der 27jährige Sohn des Ex-Premierministers, bei einem Auftritt in der Stadt Multan von unbekannten Männern angeschossen und entführt. Zwei Leibwächter starben im Kugelhagel. Über den Verbleib von Gilani jun. ist bis zur Stunde nichts bekannt.

Die PML-N Sharifs und die PTI Khans blieben von der Einschüchterungskampagne der pakistanischen Taliban weitestgehend verschont, was nicht zuletzt auf die Kritik der beiden Oppositionspolitiker am amerikanischen Antiterrorkrieg, insbesondere dessen Auswirkungen auf Pakistan, zurückzuführen ist. Während sich Khan sehr weit aus dem Fenster lehnte und versprach, die CIA-Drohnen von der pakistanischen Luftwaffe einfach abschießen zu lassen, gab sich Sharif gemäßigter. Er trat, ähnlich wie Khan, für Friedensverhandlungen mit den einheimischen Taliban, jedoch gleichzeitig für Gespräche mit den USA ein, um die schon länger gärenden Probleme zwischen Islamabad und Washington zur beiderseitigen Zufriedenheit zu lösen.

Bis Ende 2014 wollen die USA und ihre NATO-Verbündeten den größten Teil ihrer Soldaten aus Afghanistan abziehen. Von der Entwicklung dort hängt nicht zuletzt ab, wie und ob das Programm der CIA- Drohnenangriffe im pakistanischen Grenzgebiet fortgesetzt wird. Seit Jahren versuchen die Pakistaner, die afghanischen Taliban sowie die Regierungen von Präsident Hamid Karsai und US-Präsident Barack Obama dazu zu bewegen, den Dauerkrieg in Afghanistan zu beenden, was ihnen jedoch wegen der bislang unvereinbaren Interessen nicht gelingt. Aufgrund der strategischen Lage Afghanistans wollen die USA dort mehrere Stützpunkte dauerhaft betreiben. Karsai und die afghanische Nordallianz sind damit einverstanden, die Aufständischen lehnen hingegen jede ausländische Militärpräsenz strikt ab.

Wegen des Rückhalts der Taliban in den mehrheitlich paschtunischen Teilen Pakistans werden die Männer um Mullah Mohammed Omar von Islamabad und der Militärführung in Rawalpindi klammheimlich unterstützt. Wegen der ständigen Gefahr eines Krieges mit Indien betrachtet das pakistanische Militär den Süden und Osten Afghanistans ohnehin als strategisches Rückzugsgebiet. Hinzu kommt, daß Islamabad niemals zulassen wird, daß sich die Paschtunen beiderseits der Durand-Linie zu einem eigenständigen Staat vereinen, weil sich Belutschistan dann vermutlich abspalten würde und von Pakistan nur wenig - die beiden Provinzen Punjab und Sindh - übrigbliebe. Wenige Tage vor den Wahlen in Pakistan kam es zu einer blutigen Schießerei zwischen afghanischen und pakistanischen Grenzsoldaten, was das problematische Verhältnis zwischen Islamabad und Kabul verdeutlichte.

Als Musharraf Sharif 1999 stürzte, erfolgte dies mit stillem Einverständnis der damaligen US-Regierung von Bill Clinton. Der Anführer der konservativen Moslem-Liga galt seinerzeit als unzuverlässig, hatte er doch ein Jahr zuvor die ersten pakistanischen Atomtests durchführen lassen. In der Zwischenzeit ist viel passiert. Auch mit Musharraf wurden die USA, all seiner Unterstützung im "Antiterrorkrieg" zum Trotz, nicht richtig glücklich. Selbst mit dem notorisch korrupten und damit leicht manipulierbaren Zardari als pakistanischen Präsident haben sich die Beziehungen Islamabads zu Washington nicht wirklich gebessert. Während die CIA-Drohnenangriffe die einfache Bevölkerung gegen die USA aufbrachten, war es Washingtons Aufwertung Indiens zum strategischen Partner - auch und besonders in Nuklearfragen -, was bei Pakistans mächtigem Militärestablishment ernsthafte Zweifel an der Verläßlichkeit der amerikanischen Verbündeten aufkommen ließ.

Nicht umsonst hat Sharif gleich nach Bekanntwerden des vorläufig für ihn positiven Wahlergebnisses Indien zu dem Land erklärt, in das er als erstes zu einem Amtsbesuch als alter und neuer Premierminister reisen werde. Im Fernsehen sagte er sogar, er würde "mit oder ohne Einladung" das Nachbarland besuchen. Innerhalb weniger Stunden brach der indische Premierminister Manmohan Singh ebenfalls mit dem üblichen Protokoll, als er Sharif zu seinem "eindeutigen" Sieg bei den "historischen" Wahlen gratulierte, und ihn bat, bei nächstbester Gelegenheit Indien einen Besuch abzustatten. Nach Angaben aus Islamabad und Neu-Delhi wurde aus dem unangemeldeten Blitzanruf ein "langes Gespräch" zwischen den beiden mächtigsten Männern Indiens und Pakistans.

Gelänge es Sharif, den kalten Krieg zwischen den beiden Nachfolgestaaten Britisch-Indiens beizulegen, hätten die Pakistaner viel davon. Durch eine Normalisierung der Beziehungen und eine Lockerung des Grenzverkehrs könnte Pakistan am wirtschaftlichen Aufschwung Indiens teilhaben. Infolge einer eventuellen Beilegung des Kaschmir-Streits könnten beide Staaten ihre Rüstungsausgaben reduzieren und somit mehr in den sozialen Ausgleich investieren. Pakistan müßte dann nicht mehr befürchten, die Inder würden in Belutschistan die Separatisten anstacheln oder Afghanistan zum Vasallenstaat machen. Im Falle einer wirklichen Entspannung könnte sich Indien eventuell an die Öl- und Gaspipeline aus dem Iran anschließen, was Islamabad Transitgebühren in Milliardenhöhe einbrächte.

14. Mai 2013