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ASIEN/799: Frühjahrsoffensive der Taliban setzt der NATO zu (SB)


Frühjahrsoffensive der Taliban setzt der NATO zu

Zacarias Kandahari und das "A-Team" bringen Talibangegner in Mißkredit



In Afghanistan sorgt das Näherrücken des Datums für den Abzug der NATO-Kampftruppen Ende 2014 für keine Beruhigung der Lage. Das Gegenteil ist der Fall. Die informellen Annäherungsgespräche mit Vertretern der Taliban in Katar sind am 9. Mai zur Makulatur verkommen, als Afghanistans Präsident Hamid Karsai bekanntgab, die Regierungen in Kabul und Washington verhandelten über den Verbleib von mehr als 10.000 US-Soldaten auf neun größeren Stützpunkten in Afghanistan ab 2015. Der Plan steht der allerwichtigsten Forderung der Taliban, Abzug aller fremdländischen Militärs vom afghanischen Staatsterritorium, diametral entgegen. Folglich antworten die Männer um Mullah Mohammed Omar mit einer Frühjahrsoffensive, um der NATO das Scheitern ihrer Besatzungspolitik vor Augen zu führen.

Jüngster Höhepunkt der Offensive war ein Überfall am 24. Mai auf das im Regierungsviertel Kabuls liegende Büro der International Organisation for Migration (IMO), die als Unterorganisation der Vereinten Nationen gilt und nach Ansicht der Taliban von der CIA unterwandert ist. Sechs Taliban-Kämpfer, allesamt mit Sprengstoffgürteln versehen, zündeten am Nachmittag vor der IMO-Dependence eine Autobombe, versteckten sich in einem gegenüber liegenden Gebäude und lieferten sich mit den Sicherheitskräften ein schweres Feuergefecht, das bis spät in die Nacht andauerte und in der ganzen Hauptstadt zu hören gewesen ist. Bei dem Angriff starben alle sechs Taliban-Kämpfer. Drei Mitarbeiter der IMO und ein Angestellter der International Labour Organisation (ILO), ebenfalls eine UN-Organisation, wurden verletzt. Über Tote und Verletze bei den afghanischen Sicherheitskräften, die hierbei von norwegischen Soldaten Unterstützung erfuhren, ist nichts bekannt.

Bereits am 16. Mai waren bei einem Selbstmordanschlag mit einer Autobombe auf eine US-Panzerwagenkolonne in Kabul 16 Menschen, darunter sechs amerikanische Militärberater, ums Leben gekommen. Rund 40 Menschen wurden verletzt. Zu dem Anschlag bekannte sich die Hisb-e-Islami des Taliban-Verbündeten und ehemaligen afghanischen Premierministers Gulbuddin Hekmatyar. Fast zeitgleich starben in der südlichen Provinz Helmand sechs Polizisten infolge eines weiteren Autobombenanschlages. Am Tag davor waren in der südafghanischen Provinz Kandahar drei ISAF-Soldaten aus Georgien gestorben, als ihr Geländewagen auf eine Mine fuhr. Am 17. Mai wurden drei Polizisten und sechs Zivilisten getötet und weitere 70 Menschen verletzt, als in einer überwachten Wohnanlage in Kandahar, die von Präsident Karsais Bruder Mahmud gebaut worden war, zwei Bomben, jeweils in einem Auto und einem Motorrad versteckt, explodierten. Am selben Tag fiel in der westlichen Provinz Farah ein ranghoher Polizeibeamte einem Attentat zum Opfer, als zwei Männer auf Motorrädern ihn vor seinem Büro erschossen.

Am 19. Mai tötete eine Bombe, die in der östlichen Provinz Khost neben einem Straßenkontrollpunkt explodierte, einen Polizisten und ließ drei seiner Kollegen und fünf Zivilisten schwerverletzt zurück. Am 20. Mai brachte ein Selbstmordattentäter bei einem Anschlag am Regierungssitz der Provinz Baghlan sich selbst und 14 weitere Menschen um, darunter den Parlamentssprecher Hadschi Rasul Mohseni. Mohseni gehörte einst der Nordallianz an, die sich vor dem NATO-Einmarsch 2001 im Bürgerkrieg mit den Taliban befand. Beobachter befürchten ein Wiederaufflammen jenes Bürgerkrieges ab 2015. Schließlich stellen die Anhänger der früheren Nordallianz - Angehörige der Volksgruppen der Tadschiken, Hasara und Usbeken - die meisten der mehr als 300.000 Mitglieder der neuen Armee und Polizei Afghanistans, während die Volksgruppe der Paschtunen, aus der die Taliban entstanden sind, stark unterrepräsentiert ist.

Ab 2015 sollen vor allem die afghanischen Spezialstreitkräfte, die von Militärberatern aus Deutschland und den USA unterstützt werden, die Hauptlast bei der Aufstandsbekämpfung tragen. Wie wenig von diesem Vorhaben zu halten ist, zeigt die aktuelle Kontroverse um die Verschleppung und Ermordung mutmaßlicher Taliban-Sympathisanten in der Provinz Wardak. Dort empört sich die Bevölkerung über das Verschwinden von 15 Männern. Sieben von ihnen sind wieder aufgetaucht - als verstümmelte Leichen. Der Schicksal der anderen acht ist unbekannt. Im Mittelpunkt der Affäre steht ein Zacarias Kandahari, der angeblich als Verbindungsoffizier der afghanischen Armee zu einer geheimnisvollen Einheit der US-Spezialstreitkräfte namens "A-Team" fungiert. In Afghanistan hat die Veröffentlichung eines Videos, auf dem zu sehen ist, wie Kandahari einen Zivilisten namens Said Mohammed foltert und diesen auf afghanisch anspricht, während im Hintergrund irgendwelche Amerikaner auf Englisch die brutale Vernehmung dirigieren, zurecht für landesweites Entsetzen gesorgt.

25. Mai 2013