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ASIEN/810: Was steckt hinter den Studentenprotesten auf Taiwan? (SB)


Was steckt hinter den Studentenprotesten auf Taiwan?

Opposition macht gegen Handelsabkommen mit der Volksrepublik mobil



Die gewaltsame Erstürmung und Besetzung des taiwanesischen Parlaments am 17. März ist von der internationalen Berichterstattung im Westen, die hauptsächlich mit der sogenannten Krim-Krise und dem neuen Kalten Krieg zwischen der NATO und Rußland befaßt war, kaum registriert worden. Das ist bedauerlich, denn hinter der brisanten Aktion stecken vermutlich dieselben neokonservativen Kräfte aus den USA, die Ende Februar mit Hilfe ukrainischer Neonazis für einen Putsch in Kiew gesorgt haben. Die aktuelle Krise um den Wechsel der Ukraine aus der Einflußsphäre Rußlands in die der USA und der Europäischen Union dürfte allerdings wie ein Sandkastenspiel im Vergleich zu den Folgen anmuten, würde sich Taiwan infolge einer "bunten Revolution" für unabhängig erklären und die Tür zu der von der Volksrepublik angestrebten Wiedervereinigung Chinas zuschlagen.

In Kiew ging es mit den Massenprotesten auf dem Maidan-Platz Ende 2013 los, nachdem Präsident Wiktor Janukowytsch sich gegen ein vom Internationalen Währungfonds (IWF) mit Austeritätsmaßnahmen gespicktes Assozierungsabkommen mit der EU entschied und statt dessen die mit 15 Milliarden Dollar Finanzhilfe versüßte Einladung Rußlands zum Beitritt der von Wladimir Putin favorisierten Eurasischen Union annahm. Auf Taiwan ist es auch ein Handelsabkommen, in diesem Fall mit der Volksrepublik, das Tausende Studenten dazu veranlaßte, im Zentrum von Taipeh den Aufstand zu proben, sich Straßenschlachten mit der Polizei zu liefern und das Parlament vorübergehend zu besetzen.

Das Cross-Strait Service Trade Agreement ist der Nachfolgevertrag zum Economic Cooperation Framework Agreement von 2010. Hatte das ECFA den Warenaustausch über die Taiwanstraße außerordentlich belebt, soll nun das CSSTA gegenseitige Investitionen insbesondere im Dienstleistungssektor erleichtern. Es wurde im Juni 2013 von Vertretern der Regierungen Taiwans und der Volksrepublik unterzeichnet. Seitdem drängt Peking auf die Ratifizierung des Abkommens. Dieser Tage sollte im Parlament in Taipeh über das CSSTA als ganzes abgestimmt werden. Dagegen laufen jedoch die Studenten Sturm. Wie die Opposition verlangen auch sie eine Abstimmung über jeden einzelnen Vertragsteil. Die Regierung lehnt dies als zu aufwendig und nicht notwendig ab und verweist auf die acht öffentlichen Anhörungen, die sie seit vergangenem Jahr zum Vertrag abgehalten hat.

Hinter der Forderung der Vertragskritiker nach vermeintlich mehr "Transparenz" steckt die Absicht, die Ratifizierung des neuen Handelsabkommens zu verlangsamen und eventuell gänzlich zu stoppen. Im November finden auf Taiwan Kommunalwahlen statt. Mittels der Kontroverse um die wirtschaftliche Annäherung an die Volksrepublik hofft die Opposition, bestehend aus Demokratischer Fortschrittspartei (DPP) und der kleineren Taiwan Unabhängigkeitspartei (TAIP), die Meinungshoheit auf der Insel zu erlangen. Die Kommunalwahlen gelten als Test für die Präsidentenwahl 2016, die Ma Ying-jeou zum dritten Mal nach 2008 und 2012 zu gewinnen hofft. Ma gehört der nationalistischen Kuomintang (KMT) an, die zusammen mit der kleineren Neuen Partei (CNP) eine Stärkung der Beziehungen über die Taiwanstraße hinweg befürwortet und einer formellen Wiedervereinigung Chinas nach demokratischen Reformen auf dem Festland offen gegenübersteht.

Inzwischen fordern die Studenten, daß das CSSTA einer noch zu bildenden "bürgerlichen Verfassungskonferenz" vorgelegt werden soll, die an Stelle des Parlaments über eine Ratifizierung oder Ablehnung des Vertragswerkes entscheiden soll. Mit dieser aus demokratischer Hinsicht bedenklichen Forderung wird die Grundlage für eine Krise geschaffen, die ähnlich den jüngsten Ereignissen in der Ukraine - und übrigens auch in Thailand - das politische Leben auf Taiwan zum Stillstand bringen würde. Durch ständig neue Provokationen und Auseinandersetzungen mit den staatlichen Sicherheitskräften will die Opposition Präsident Ma und die Kuomintang-Regierung delegitimieren und den Weg für eine Rückkehr der DPP an die Macht freimachen. (Während die Parlamentskammer weiterhin in den Händen der Studenten ist, konnte die Polizei am 24. März eine Besetzung eines Nachbargebäudes, in dem viele Ministerien untergebracht sind, mit Wasserwerfern verhindern; Bei dem Gerangel wurden 110 Menschen, darunter 52 Polizeibeamte, verletzt und 61 verhaftet.) Es stellt sich die Frage, ob die Oppositionsparteien und ihre studentischen Sturmtruppen die reguläre Präsidentenwahl in zwei Jahren noch abwarten oder beabsichtigen, wie die Janukowytsch-Gegner in Kiew, einen Regierungssturz herbeizuführen.

Wie Peter Lee in einem am 20. März bei Counterpunch erschienenen Artikel mit der Überschrift "After Kiev, is Taiwan in Play?" erläutert, wurde die DPP während der Präsidentschaft ihres Parteichefs Chen Shui-bian (2000-2008) von den neokonservativen Sinophoben in der Regierung von George W. Bush, angeführt von Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, regelrecht in Richtung Unabhängigkeit und Konfrontation mit der Volksrepublik gedrängt. Nur dank aktiver Gegenmaßnahmen von Bushs Außenminister Colin Powell konnte die Gefahr eines regelrechten Krieges abgewendet werden. Lee bezieht seine Informationen über diesen weniger bekannten Aspekt der Ära des Republikaners Bush jun. von Lawrence Wilkerson, der damals Powells Stabschef war und sich vor einiger Zeit gegenüber dem Journalisten und Geheimdienstexperten Jeff Stein entsprechend geäußert hat. Es steht leider zu befürchten, daß sich die Neocons nach der erfolgreichen Herbeiführung eines neuen Kalten Krieges mit Rußland dazu ermutigt fühlen könnten, den offenen Streit mit China zu suchen und Taiwan endgültig als militärisches Bollwerk in die Containment-Strategie des Pentagons gegenüber der Volksrepublik einzubauen.

25. März 2014