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ASIEN/817: Ausgang der Präsidentenwahl in Afghanistan umstritten (SB)


Ausgang der Präsidentenwahl in Afghanistan umstritten

Afghanistans Warlords stehen erneut am Rande eines Bürgerkriegs



Für die USA und ihre NATO-Verbündeten wird das Militärengagement in Afghanistan immer mehr zum Debakel. Ende 2013 ließ der afghanische Präsident Hamid Karsai die von seinem US-Amtskollegen Barack Obama gesetzte Frist zur Unterzeichnung eines Truppenstationierungsabkommens, das amerikanischen Soldaten künftig rechtliche Immunität gewähren sollte, einfach verstreichen. Daraufhin drohte Obama damit, bis Ende 2014 alle US-Streitkräfte vom Hindukusch abzuziehen, was Karsai jedoch nicht beeindruckte. Schließlich gab der US-Präsident Ende Mai bekannt, daß das Pentagon auch nach dem offiziellen Ende des NATO-Kampfeinsatzes am 31. Dezember dieses Jahres mehrere tausend amerikanische Militärangehörige zwecks Antiterrorkampf und Ausbildung der örtlichen Sicherheitskräfte für unbefristete Zeit in Afghanistan stationieren wird.

Karsai hatte seine Weigerung, seine Unterschrift unter das zwischen Kabul und Washington bereits ausgehandelte Bilaterale Sicherheitsabkommen (BSA) zu setzen, mit dem Argument begründet, seine zweite Amtszeit als Präsident laufe bald aus, für die Legitimität eines so wichtigen Dokuments wäre es besser, dem Nachfolger die Aufgabe zu überlassen. Man vermutet, daß es Karsai eigentlich darum ging, nicht als derjenige in die Geschichtsbücher einzugehen, der ausländischen Truppen eine Dauerpräsenz in Afghanistan gewährte. Jedenfalls ließ sich die US-Administration notgedrungen mit der Aussicht vertrösten, daß nach der Wahl und der Amtseinführung eines neuen afghanischen Staatsoberhaupts das Problem BSA bald vom Tisch sein werde.

Wenn das so einfach wäre. Nach der ersten Runde am 5. April mußten der ehemalige Außenminister Abdullah Abdullah und der ehemalige Finanzminister Aschraf Ghani Ahmadzai (Letzterer wird meistens nur Aschraf Ghani genannt, da Ahmadzai der Hinweis auf seine Stammesangehörigkeit ist) in einer Stichwahl am 14. Juni erneut gegeneinander antreten. Seitdem reißen Berichte über Wahlmanipulationen nicht ab. Obwohl Abdullah im ersten Wahlgang 54 Prozent der abgegeben Stimmen erhalten hat und Ghani nur 32 Prozent, liegt der Zweitplatzierte vom 5. April nun mit einem Vorsprung von rund einer Million Stimmen vorne. Und das obwohl sich laut UN-Beobachtern deutlich weniger Wähler an der Stichwahl beteiligten als in der ersten Runde. Für den Verdacht, daß hier Wahlfälschung im großen Stil betrieben worden ist, spricht die Tatsache, daß die Zahl der abgegebenen Stimmen am 14. Juni in den paschtunischen Siedlungsgebieten im Osten und Süden Afghanistans weit höher ausgefallen ist als im restlichen Land.

Abdullah, der schon vor fünf Jahren gegen Karsai angetreten ist und damals betrogen wurde, hat sich zwischendurch aus Protest vom Wahlverfahren zurückgezogen. Der Ex-Außenminister, der tadschikisch-paschtunischer Abstammung ist, hat seine Wähler hauptsächlich aber nicht nur unter den Tadschiken, Hasara und anderen kleineren Volksgruppen gefunden. Er vermutet, daß die politische Führung der paschtunischen Mehrheit Afghanistans, zu der Karsai und Ghani zählen, ähnlich wie 2009 nicht bereit ist, das höchste Amt im Staat jemandem zu überlassen, der nicht hundertprozentig zu ihrer Ethnie gehört. Am 22. Juni hat Abdullah Tonbandmitschnitte von geheimen Gesprächen veröffentlicht, in denen Vertreter der Wahlkommission und dem Wahlkampfteam Ghanis die Möglichkeiten einer Wahlfälschung ausloten. Daraufhin ist der Leiter der Wahlkommission, Ziaulhaq Amarkhil, der wie Karsai und Ghani Paschtune ist, zurückgetreten.

Die Veröffentlichung des vorläufigen Endergebnisses am 7. Juli mit Ghani als Sieger hat die politische Krise in Afghanistan verschärft. Während auf den Straßen von Kabul die Ghani-Sympathisanten jubelten, protestierten Abdullahs Anhänger und sprachen von einem "Putsch". Vor Tausenden von Unterstützern erklärte sich Abdullah zum eigentlichen Sieger, versprach alles zu tun, um eine Machtübernahme durch Ghani zu verhindern und drohte notfalls damit, eine eigene Alternativregierung aufzustellen. In den USA sind Abdullahs Klagen auf wenig Verständnis gestoßen. Am gleichen Abend hat Außenminister John Kerry in einer Erklärung von der Bildung einer "Parallelregierung" abgeraten und beide Streitparteien zur Einhaltung der demokratischen Spielregeln ermahnt. Es ist anzunehmen, daß Washington mit dem Ex-Weltbank-Mitarbeiter Ghani als afghanischem Präsidenten nicht unzufrieden wäre.

Am 8. Juli nahm Obama Kontakt zu Abdullah und Ghani auf und appellierte an beide Männer, besonnen zu handeln und zusammenarbeiten, um die nationale Einheit Afghanistans nicht zu gefährden. Wie zuvor bereits Kerry drohte auch Obama in dem Telefonat indirekt mit der Einstellung sämtlicher US-Finanzhilfe für Afghanistan, sollten die afghanischen Fraktionen ihren Streit in einen Bürgerkrieg ausarten und es zu einer Neuauflage des Konflikts zwischen Nordallianz und Taliban kommen lassen. Wie sich ein solches Szenario noch verhindern läßt, weiß niemand. Ghani beharrt nach wie vor auf seinen Sieg und weigert sich sowohl die Stichwahl in den mehrheitlich paschtunischen Regionen, in denen es zuletzt zu Unregelmäßigkeiten bzw. einer ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung gekommen ist, erneut durchführen zu lassen als auch gemeinsam mit Abdullah eine Regierung der nationalen Einheit zusammen zu bilden. Am 22. Juli soll das amtliche Endergebnis vorliegen. Ob Abdullah und Ghani bis dahin einen Weg aus der Krise finden werden, muß sich noch zeigen.

9. Juli 2014