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ASIEN/866: Pakistans Premierminister wegen Finanzaffäre gestürzt (SB)


Pakistans Premierminister wegen Finanzaffäre gestürzt

Nawaz Sharif zum Rücktritt aus der aktiven Politik gezwungen


Die Panama-Papiere, deren Veröffentlichung im Frühjahr 2016 weltweit für mediale Aufregung sorgte, haben in Pakistan ein verspätetes politisches Erdbeben ausgelöst. Am 29. Juli sah sich der 67jährige Premierminister Nawaz Sharif zum Rücktritt gezwungen, nachdem der Oberste Gerichtshof in Islamabad ihn für schuldig befunden hatte, bei der Kandidatur zu den Parlamentswahlen 2013 vorsätzlich falsche Angaben über seine Vermögensverhältnisse gemacht zu haben. Nach dem Urteil der Obersten Richter darf Sharif für zehn Jahre kein politisches Amt mehr bekleiden. Damit ist die Karriere Sharifs, der als Führer der Pakistan Moslemliga-Nawaz (PML-N) seit rund drei Jahrzehnten die Politik seines Landes dominiert hatte, erst einmal beendet.

Sharif, einst politischer Zögling des früheren pakistanischen Militärdiktators General Muhammed Zia ul-Haq, war erstmals 1990 zum Premierminister gewählt worden. Nach dem Wahlsieg von Benazir Bhuttos Pakistan Peoples Party (PPP) drei Jahre später führte Sharif zunächst die Opposition an. 1997, nachdem Bhutto vom Gericht abgesetzt worden war, errang die Moslemliga die absolute Mehrheit im Parlament. Bhutto floh mit ihrer Familie nach London. Doch 1999 wurde Sharif selbst infolge eines unblutigen Putsches unter der Führung von General Pervez Musharraf entmachtet und ins politische Exil nach Saudi-Arabien abgeschoben. 2007 sah sich Präsident Musharraf unter dem Druck der Gerichte und der Straße gezwungen, der Rückkehr der beiden Kontrahenten Bhutto und Sharif zuzustimmen. Im Dezember jenes Jahres fiel Bhutto im Wahlkampf einem Bombenanschlag zum Opfer. Als im Januar 2008 die PPP die Wahlen gewann, übernahm Bhuttos Ehemann Ali Asif Zardari an ihrer Stelle den Parteivorsitz. Später im Jahr wurde er Staatspräsident - ein Amt, das er 2013 wieder abgab. Nach einem erneuten Sieg der PML-N im Juni 2014 wurde Sharif zum dritten Mal Regierungschef.

Doch damit ist es jetzt vorbei. Sharif wird sich künftig damit begnügen müssen, im Hintergrund die Fäden bei der PML-N zu ziehen. Seine designierte Nachfolgerin, die 43jährige Maryam Nawaz Sharif, ist wie zwei Söhne ebenfalls über die Korruptionsaffäre gestolpert, in der es unter anderem um den über Steueroasen versteckten Besitz teuerer Immobilien in der britischen Hauptstadt ging, und darf bis auf weiteres kein politisches Amt übernehmen. Nachfolger Sharifs als Premierminister soll sein 65jähriger Bruder Shahbaz werden, der derzeit Gouverneur der bevölkerungsreichsten pakistanischen Provinz Punjab ist. Dazu muß Shahbaz, der damals auch Jahre in saudischen Exil verbrachte, bei einer baldigen Nachwahl den Parlamentssitz seines Bruders erobern. Bis diese Formalie erledigt ist, soll der bisherige Energieminister, PML-N-Mitglied Shahid Khaqan Abbasi, als Interimsregierungschef fungieren.

Im In- und Ausland fragen sich nun alle, was die dramatische Absetzung Sharifs für die pakistanische Politik bedeutet. Imran Khan und die Anhänger seiner oppositionellen Pakistan Tehreek-e Insaf (PTI) sehen im Sturz des Premierministers einen wichtigen Sieg für die Justiz im Kampf gegen die seit Jahrzehnten grassierende Korruption. Khan, der 1992 als Kapitän die Nationalmannschaft Pakistans zum ersten und bisher einzigen Gesamtsieg bei einer Cricket-Weltmeisterschaft geführt hat, kämpft unermüdlich gegen Vetternwirtschaft und religiösen Obskurantismus und hat mit seinem Eintreten für Säkularismus und soziale Gerechtigkeit die Menschen in den urbanen Zentren auf seine Seite ziehen können. Sollten, wie geplant, im kommenden Frühjahr Wahlen zum Bundesparlament stattfinden, hätte Khans PTI ihre bislang größte Chance auf eine absolute Mehrheit. Die PML-N ist durch die Affäre um die Panama-Papiere belastet, während es dem großen Hoffnungsträger der PPP, dem erst 29jährigen Bilawal Bhutto Zardari, an Erfahrung und wegen seiner langjährigen Erziehung in teueren Internaten und Universitäten im westlichen Ausland an Gefühl für die Massen fehlt.

Skeptiker attestieren dem Land aufgrund der Tatsache, daß seit der Gründung des pakistanischen Staates 1948 kein einziger Premierminister seine reguläre Amtszeit zu Ende führen konnte, ohne entweder vom Gericht oder dem Militär gestürzt zu werden, demokratische Unreife. Zyniker deuten die Teilnahme jeweils eines Vertreters des Militärgeheimdienstes und des mächtigen Auslandsgeheimdienstes Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) an der sechsköpfigen Ermittlergruppe, die im Auftrag der Obersten Gerichtshofs die komplizierten Finanzverhältnisse des Sharif-Klans untersucht hat, als Beweis dafür, daß auch diesmal die Generalität in Rawalpindi ihre Finger im Spiel gehabt hat.

Der nicht zu übersehende Einfluß des Militärs im politischen Leben Pakistans läßt wenig Gutes für die Zukunft erwarten. Sharif hatte, wenn auch vergeblich, immerhin versucht, eine Lösung des Kaschmir-Konflikts mit Indien zu finden. Doch dabei wurden ihm seitens des eigenen Militärs Hindernisse in den Weg gelegt. Seit Monaten kommt es fast täglich entlang der Line of Control (LoC) zwischen dem pakistanischen und indischen Teil von Jammu und Kaschmir zu Artillerieduellen der Armeen der beiden Atommächte. Im indischen Kaschmir regiert Neu-Delhi, wo die hindunationalistische Bharatiya Janata Partei (BJP) von Premierminister Narendra Modi das Sagen hat, mit harter Hand.

Während das ISI im indischen Kaschmir die islamistische Lashker-e-Jhangvi (LeJ) zu provokanten Aktionen animiert, soll im Gegenzug der indische Auslandsgeheimdienst (Research and Analysis Wing - RAW) Separatisten im pakistanischen Belutschistan zum Aufstand ermuntern. In Afghanistan ist der erbitterte Kampf Indiens und Pakistans um Einfluß einer der Gründe, warum dort seit Jahren der Krieg tobt. Die zunehmende Rivalität zwischen den USA und der Volksrepublik China, die sich auf Indien respektive Pakistan als ihre militärischen Verbündeten in Südasien festgelegt haben, läßt keine Beilegung der Dauerfehde zwischen Islamabad und Neu-Delhi und damit auch kein Ende der Einmischung des Militärs in die pakistanische Politik zu. Bis dieses Problem aus der Welt geschafft ist, bleibt jeder noch so gut gemeinte Kampf gegen die Korruption in Pakistan illusorisch.

1. August 2017


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