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ASIEN/868: Zieht Trump die US-Streitkräfte aus Afghanistan ab? (SB)


Zieht Trump die US-Streitkräfte aus Afghanistan ab?

Präsident und Pentagon streiten über den Kurs am Hindukusch


In Washington findet derzeit ein erbitterter Kampf um das weitere Vorgehen in Afghanistan statt. Präsident Donald Trump hat sich im Mai geweigert, den Plan seines Nationalen Sicherheitsberaters Herbert McMaster, den Umfang der in Afghanistan stationierten US-Streitkräfte von derzeit rund 9000 auf rund 14.000 Soldaten zu erhöhen, abzusegnen. Trump verlangt zu erfahren, warum die USA seit 16 Jahren in Afghanistan Krieg führen, ohne daß ein Ende abzusehen wäre. Hierzu haben McMaster und die Generäle im Pentagon unter der Leitung von Verteidigungsminister und Ex-General James Mattis offenbar keine zufriedenstellende Antwort geliefert. Die jüngste Diskussion im Weißen Haus zum Thema Afghanistan soll so "stürmisch" gewesen sein, daß Trump damit gedroht hat, den amtierenden Oberkommandeur der US-Truppen in Afghanistan, General John Nicholson, wegen Erfolglosigkeit zu feuern und diesen durch McMaster zu ersetzen, damit dieser am Hindukusch seinen vierten Generalsstern verdienen könne. Dafür soll eventuell der jetzige CIA-Chef Mike Pompeo die Leitung des Nationalen Sicherheitsrats im Weißen Haus übernehmen. Dies berichtete am 4. August die New York Times unter der Überschrift "White House Purging Michael Flynn Allies From National Security Council".

Bereits am 30. Juli hatte das Wall Street Journal mit einem Bericht das Ausmaß des Streits zwischen Generalität auf der einen, Trump und seinem wichtigsten Berater Steve Bannon auf der anderen Seite bekanntgemacht. In dem Artikel, der den Titel "White House Looks at Scaling Back U.S. Military Presence in Afghanistan" trug, hieß es: "Präsident Trumps Vorbehalte dagegen, mehr Truppen nach Afghanistan zu entsenden, hat die neue Untersuchung einer Option ausgelöst, die lange als unwahrscheinlich galt: Abzug. ... Unfähig, sich auf einen Plan zur Entsendung von bis zu 3900 weiteren amerikanischen Soldaten zu einigen, um den Vormarsch der Taliban in Afghanistan zurückzuschlagen, geht das Weiße Haus der Frage nach, was passieren würde, sollten die USA entscheiden, statt dessen ihre Militärpräsenz abzubauen, sagten amtierende und ehemalige Vertreter der Trump-Administration." In dem WSJ-Beitrag hieß es wenig überraschend, die "Idee" eines Truppenabzugs aus Afghanistan sei "der Militärführung ein Greuel".

Am 1. August zitierte die Military Times eigene anonyme Quellen im Pentagon, denenzufolge Amerikas Generäle über den schleppenden Entscheidungsprozeß im Weißen Haus "frustriert" sind. Trumps Spiel mit dem Gedanken eines Abzugs aus Afghanistan soll sie "schockiert" haben. Der eine Informant der Military Times feuerte folgende Breitseite an die Adresse Bannons ab, der einst sieben Jahre lang als US-Marineoffizier gedient hat und bekanntlich als Anführer der Afghanistan-Skeptiker im Umfeld Trumps gilt: "Die wenigen Regierungsbeamten mit tatsächlicher Erfahrung in Afghanistan ärgern sich zunehmend über das Weiße Haus. Die Vorstellung, der Präsident könnte Verteidigungsminister Mattis freie Hand in Bezug auf den Kurs und das Truppenniveau in der Region geben, wird von Mitarbeitern des Weißen Hauses, die keine relevante Erfahrung, auch nicht aus jüngster Zeit, im Kampfgebiet oder in der Region haben, unterminiert."

Bei zahlreichen Medienauftritten in den letzten Wochen - darunter ein Gastkommentar in der International New York Times am 24. Juli - hat sich Laurel Miller, von 2013 bis 2017 Leiterin der Abteilung Afghanistan und Pakistan im State Department und seit einigen Wochen außenpolitische Analystin bei der renommierten RAND Corporation, für Verhandlungen unter Einbezug der Taliban als einzigen Ausweg aus der Gewaltspirale am Hindukusch stark gemacht. Die Truppenabzugspläne Trumps klingen im ersten Moment positiv, doch zielen sie in eine ganze andere Richtung als diejenige, die Miller vertritt. Trump geht es offenbar weniger darum, den Krieg in Afghanistan zu beenden, als vielmehr ihn zu privatisieren. US-Bodentruppen und US-Luftwaffe sollten durch Söldner und die private Flugzeugflotte von Erik Prince, dem einstigen Gründer von Blackwater, bekanntlich das berüchtigtste private Sicherheitsunternehmen der Welt, ersetzt werden.

Prince, dessen Schwester Betsy DeVos Bildungsministerin der Trump-Regierung ist, gilt schon länger als informeller Berater des neuen US-Präsidenten. Über das Subunternehmen Lancaster6, eine Tochterfirma des in Hongkong registrierten Konzerns EP Aviation, ist Prince bereits in Afghanistan aktiv. Die Flugzeuge von Lancaster6 führen für die afghanische Armee Truppentransporte durch und versorgen die Soldaten im Einsatz mit Nachschub und Proviant per Fallschirmabwurf. Nur aktiv mit Kampfjets sind sie am Kriegsgeschehen noch nicht beteiligt gewesen. Dies könnte sich aber demnächst ändern. Einem Bericht der Air Force Times vom 3. August zufolge hat Prince seine Pläne für eine komplette Übernahme der Luftunterstützung für die afghanischen Streitkräfte durch seine Piloten und eine Ersetzung der US-Bodentruppen durch ausländische Söldner dem Verteidigungsministerium in Kabul vorgestellt. US-General Nicholson dagegen hat sich geweigert, Prince zu empfangen. Das dürfte auch ein nicht unwesentlicher Faktor sein, warum Trump den amtierenden US-Kommandeur in Afghanistan entlassen will.

Aktuell sind nicht nur die Taliban in Afghanistan auf dem Vormarsch, dort und auch in Pakistan wird die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) immer aktiver. Bei einem Selbstmordattentat des IS am 1. August in einer schiitischen Moschee in der westafghanischen Stadt Herat kamen 36 Menschen ums Leben. Am 31. Juli hatten Pakistans Medien gemeldet, daß Hadschi Daud Mehsud, ein führender Kommandeur der pakistanischen Taliban samt Anhängern aus dieser Organisation ausgetreten sei und sich dem IS angeschlossen habe. Hadschi Daud Mehsud gilt als enger Vertrauter des früheren Chefs der Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP) Hakimullah Mehsud und war von ihm vor dessen Ableben infolge eines CIA-Drohnenangriffs im Jahr 2013 zum Chef der pakistanischen Taliban in der Hafenmetropole Karatschi ernannt worden. Der Mann ist auch ein wichtiges Mitglied des mächtigen Mehsud-Klans, an dem im Grenzgebiet Südwasiristan niemand vorbeikommt. Der Wechsel eines derart erfahrenen Milizionärs deutet auf die steigende Schlagkraft von IS in Afghanistan und Pakistan hin. In beiden Staaten werden die USA voraussichtlich noch lange "Antiterrorkrieg" betreiben, unabhängig davon, ob dies in staatlicher oder privater Regie erfolgt.

5. August 2017


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