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ASIEN/880: Zahl der US-Luftangriffe in Afghanistan explodiert (SB)


Zahl der US-Luftangriffe in Afghanistan explodiert

Krieg in Afghanistan einzig und allein um des Krieges willen


Seit über 16 Jahren führen die USA in Afghanistan Krieg. Was wenige Wochen nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 als reine Anti-Terroroperation gegen das Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens begann hat sich zum Dauerkrieg gegen die Taliban entwickelt. Der Konflikt findet kein Ende, obwohl sich die Taliban in der Vergangenheit mehrfach bereiterklärt haben, sich in die parlamentarische Politik einzubringen, ihre ablehnende Haltung gegenüber Mädchenschulen aufzugeben und mit dafür zu sorgen, daß keine "terroristischen" Gruppierungen das Territorium Afghanistans zur Vorbereitung von Anschlägen im Ausland nutzen können.

Angesichts der Tatsache, daß die USA nicht in der Lage sind, die Aufständischen am Hindukusch zu bezwingen, behaupten ihre Vertreter seit Jahren, Ziel der Mission in Afghanistan sei es, die Taliban "an den Verhandlungstisch zu bombardieren". Das sagten 2009 die Generäle David Petraeus und Stanley McChrystal, als sie Barack Obama dazu überredeten, die Zahl der US-Soldaten in Afghanistan auf fast 100.000 Mann zu erhöhen, und das sagen heute führende Vertreter der Regierung Donald Trumps wie CIA-Chef Mike Pompeo und Verteidigungsminister James Mattis, der selbst ein mehrfach dekorierter Veteran des Kriegs im Irak ist. Beim Blitzbesuch am 28. September in Kabul behauptete General a. D. Mattis, Trump habe den zuständigen Militärs freie Hand gegeben und dadurch jegliche "Unbestimmtheit" in der bisherigen Washingtoner Afghanistan-Politik in "Bestimmtheit" verwandelt. Laut Mattis verschaffe dies den US-Streitkräften in Afghanistan endlich den langersehnten moralischen und strategischen Vorteil, denn: "Je schneller die Taliban erkennen, daß sie mit Bomben nicht gewinnen können, um so schneller wird das Töten ein Ende finden."

Das ist natürlich ganz großer Humbug. Nachdem die Taliban 2012 ein Verbindungsbüro in der katarischen Hauptstadt Doha eingerichtet hatten, hätten sich beide Seiten an den Verhandlungstisch setzen können. Doch dazu kam es nicht, weil die USA nicht bereit waren und es bis heute nicht sind, über die Kernforderung der Taliban, nämlich den Abzug sämtlicher ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan, zu diskutieren. Deswegen hat die CIA 2015 den damaligen Taliban-Chef Mullah Akhtar Mansur, als dieser mit dem Auto in der pakistanischen Provinz Belutschistan unterwegs war, mittels einer per Drohne abgefeuerten Rakete getötet und alle Annäherungsbemühungen, die es bis dahin gegeben hatte, mit einem einzigen Knopfdruck zunichte gemacht. Bis heute ist unklar, ob es das Weiße Haus, das Pentagon oder die CIA selbst war, welche damals die Entscheidung zur Liquidierung Mansurs getroffen hat.

Wie nichts anders zu erwarten war, hat das Attentat die Militaristen unter den Taliban gestärkt. Seitdem sind die einstigen Kampfgefährten des legendären Taliban-Gründers auf dem Vormarsch, kontrollieren immer weitere Teile Afghanistans, überfallen Armeeposten und Polizeistationen scheinbar nach Belieben und führen mit trauriger Regelmäßigkeit spektakuläre Anschläge durch. Angesichts dieser Entwicklung laufen Afghanistans Sicherheitskräften die Soldaten und Polizisten davon. In einem Bericht, der am 19. November bei der New York Times erschienen ist, hieß es, in manchen afghanischen Provinzen sei dieses Jahr die Zahl der neuen Rekruten um 50 Prozent zurückgegangen. In dem Bericht mit dem Titel "Afghan Army Recruitment Dwindles as Taliban Threaten Families" schrieben die NYT-Autoren Najim Rahim und Mujib Mashal, der "Rückgang bei der Rekrutierung" stelle "einen schweren Schlag für eine Streitmacht dar, die ohnehin unter drastischen Verlusten - personellen wie auch territorialen - leidet".

Zu alledem fällt Macho-Mann Trump und seiner Generalsriege in Washington nichts als Aktionismus ein. Erstens hat man die US-Truppenpräsenz in Afghanistan von rund 11.000 auf rund 16.000 Mann erhöht. Zweitens ist seit dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Ende Januar die Zahl der amerikanischen Luftangriffe in Afghanistan regelrecht explodiert. Im Vergleich zu 2016 wird die US-Luftwaffe in diesem Jahr mehr als dreimal soviel Bomben und Raketen abwerfen. Laut Zahlen, die das Pentagon am 21. November veröffentlicht hat, hatte die US-Luftwaffe bereits bis Ende Oktober 3554 Bombenangriffe auf Ziele in Afghanistan durchgeführt. 2016 waren es 1337, im Jahr davor nur 947. In der Folge schießt die Zahl der zivilen Opfer in die Höhe. Nach Angaben der Vereinten Nationen sollen afghanische Zivilisten inzwischen wieder so häufig gewaltsam sterben wie in der ersten, heißen Phase des Krieges Ende 2001, Anfang 2002.

Am 20. November hat die US-Luftwaffe erstmals offiziell Angriffe auf Opiumlabore geflogen und zwar an acht verschiedenen Stellen in der Provinz Helmand. Anlaß zu der Operation, an der sowohl Tarnkappenbomber von Typ F-22 als auch klassische B-52-Langstreckenbomber beteiligt waren und bei der 44 Menschen ums Leben gekommen sein sollen, scheint die Veröffentlichung eines für Washington peinlichen Berichts des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung am 15. November gewesen zu sein. Aus ihm geht hervor, daß die Menge des 2017 in Afghanistan für den Heroinmarkt gewonnenen Rohopiums um 87 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr gestiegen ist, und zwar von 4800 Tonnen auf 9000 Tonnen.

Für den regen Betrieb im afghanischen Opiumanbau und -handel machte General John W. Nicholson, Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Afghanistan, die Taliban allein verantwortlich - ein Vorwurf, den letztere entschieden von sich gewiesen haben. Nicholson verstieg sich sogar zu der verkürzten Sichtweise der Motivation auf seiten der Taliban: "Sie kämpfen, damit sie vom Rauschgifthandel und anderen kriminellen Aktivitäten profitieren können." Sind es nicht vielmehr die USA, die in Afghanistan und anderswo unter dem Vorwand eines niemals endenden Terror- und Drogenkriegs kämpfen, damit sie vom Rüstungshandel und anderen sicherheitspolitischen Aktivitäten profitieren können?

24. November 2017


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