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ASIEN/905: Pakistan - Verläßliche Fronten ... (SB)


Pakistan - Verläßliche Fronten ...


Zwischen Pakistan und den USA befinden sich die Beziehungen auf dem absoluten Tiefpunkt. Grund ist zweifelsohne die selbstherrliche und schäbige Art und Weise, wie die Amerikaner seit Jahren mit dem pakistanischen Verbündeten umgehen. Seit Washington und Islamabad in den achtziger Jahren gemeinsam für die militärische Niederlage der Sowjetunion in Afghanistan sorgten, geht es in dem bilateralen Verhältnis nur noch bergab. Sollte, wie befürchtet, demnächst die USA in den Krieg mit dem Iran ziehen, sieht es so aus, als könnte Pakistan Partei für Teheran ergreifen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Pakistan eine Atommacht ist, die über geschätzt 125 Nuklearsprengköpfe sowie die dazu gehörigen Trägersysteme - Raketen und Flugzeuge - verfügt.

Erste Risse traten nach indischen und pakistanischen Atomtests 1998 auf. Damals bestraften die USA Pakistan dafür, lediglich das strategische Gleichgewicht zum großen Rivalen Indien aufrechterhalten zu haben, indem sie die Lieferung mehrerer extrem teurer Kampfjets vom Typ F-16 an die pakistanischen Luftwaffe mit dem Argument stornierten, die Flugzeuge eigneten sich zum Transport von Atombomben, man wolle das Wettrüsten auf dem Subkontinent nicht anfeuern. Mit dem Einwand hätten sich die Pakistaner vielleicht abgefunden, doch die gleichzeitige Weigerung der USA, Pakistan sein Geld, mit dem es bereits für die F-16s gezahlt hatte, nicht zu zurückzuerstatten, hat in der pakistanischen Öffentlichkeit für große Empörung gesorgt. Nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 zwangen die USA Pakistan zur Teilnahme am "globalen Antiterrorkrieg", der mit einem Einfall in Afghanistan und dem dortigen Sturz der Taliban-Regierung beginnen sollte. Damals flog der Stellvertretende US-Außenminister Richard Armitage nach Islamabad und erklärte dem damaligen pakistanischen Präsidenten General Pervez Musharraf, entweder leistete Islamabad Schützenhilfe und stellt sein Territorium als Aufmarschgebiet zur Verfügung oder die USA würden die Islamische Republik "in die Steinzeit zurückbomben".

Der Krieg der NATO in Afghanistan, der inzwischen siebzehn Jahre dauert, hat in Pakistan schwere Schäden angerichtet. Weil die pakistanischen Paschtunen ihre Volksgenossen in Afghanistan unterstützen, wurde Pakistans nördliche Grenzregion ebenfalls zum Kriegsgebiet. Infolge heftiger Kämpfe zwischen den pakistanischen Taliban und den staatlichen Streitkräften Pakistans sind ganze Landstriche verwüstet, Zehntausende Menschen getötet worden. Zahlreiche pakistanische Grenzanwohner - die meisten von ihnen Zivilisten - sind CIA-Drohnenangriffen, die völkerrechtlich illegal sind, zum Opfer gefallen.

Unvergessen bleibt in Pakistan auch die Raymond-Davis-Affäre. Wegen der Erschießung zweier Pakistaner auf offener Straße in Lahore 2011 mußte der US-Botschaftsmitarbeiter und mutmaßliche CIA-Agent zwei Monate in Gefängnis verbringen, bis Hillary Clinton und Barack Obama durch die Zahlung von Entschädigungsgeldern an die Opferfamilien ihn freipressen konnten. Um die Pakistaner für ihre Unartigkeit zu bestrafen, griff die CIA, unmittelbar nachdem Davis den pakistanischen Luftraum verlassen hatte, per Drohne das Dorf Datte Khel in Nordwasiristan an und tötete 44 Teilnehmer eines Treffens von Stammesältesten. Fünf Monate später zitierte die Nachrichtenagentur Associated Press ein Mitglied der Obama-Regierung mit der Aussage, die blutigste Einzelaktion des gesamten CIA-Drohnenkrieges sei "Vergeltung für Davis" gewesen, denn "die CIA war zornig".

In Pakistan ärgert man sich zudem seit längerem über den Umgang der USA mit Indien. Im Unterschied zu Islamabad hat Washington Neu-Delhi zu keinem Zeitpunkt wegen des Kernwaffenprogramms sanktioniert oder der indischen Führung wegen ihrer Weigerung, dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten und Indiens Nuklearanlagen für Inspektionen der IAEO zu öffnen, Vorwürfe gemacht. Ganz im Gegenteil haben die USA unter George W. Bush Indien mit der Lieferung ziviler Nukleartechnologie bestochen, um das aufstrebende Riesenreich als Kunde für die eigene Rüstungsindustrie gewinnen und langfristig in seine China-Containment-Strategie einbinden zu können.

Mit Obamas und Clintons neuer Pazifik-Strategie haben die Bemühungen der USA um eine Militärallianz mit Indien nur noch weiter zugenommen. Der Verzicht Washingtons auf eine Vermittlerrolle zwischen Islamabad und Neu-Delhi hat Pakistan in die Arme Chinas getrieben. 2015 hat die Volksrepublik verkündet, für 62 Milliarden Dollar Pakistan an die Neue Seidenstraße anzubinden, dort neue Pipelines, Straßen und Schienenstrecken zu bauen sowie eine ganze Reihe von Sonderwirtschaftszonen anzulegen. Über die strategische Partnerschaft Pakistans und Chinas ist man in Washington überhaupt nicht glücklich. Dies wurde mehr als deutlich, als Präsident Donald Trump am 1. Januar bei seiner ersten Twitter-Meldung des Jahres 2018 behauptet, die USA hätten Pakistan seit 2002 mehr als 33 Milliarden Dollar Finanzhilfe zukommen lassen und im Gegenzug nichts als "Lügen und Betrug" erhalten. Gleichzeitig setzte Washington die Zahlungen, mit denen die USA die Unkosten Pakistans im Antiterrorkampf erstattet, bis auf weiteres aus.

In Pakistan hat man allmählich die Nase gestrichen voll vom Verhalten der USA. Mit Rückendeckung und inoffiziellen Unterstützung des Militärs, der mächtigsten Institution in Pakistan, erlebte die pakistanische Gerechtigkeitsbewegung (Pakistan Tehreek-e-Insaf - PTI) um den einstigen Kapitän der Cricket-Nationalmannschaft einen Siegeszug bei den Parlamentswahlen im vergangenen Juli. Am 18. August wurde Khan, der sich seit Jahren als großer Kritiker des seines Erachtens kontraproduktiven "Antiterrorkriegs" hervortut, Premierminister Pakistans. Als ersten ausländischen Besucher hat Khan am 31. August ausgerechnet den iranischen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif empfangen. Dies war sicherlich als Affront gegenüber den USA gedacht. Schließlich hat Trump im Mai das internationale Atomabkommen mit dem Iran aus dem Jahr 2015 aufgekündigt, seitdem schwere Wirtschaftssanktionen gegen das Land verhängt und mit Krieg gedroht. Bis November wollen die USA den Ölexport des Irans "auf Null" gedrosselt haben, weswegen eine militärische Auseinandersetzung am Persischen Golf unvermeidlich erscheint.

Vor diesem Hintergrund war der zweitägige Staatsbesuch aus Iran in Pakistan eine bemerkenswert selbstbewußte Aktion der neuen Khan-Administration. Die iranische Delegation wurde nicht nur in Islamabad von Khan und Außenminister Shah Mehmood Qureshi, sondern auch im Hauptquartier der pakistanischen Streitkräfte in Rawalpindi von Generalstabschef Qamar Javed Bajwa empfangen. Dort hat man über die "regionale Sicherheitslage" gesprochen. Nach dem Treffen im Außenministerium erklärte Qureshi, Pakistan unterstützte Irans Eintreten für die Einhaltung des Atomabkommens durch alle Unterzeichnerstaaten - wozu auch China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Rußland gehören - und stehe dem Nachbarland "in dieser Stunde der Not" bei.

Gleich am nächsten Tag hat das State Department in Washington die Streichung weiterer 300 Millionen Dollar Ausgleichszahlungen an Pakistan verkündet und die Strafmaßnahme erneut mit dem angeblich mangelnden Einsatz Islamabads im "Antiterrorkrieg" begründet. Am 3. September hat Pakistans Außenminister Qureshi den Schritt der USA heftig kritisiert: "Das sind keine Hilfsgelder ... Das ist unser Geld, denn wir haben es vorgestreckt." Am 5. September wurde Trumps Außenminister Mike Pompeo in Islamabad erwartet. In den US-Medien hieß es, er wolle einen "Neustart" in den amerikanisch-pakistanischen Beziehungen erzielen. Doch angesichts des Kriegskurses der USA gegenüber China und dem Iran wäre ein solcher "Neustart" nur möglich, wenn sich Pakistan erneut den strategischen Interessen der USA unterordnen und mit der Rolle als Büttel Washingtons abfinden würde. Doch dafür scheint die Zeit mittlerweile vorbei zu sein.

5. September 2018


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