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ASIEN/912: Koreakonflikt - Friedensprozeß unabhängig ... (SB)


Koreakonflikt - Friedensprozeß unabhängig ...


Auf der koreanischen Halbinsel kommt die Annäherung zwischen Nord und Süd mit dermaßen festen Schritten voran, daß sich die USA inzwischen Sorgen machen, ihnen entgleite die Kontrolle über die Entwicklung. Aus der Sicht Washingtons sind die Bedenken berechtigt, denn offenbar wollen sich Nord- und Südkoreaner nicht mehr von den USA diktieren lassen, wie sie den seit 1953 im Waffenstillstand befindlichen Krieg beenden und die Wiedervereinigung ihrer beiden Staaten realisieren können. Hinzu kommen starke regionale Impulse. China und Japan streben eine engere politische und wirtschaftliche Kooperation an und wollen die von der Konfrontation zwischen den USA und Nordkorea ausgehenden Spannungen so rasch wie möglich hinter sich bringen.

Als im August der koreanische Friedensprozeß in eine Krise geriet wegen der übertriebenen Erwartungen Washingtons in der Frage der "Denuklearisierung" Nordkoreas, handelte Südkoreas Präsident Moon Jae-in umgehend. Mitte September fuhr er nach Pjöngjang und besprach die Situation mit dem nordkoreanischen Staatsratsvorsitzenden Kim Jong-un. Auf dem mehrtägigen Gipfeltreffen der beiden koreanischen Regierungschefs, das dritte in diesem Jahr, vereinbarten Moon und Kim die Schaffung eines dauerhaften von Vertretern beider Staaten besetzten Verbindungsbüros. Das vierstöckige Bürogebäude, das rund um die Uhr von Ministerialbeamten und Militärs Nord- und Südkoreas besetzt wird, befindet sich auf dem Gelände des Industrieparks Kaesong auf der nördlichen Seite der Grenze. Dort arbeiteten ab 2002 Tausende nordkoreanische Mitarbeiter für südkoreanische Unternehmen. 2016 hat Seoul die Zusammenarbeit in Kaesong als Reaktion auf den ersten Test einer nordkoreanischen Wasserstoffbombe eingestellt und alle 280 dort postierten südkoreanischen Manager abberufen. Wegen des politischen Tauwetters drängen Südkoreas Unternehmen auf die Wiedereröffnung Kaesongs, die, wenn alles gut läuft, Ende 2018, Anfang 2019 erfolgen soll.

Über den Entschluß, in Kaesong das erste Nord-Süd-Verbindungsbüro der koreanischen Geschichte einzurichten, soll die Regierung von US-Präsident Donald Trump mächtig sauer gewesen ein; zum einen, weil Moon den Schritt nicht von Washington vorab hat absegnen lassen und zum anderen, weil nach Ansicht des State Department die Wiederaufnahme der Stromversorgung in Kaesong durch Südkorea - und sei es nur in diesem begrenzten Ausmaß - gegen die vom UN-Sicherheitsrat gegen Nordkorea verhängten Wirtschaftssanktionen verstoße und damit Trumps "Politik des maximalen Drucks" unterlaufe. Nach der Rückkehr nach Seoul soll Moon am Telefon einen aufgebrachten Mike Pompeo erlebt haben. Die neokolonialistischen Vorhaltungen des US-Außenministers sollen, nachdem sie an die Presse durchsickerten, in der südkoreanischen Öffentlichkeit einen ganzen schlechten Eindruck hinterlassen haben. Das gleiche gilt für die abfällige Äußerung Trumps beim Interview mit Lesley Stahl in der "60 Minutes"-Sendung von CBS am 14. Oktober, die Südkoreaner "unternehmen nichts ohne unsere Zustimmung".

Die Frage Stahls, die Trump zu der beleidigenden Aussage veranlaßt hatte, basiert auf Spekulationen amerikanischer Hardliner, Seoul wolle die UN-Sanktionen gegen Nordkorea lockern - notfalls auch einseitig. Soweit ist die Moon-Regierung noch lange nicht. Gleichwohl nutzt sie die günstige politische Großwetterlage, um ihre eigene Entspannungspolitik voranzutreiben und das "Regime" in Pjöngjang mittels wirtschaftlicher und diplomatischer Anreize bei seinem Friedenskurs zu unterstützen. Anfang Oktober haben nordkoreanische und südkoreanische Militärs mit der Minenräumung um das sogenannte "Friedensdorf" Panmunjom, das mitten in der De-Militarisierten Zone (DMZ) am 38. Breitengrad liegt, begonnen. Dort hatten sich am 27. April Kim und Moon getroffen und nach mehrstündigen Beratungen die "Erklärung von Panmunjom" unterzeichnet, in der sich die beiden Staatsmänner zum Ziel der friedlichen Wiedervereinigung Koreas bekannten.

Am 21. Oktober beschlossen die Militärs beider Seiten nach zweiwöchiger Beratung die komplette Demilitarisierung Panmunjoms. Um das "Friedensdorf" sollen in den kommenden Tagen alle schweren Waffen abgezogen und das Gelände des "Joint Security Area" (JSF) künftig nur noch von unbewaffneten 70 Soldaten und Offizieren - jeweils 35 von Nord- und Südkorea - bewacht und kontrolliert werden. Zwei Tage später haben die Regierungen in Seoul und Pjöngjang die Entscheidung ratifiziert. Am 26. Oktober gaben die Militärs in Panmunjom den nächsten gemeinsamen Schritt zur Schaffung eines "stabilen Friedens" zwischen Nord- und Südkorea bekannt. 22 Grenzposten - von jeder Seite jeweils elf - sollen komplett aufgegeben und abgebaut werden.

Seit Monaten arbeiten Bauarbeiter auf beiden Seiten der Grenze an der Errichtung erster neuer Straßen- und Bahnverbindungen über die innerkoreanische Grenze hinweg. Noch im Juli hatten US-Militärs an der DMZ die Probefahrt eines südkoreanischen Zuges auf nordkoreanischen Gleisen verhindert - angeblich weil sie nicht vorab ausreichend informiert gewesen seien. Nichtsdestotrotz kommt man beim Projekt zur Wiederherstellung logistischer Verbindungen auf der koreanischen Halbinsel dermaßen gut voran, daß Moon bereits vor wenigen Tagen für Dezember eine feierliche Zeremonie zur Eröffnung der ersten grenzüberwindenden Straße und Bahnstrecke anberaumt hat.

Dies deckt sich mit den Erwartungen, die der chinesische Präsident Xi Jinping und der japanische Premierminister Shinzo Abe auf ihrem Gipfeltreffen am 26. Oktober in Peking ausgelöst haben. Dort war von der Schaffung einer Freihandelszone China-Japan-Korea die Rede - ganz so, als sei Nord und Süd bereits wiedervereinigt. Mögen Pompeo und Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton auch nörgeln, fast scheint es, als seien sie von der Geschwindigkeit der Veränderungen in Korea etwas überrumpelt worden. Da tritt das Pentagon etwas flexibler auf. Bereits am 19. Oktober gaben US-Verteidigungsminister James Mattis und sein südkoreanischer Amtskollege Jeong Kyeong-doo die Aussetzung des geplanten Kriegsspiels Vigilant Ace bekannt, "um dem diplomatischen Prozeß jede Gelegenheit, sich fortzusetzen, einzuräumen". Weiter so, kann man dazu nur sagen.

30. Oktober 2018


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