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ASIEN/918: Pakistan - Vor- und Nachteilsachsenstellung ... (SB)


Pakistan - Vor- und Nachteilsachsenstellung ...


Beim "großen Spiel" um Zentralasien kommt an Pakistan niemand mehr vorbei. Ungeachtet der aktuellen Schwäche der pakistanischen Wirtschaft spielen Islamabad und Rawalpindi die diplomatische und die militärische Karte gekonnt aus. Die jüngsten Friedensverhandlungen für Afghanistan unter Teilnahme der Taliban sowie die Bombenanschläge auf zwei Militärkonvois, die am 12. Februar im östlichen Iran 27 Mitgliedern der Revolutionsgarden und zwei Tage später in Kaschmir 44 Angehörigen der indischen Streitkräfte das Leben kosteten, machen dies deutlich. Nicht umsonst hat bei seinem zweitägigen Besuch am 17. und 18. Februar in Pakistan Saudi-Arabiens Kronprinz und designierter Thronnachfolger Mohammed Bin Salman (MBS) dort Investitionen in Höhe vonmehr als 20 Milliarden Dollar getätigt.

Als der Journalist Jamal Khashoggi im vergangenen Oktober im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet wurde und die westliche Welt auf Distanz zu MBS ging, konnte Pakistans frischgewählter Premierminister, das einstige Cricket-Idol und langjähriger Oppositionsführer Imran Khan, durch die demonstrative Teilnahme an einer großen Wirtschaftsmesse in der saudischen Hauptstadt Riad Punkte sammeln. Kurz zuvor hatten die Saudis Pakistan eine Finanzspritze in Höhe von neun Milliarden Dollar zukommen gelassen, um Islamabads Bonität zu unterstreichen.

Pakistan und Saudi-Arabien sind schon länger wichtige Verbündete. Ohne die Hilfe von schätzungsweise 65.000 pakistanischen Soldaten wäre Saudi-Arabien schon vor Jahren vermutlich von der Landkarte getilgt werden. Beim Krieg der afghanischen Mudschaheddin gegen die Sowjetarmee in den achtziger Jahren haben Islamabad und Riad eng zusammengearbeitet. In den neunziger Jahren sollen die Saudis das pakistanische Atomwaffenprogramm heimlich finanziert haben, weshalb schon länger Gerüchte kursieren, der Generalstab in Rawalpindi halte auf einem Flugplatz im südwestlichen Pakistan, nahe am Persischen Golf, ein kleines Arsenal an Atomsprengköpfen für den Gebrauch Saudi-Arabiens im Notfall stets abflugbereit.

2015 kam es zu einer Eintrübung der bilateralen Beziehungen, als sich das Parlament in Islamabad gegen eine Teilnahme der pakistanischen Armee am Feldzug der Saudis und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gegen die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen entschied. Nachdem sich der geplante Blitzsieg in ein militärisches und humanitäres Desaster verwandelte, das heute noch anhält, hat sich der damalige Beschluß Islamabads als Segen für Pakistan erwiesen. Die Abneigung der Pakistaner gegenüber einer Teilnahme am Militärabenteuer im arabischen Armenhaus Jemen hing mit den schweren Auswirkungen des Afghanistankriegs der USA und ihren NATO-Verbündeten zusammen. Der Krieg destabilisiert seit 2001 Pakistans Grenzregion, forderte dort Tausende von Menschenleben und verwüstete ganze Landstriche.

Seit Ende 2018 führen Vertreter der US-Regierung in der katarischen Hauptstadt Doha mit den Taliban ganz offen Verhandlungen, die auf eine Reintegrierung der einstigen Koranschüler in den politischen Prozeß Afghanistans und auf ein Ende des Konflikts dort abzielen. Für die Teilnahme der Taliban an den Gesprächen soll Pakistan, das der Führung der Gruppe seit Jahren in Quetta, Hauptstadt der westpakistanischen Provinz Belutchistan, Unterschlupf gewährt, gesorgt haben. Auch wenn sich die Taliban bis jetzt Verhandlungen mit der aus ihrer Sicht "Marionetten"-Regierung in Kabul verweigern, sind die Dinge am Hindukusch in den letzten Wochen und Monaten ganz schön in Bewegung gekommen. Dies zeigt die große zweitägige Afghanistan-Runde, die Anfang Februar in Moskau unter der Schirmherrschaft Rußlands stattfand. Geplant war anläßlich des Besuchs von MBS in Pakistan, daß dieser zusammen mit Imran Khan in Islamabad Gespräche mit Vertretern der Taliban führen sollte. Das spektakuläre Treffen wurde quasi in letzter Minute gestrichen, nachdem zuvor Afghanistans Präsident Ashraf Ghani bei den Vereinten Nationen in New York eine formelle Protestnote dagegen eingereicht hatte.

In einem Beitrag für seinen Blog Indian Punchline hat am 18. Februar der ehemalige indische Diplomat M. K. Bhadrakumar die Vermutung geäußert, daß Pakistan die Taliban dazu nötigen wird, sich mit einer kleinen Präsenz amerikanischer Streitkräfte - unter dem Vorwand der "Terrorbekämpfung" bzw. der Ausbildung der afghanischen Armee - abzufinden, um sich wieder aktiv an der regulären Politik ihres Landes beteiligen zu können. Bhadrakumar meinte, Pakistan spiele Indien in Sachen internationaler Politik an die Wand, habe seinen Einfluß in Afghanistan gefestigt und sich als Vermittler im Kaschmir-Konflikt positioniert, weswegen Neu-Delhi dringend seine Beziehungen zu Teheran wieder ausbauen sollte.

Interessanterweise wollte MBS auf der zweiten Station seiner Dreiländerreise, nämlich in Indien, versuchen, die Wogen zwischen Islamabad und Neu-Delhi etwas zu glätten. Ob ihm das gelingt, wird sich nicht sofort zeigen. Erst muß die indische Politik den eingangs erwähnten schweren Bombenanschlag im kaschmirischen Pulwama verdauen, für den gleich am Tag des Geschehens ohne handfeste Beweise die hindunationalistische Regierung um Premierminister Narendra Modi die Pakistaner verantwortlich gemacht hatte. Bezeichnend ist jedenfalls die Tatsache, daß zu den von MBS in Pakistan angeschobenen Projekten der Bau einer großen Ölraffinerie in Gwadar gehörte. Die Hafenstadt in Belutschistan an der Einfahrt zum Persischen Golf nimmt eine Schlüsselstellung im 62 Milliarden Dollar teuren Mammutprojekt von China, Pakistan mittels Pipelines, Schnellstraßen, Bahnlinien und Industrieparks in die neue Seidenstraße der Volksrepublik einzubinden, ein. Offenbar soll über die Pipelines, die demnächst Gwadar mit der ostschinesischen Autonomieregion Xinjiang verbinden werden, irgendwann auch Öl aus Saudi-Arabien fließen.

Presseberichten zufolge will sich auch Rußland für zwei Milliarden Dollar mit mehreren Kraftwerken am China-Pakistan-Economic Corridor (CPEC) beteiligen. Alle diese Investitionen machen aber dann erst Sinn, wenn sich die Lage in Belutschistan, in den pakistanischen Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan, in Afghanistan selbst sowie in Kaschmir beruhigt hat und dort kein Aufstand gegen die jeweilige Zentralregierung tobt. Auch der Bau der schon länger geplanten Iran-Pakistan-Indien-Pipeline kann nur dann vollendet und zur Energielieferung genutzt werden, wenn Indien und Pakistan mittels geheimdienstlicher Umtriebe die Belutschen respektive die Kaschmiris nicht mehr aufwiegeln. Auch muß ein Weg gefunden werden, die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran abzubauen. Hier kommt Imran Khan, der sich schon länger als Gegner der amerikanischen Regimewechselbestrebungen in Teheran positioniert hat, eventuell eine wichtige Vermittlerrolle zu. Nicht zufällig hat ein Tag vor der Ankunft von MBS in Peking die chinesische Führung eine ranghohe Delegation aus Teheran, darunter Außenminister Mohammed Javad Zarif, empfangen und dabei das "strategische Vertrauen" der Volksrepublik gegenüber dem Iran gelobt.

20. Februar 2019


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