Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

JUSTIZ/642: Erzwungener Schuldspruch im Miami-Terrorprozeß (SB)


Erzwungener Schuldspruch im Miami-Terrorprozeß

Obamas Rechtsstaat läßt die "Liberty City 5" hängen


Von dem Ende der Regierungszeit des reaktionären Republikaners George W. Bush und dem Einzug des liberalen Demokraten Barack Obama ins Weiße Haus haben sich weltweit Zigmillionen von Menschen, darunter ein Großteil der US-Bevölkerung, vieles erhofft - darunter auch ein Ende des unsäglichen "globalen Antiterrorkrieges". Zwar hat Obama einige kosmetische Veränderungen durchgeführt, wie daß er die schnellstmögliche Schließung des umstrittenen Gefangenenlagers auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay verfügte, die Anwendung von Folter durch Untergebene der CIA und des Pentagons strikt verbot und den Global War on Terror (GWoT) in Overseas Contingency Operations (OCO) umbenennen ließ, dennoch geht der Krieg gegen den "internationalen Terrorismus" unvermindert weiter. Obama will die Jagd nach Osama Bin Laden sogar forcieren und damit den ohnehin eskalierenden Krieg in Afghanistan auf Pakistan ausweiten. Gleichzeitig will er genauso wie Bush die Prozesse gegen die mutmaßlichen Mitglieder des Al-Kaida-"Netzwerkes", die sich in Guantánamo befinden, vor einem Militärtribunal stattfinden lassen, statt ihnen den Zugang zu einem ordentlichen Gericht auf dem amerikanischen Festland zu gewähren.

Der eigentliche Grund für die Haltung der Obama-Administration in dieser Frage ist die Tatsache, daß praktisch alle mutmaßlichen Al-Kaida-"Terroristen" in Guantánamo jahrelang gefoltert worden sind. Folglich sind ihre selbstbelastenden Aussagen von geringem bis gar keinem juristischen Wert, und ihre Anwälte hätten bei einem Strafrechtsprozeß in den USA gute Chancen, einen Freispruch zu erzielen und in der Folge Schadensersatz in Millionenhöhe zu stellen. Für die Anhänger des Antiterrorkrieges, die innerhalb der demokratischen und der republikanischen Partei in Washington das Sagen haben, ist das ein Szenario, das man unter gar keinen Umständen zu akzeptieren bereit wäre. Deshalb behaupten die Obama-Administration und ihre demokratischen Parteikollegen im Kongreß, die Prozesse gegen Khalid Sheikh Mohammed, Ramsi Binalshibh und Konsorten müßten "aus Gründen der nationalen Sicherheit" vor Militärtribunalen stattfinden, damit bloß keine geheimdienstlichen "Erkenntnisse" in die Hände des Feindes gelangen, während die Republikaner derzeit einen wahren Affenaufstand wegen der Überlegung veranstalten, nach einem entsprechenden Urteil die islamistischen "Terroristen" in Hochsicherheitstrakten in den USA unterzubringen.

Den unerbittlichen Willen des US-Sicherheitsapparats zur Durchsetzung seines ideologischen Konstrukts einer angeblich herrschenden, existentiellen Bedrohung der ganzen westlichen Zivilisation durch eine Handvoll todesbereiter Moslem-Fundamentalisten zeigt der Umgang der Behörden mit einer Gruppe armer, dunkelhäutiger Haitianer aus Miami, die man 2006 mit der Behauptung festnahm, sie wären Mitglieder einer Al-Kaida-Zelle und planten die Sprengung des Sears Tower in Chicago. Bereits zweimal - im Dezember 2007 und erneut im April 2008 - kam es zwangsläufig zum Verfahrensabbruch, weil die Geschworenen die Beweise gegen die Männer für unzureichend hielten. Bei dem zweiten Prozeß wurde der damals 32jährige Lyglenson Lemorin sogar freigesprochen. Gegen die restlichen sechs haben die Behörden erneut prozessiert und am 12. April, sozusagen im dritten Anlauf, doch noch Schuldsprüche erreicht. Worum es in diesem dubiosen Fall geht, hatte der Schattenblick bereits letztes Jahr in dem Artikel "JUSTIZ/626: Al- Kaida-Prozeß in Miami wegen Beweismangels geplatzt" ausführlich und wie folgt geschildert:

Am 22. Juni 2006 führten schwerbewaffnete FBI-Agenten in Liberty City, einem der ärmsten Viertel von Miami, in dem viele Einwanderer aus Haiti leben, eine Großrazzia durch und nahmen sieben Mitglieder der religiösen Gemeinde Seas of David, die Elemente aus dem Christentum, Judentum und Islam miteinander verbindet, fest. Am folgenden Tag gab der damalige Justizminister Alberto Gonzales eine Pressekonferenz, auf der er stolz die gelungene Vereitelung des vielleicht gefährlichsten Komplotts seit den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 bekanntgab. Demnach hätten die "Liberty City 7", wie die sieben armen, meist arbeitslosen Schwarzen von der Presse genannt wurden, die "globale Dschihad-Bewegung" um Al Kaida "materiell" unterstützt und geplant, mit mehreren spektakulären Anschlägen einen heiligen Krieg auf dem Territorium der USA vom Zaun zu brechen und das Land ins Chaos zu stürzen.

Trotz der 11seitigen Anklageschrift und der Tatsache, daß den angeblichen Möchtegern-Dschihadisten im Falle eines Schuldspruchs Haftstrafen von bis zu 70 Jahren drohten, sprang schon damals der Mangel an Beweisen ins Auge. Bei der Razzia waren weder Sprengstoffe noch Waffen noch Munition sichergestellt noch irgendwelche handfesten Hinweise auf die Existenz konkreter Anschlagspläne gefunden worden. Trotz der großen Bedrohung, welche man angeblich erfolgreich hatte beseitigen können, räumten die Behörden selbst ein, daß sich der Komplott lediglich in einem "embryonalen", will heißen, extrem frühen Stadium befunden hatte. Wie früh, sollte man im Verlauf der beiden Prozesse aus den heimlich aufgenommenen Tonband- und Videomitschnitten des FBI erfahren.

Es stellte sich heraus, daß die eigentlichen Hauptinitiatoren der "Verschwörung" das FBI und zwei bezahlte Informanten waren. Im Herbst 2005 soll der 23jährige Jemenit Abbas Al Saidi mit dem Hinweis an die US-Bundespolizei, der er seit seinem 16. Lebensjahr als Spitzel diente, herangetreten sein, ein Bekannter von ihm und dessen Freunde aus dem Moorish Science Temple, wo sich die Gruppe Seas of David traf, planten die Errichtung eines islamischen Staates in den USA. Bei dem Bekannten handelte es sich um Batiste, einen arbeitslosen Bauarbeiter und Vater vierer Kinder. Es spricht vieles dafür, daß Al Saidi mit diesem Hinweis dem FBI einen Gefallen tun wollte, schließlich hatten ihn ein Jahr zuvor seine Kontakte bei der Polizei davor bewahrt, wegen Mißhandlung seiner Freundin ins Gefängnis zu wandern.

Nach Erhalt besagten Hinweises hat das FBI Al Saidi aufgetragen, Batiste und Co. anzubieten, er könne eventuell für sie über seine Verbindungen im Jemen - bekanntlich das Stammland der Bin-Laden-Familie und eine Hochburg des islamischen Fundamentalismus - den Kontakt zu Al Kaida herstellen. Später stellte Al Saidi der Gruppe um Batiste unter dem Pseudonym "Muhammed" einen weiteren FBI-Informanten, den aus dem Libanon stammenden Elie Assad, der ebenfalls wegen häuslicher Gewalt mit dem Gesetz in Konflikt geraten und deshalb leicht erpreßbar war, als Al-Kaida-Finanzmann vor. Was danach im Rahmen der sogenannten Verschwörung geschah, erfolgte fast ausschließlich auf Initiative der beiden Spitzel, die für ihre Beteiligung an der ganzen Charade mehr als 130.000 Dollar vom FBI erhalten haben. Assad hat später sogar wegen seines treuen Dienstes für den amerikanischen Staat politisches Asyl erhalten.

Dem vermeintlichen Al-Kaida-Verbindungsmann Assad präsentierte der Arbeitslose Batiste eine Liste von Forderungen, darunter kniehohe Stiefel, schwarze Uniformen, automatische Pistolen, Autos und ein Allradwagen mit schwarzgetönten Scheiben, jedoch keinen Sprengstoff - was gegen die These von der Anschlagsplanung spricht. Mit den Worten "Ich bin finanziell ausgelaugt. Wir haben nichts" verlangte Batiste zudem 50.000 Dollar in Bar. Vor Gericht hat die Verteidigung den Standpunkt vertreten, die Angeklagten, die allesamt auf unschuldig plädierten, hätten gar keine Anschlagspläne verfolgt, sondern lediglich in ihrer unbestreitbaren materiellen Not mit vagen Versprechungen versucht, Geld von einem scheinbar reichen Araber zu erschwindeln.

Zwar haben einige der "Liberty City 7" im Frühjahr 2006 ein paar Fotos vom örtlichen Regionalbüro des FBI und einem Gerichtsgebäude in Miami gemacht, jedoch erfolgte dies auf Veranlassung Assads, der dafür das Fahrzeug und die Digitalkamera - beide stammten von der Polizei - zur Verfügung gestellt hatte (Die Digitalkamera versetzte Batiste später für 56 Dollar, um Essen für seine Familie kaufen zu können - was Bände über die Verhältnisse spricht, in denen die Beschuldigten lebten). Weil "Muhammed" mit dem geforderten Finanzmitteln nicht rüberkam, wurden die Männer von Seas of David dem vermeintlichen Al-Kaida-Mann gegenüber immer skeptischer und gingen auf dessen Ideen hinsichtlich gemeinsamer Unternehmungen auf Distanz. Daraufhin erklärte Assad der Batiste-Gruppe, bevor das Geld fließe, müßte sie einen Eid auf Al Kaida leisten. Darauf ließen sich einige der "Liberty City 7" ein und bekannten sich in einem Lagerhaus, das vom FBI gemietet und anschließend mit versteckten Videokameras präpariert worden war, zu den Zielen der Bin-Laden-Truppe. Die Videoaufnahme dieses skurrilen Ereignisses stellte im Verfahren das wichtigste Element des Belastungsmaterials dar.

Nach einem erneuten Prozeß, bei dem praktisch die gleichen Beweise von der Staatsanwaltschaft präsentiert wurden, brauchte die neue zwölfköpfige Jury - neun Frauen und zwei Männer - zwei Wochen, um sich einig zu werden. Zwei Geschworene stiegen während dieser Phase aus - die eine Person, weil sie krank geworden war, die zweite, weil sie mit den übrigen Geschworenen nicht klar kam. Dies und die Urteile lassen erkennen, unter was für einem ernormen Druck die Geschworenen in diesem Fall standen, einen Schuldspruch zu fällen. Der 35jährige Narseal Batiste, der vermeintliche Rädelsführer der Gruppe, wurde in allen vier Anklagepunkten, darunter "Planung eines Krieges gegen die Vereinigten Staaten", schuldig gesprochen; ihm drohen nun 70 Jahre Freiheitsstrafe. Der 29jährige Patrick Abraham wurde in drei Anklagepunkte für schuldig befunden; ihm drohen 50 Jahre Haft. Der 25jährige Rotschild Augustine, der 24jährige Burson Augustin und der 33jährige Stanley Grant Phanor wurden in zwei Anklagepunkten schuldig befunden, eine terroristische Organisation "materiell unterstützt" zu haben; ihnen drohen bis zu 30 Jahre Gefängnis. Einzig der 25jährige Naudimar Herrera wurde freigesprochen.

Während sich die Bundesstaatsanwalt nach Verkündung des Urteils gegenüber der Presse zufrieden über den vermeintlichen Etappensieg gegen das Urböse zeigte, gab die Verteidigung bekannt, daß sie innerhalb der vorgesehenen Frist von 30 Tagen Antrag auf ein Revisionsverfahren stellen wird. In einem Artikel, der in der New York Times unter der Überschrift "Five Convicted in Plot to Blow Up Sears Tower" am 13. Mai erschienen ist, zitierten Damien Cave und Carmen Gentile Jonathan Turley, Professor an der George Washington Law School und einen der führenden Rechtsgelehrten der USA, mit folgendem, vernichtenden Urteil über den skandalösen Ausgang des dritten Prozesses gegen die Gruppe von Liberty City: "Die Tatsache, daß sich die Geschworenen bei den beiden vorangegangenen Prozessen nicht einigen konnten, zeigt, daß das Justizministerium Probleme hatte, Beweise zu präsentieren, die seine Rhetorik deckten. Es [der Prozeßausgang] zeigt, daß man es nur häufig genug versuchten muß, bis man eine Jury findet, die auf Basis sehr weniger Beweise einen Schuldspruch fällt."

13. Mai 2009