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JUSTIZ/669: US-Gericht bestätigt Tötungsrecht des Präsidenten (SB)


US-Gericht bestätigt Tötungsrecht des Präsidenten

Der nationale Sicherheitsstaat hebt die US-Verfassung aus den Angeln


Als Millionen von Demokraten und Politverdrossene im November 2008 für die höchste Beteiligung an einer US-Präsidentenwahl seit Jahrzehnten sorgten, machten sie Barack Obama zum ersten schwarzen Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten nicht zuletzt deshalb, weil der Absolvent der Jura-Schule der Harvard Universität einen radikalen Bruch mit der Willkürherrschaft der Ära des Republikaners George W. Bushs mit ihren "außergewöhnlichen Überstellungen" und geheimen Folterkerkern der CIA im Ausland u. v. m. versprach. Nach dem Einzug ins Weiße Haus würde er der US-Verfassung wieder Geltung verschaffen und die umstrittene Lehre der Republikaner von der Allmacht des Präsidenten in Zeiten des "globalen Antiterrorkrieges" entsorgen, so Obama im Wahlkampf.

Zwei Jahre später sieht die Bilanz verheerend aus. Zwar hat Obama gleich am ersten Amtstag die Schließung von Guantánamo Bay und der "black sites" der CIA angeordnet, doch die faktische Auswirkung seines Ukas ist sehr begrenzt geblieben. Im Kongreß haben die republikanischen Chauvinisten aus angeblicher Sorge um die Sicherheit ihrer Mitbürger die Pläne Obamas zur Verlegung mutmaßlicher Mitglieder des Al-Kaida-"Netzwerkes" von Kuba in die USA zwecks strafrechtlicher Behandlung blockiert und damit die Schließung von Guantánamo Bay erfolgreich verhindert. Zwar wurden die geheimen Folteranlagen des US-Auslandsgeheimdienstes im Übersee offiziell aufgelöst, doch nach Angaben von Obamas eigenem CIA-Chef Leon Panetta wird an der Verschleppung von mutmaßlichen "Terroristen" festgehalten, nur daß solche glücklosen Menschen nicht mehr von aufrechten Amerikanern, sondern nur noch von den arabischen Schergen irgendwelcher Washington wohlgesonnener Unrechtsregime im Nahen Osten wie Ägypten, Algerien, Jordanien, Marokko oder Saudi-Arabien zum Reden gebracht werden.

Es kommt noch schlimmer. Statt wie versprochen die Eigenmächtigkeiten des nationalen Sicherheitsstaats einzudämmen, hat Obama diese sogar erweitert. Hatte Bush für sich als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte reklamiert, ohne irgendeine richterliche Überprüfung die Tötung eines jeden ausländischen "Terroristen" anordnen zu können, hat Obama diesen präsidialen Anspruch auf die eigenen Mitbürger ausgeweitet und ihn sogar vor einem Bundesgericht in Washington durchgesetzt. Am 6. Dezember hat John Bates, Richter am U. S. District Court in der Hauptstadt Washington D. C., dem Antrag der Obama-Regierung stattgeben und eine Klage gegen die geplante Tötung des 39jährigen "Terrorpredigers" Anwal Al-Awlaki abgewiesen, der in den USA aufgewachsen ist, dort studiert hat und sich seit 2004 im Jemen aufhalten soll.

Al-Awlaki, der im Bundesstaat New Mexiko als Kind jemenitischer Eltern geboren wurde und die Staatsbürgerschaft sowohl des Jemens als auch der USA besitzt, wird seit rund einem Jahr als größte Bedrohung der nationalen Sicherheit Amerikas gehandelt. Angeblich hat er in San Diego Khalid Al-Midhar und Nawaf Al-Hasmi auf ihre Beteiligung an den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 vorbereitet und vom Jemen aus den Nigerianer Umar Farouk Abdullahmuttalab, der am 25. Dezember 2009 eine Passagiermaschine bei der Landung in Detroit mit einer Unterhosenbombe in die Luft zu jagen versuchte, auf die geplante Todesreise geschickt.

Darüber hinaus sollen er und seine angebliche Organisation "Al Kaida auf der arabischen Halbinsel" für die beiden Paketbomben verantwortlich gewesen sein, die Ende Oktober in Transportflugzeugen der Kurierdienste United Parcel Service (UPS) und Federal Express (FedEx) sichergestellt und entschärft werden konnten. Fest steht lediglich, daß Al-Awlaki mit seinen auf irgendwelchen islamistischen Webseiten erscheinenden, vehementen Jihad-Aufrufen gegen die USA und ihre Verbündeten zum "Osama Bin Laden des Internets" aufgestiegen ist und auf diesem Weg einige offenbar leicht beeinflußbare Menschen "radikalisiert" haben soll, darunter den US-Militärpsychologen Major Nidal Hassan, der im Oktober 2009 auf dem Stützpunkt Fort Hood in Texas Amok gelaufen ist und dabei 13 Kameraden erschossen hat.

Im vergangenen Frühjahr ließen irgendwelche Vertreter der US-Regierung, ohne natürlich namentlich in Erscheinung zu treten, durchsickern, daß Al-Awlaki auf die Todesliste der CIA und der amerikanischen Spezialstreitkräfte gesetzt worden war. Daraufhin haben im September die American Civil Liberties Union (ACLU) und das Center for Constitutional Rights (CCR) im Auftrag von Al-Awlakis Vater, Nasser Al-Awlaki, der in Sana'a als Hochschulprofessor lehrt, Klage beim Bundesbezirksgericht in Washington eingereicht. Die Klage richtete sich namentlich gegen Präsident Obama, den CIA-Direktor Panetta und den US-Verteidigungsminister Robert Gates. Die Anwälte der ACLU und des CCR vertraten den Standpunkt, daß der Hinrichtungsbefehl für Al-Awlaki einen beispiellosen Verstoß gegen dessen in der Verfassung verbrieftes Recht auf Unversehrtheit und ein Leben ohne staatliche Willkür darstellt. Sie verlangten auch zu erfahren, nach welchen Kriterien das Weiße Haus, die CIA und das Pentagon einen Bürger der Vereinigten Staaten für vogelfrei erklären könnten.

Vor Gericht haben die Bürgerrechtler von der ACLU und dem CCR eine herbe Niederlage erlitten. Erstens hat der Richter Bates Al-Awlakis Vater, weil er ein Bürger der Jemenitischen Arabischen Republik ist, das Recht abgesprochen, als Kläger gegen die geplante Hinrichtung seines Sohnes aufzutreten. Darüberhinaus hat er in seinem Urteil "erkannt ..., daß es Umstände gibt, unter denen die unilaterale Entscheidung der Exekutive, einen US-Bürger in Übersee zu töten ... juristisch unüberprüfbar ist". In Reaktion auf den Ausgang des Verfahrens bezeichnete Jameel Jaffer, stellvertretender Rechtsdirektor der ACLU, im Namen seiner Organisation, die Entscheidung von Bates als einen "schweren Fehler". "Es wäre schwierig, sich eine These vorzustellen, die noch mehr gegen die US-Verfassung verstößt und eine noch größere Gefahr für die Freiheit Amerikas darstellte", als daß die Regierung in Washington "über die unüberprüfbare Autorität verfügt, jedweden Amerikaner, wo auch immer, gezielt zu töten", so Jaffer.

9. Dezember 2010