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JUSTIZ/672: Affäre um Bradley Manning diskreditiert Barack Obama (SB)


Affäre um Bradley Manning diskreditiert Barack Obama

Hillary Clintons Sprecher wegen allzu deutlicher Worte entlassen


Im Präsidentschaftswahlkampf 2008 hat sich Barack Obama als derjenige verkauft, der die US-Streitkräfte aus dem Irak nach Hause bringen und den von eigenmächtigen Umgang der Regierung George W. Bush mit dem Gesetz beenden werde. Unter seiner Administration würde die Einhaltung von Verfassung und internationaler Abkommen oberstes Prinzip sein; nur durch die Achtung und Einhaltung zivilisatorischer Mindeststandards ließe sich den Kampf gegen den "internationalen Terrorismus" gewinnen, so damals der junge demokratische Senator aus Illinois. Deswegen hat Obama nach der gewonnenen Wahl am ersten vollen Arbeitstag im Weißen Haus Ende Januar 2009 verfügt, daß das umstrittene Internierungslager in Guantánamo Bay innerhalb eines Jahres aufgelöst wird, daß alle geheimen Foltergefängnissen der CIA im Ausland, die sogenannten "black sites", sofort geschlossen werden und daß die Angehörigen des US-Auslandsgeheimdienstes keine Vernehmungspraktiken, die über die im Handbuch des Pentagons vorgeschriebenen hinaus gehen, anwenden dürfen.

Zwei Jahre später sieht das Ergebnis von Obamas versprochenem "Wandel, an dem man glauben" könne, mager aus. Statt mutmaßliche ausländische "Terroristen" selbst zu foltern, behält es sich die CIA nach Aussage ihres eigenen Direktors Leon Panetta vor, gegebenenfalls die Schergen befreundeter Geheimdienste im Nahen Osten damit zu beauftragen. Am 7. März hat Obama in seinem Kampf gegen die reaktionären, sich stets patriotisch gebenden Republikaner im Kongreß um die Verlegung von "Terroristen" von Guantánamo Bay in die USA, um sie dort vor zivile Gerichte zu bringen, aufgegeben und sein Veto gegen die Durchführung von Militärtribunalen auf dem US-Marinestützpunkt auf Kuba aufgehoben. Die Peinlichkeit der Kapitulation wurde verstärkt, als sich Obama vier Tage später bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus erstmals mit einer Frage hinsichtlich des Schicksals des inhaftierten Gefreiten Bradley Manning konfrontiert sah, der als mutmaßliche Quelle derjenigen geheimen US-Regierungsdokumente, die seit Monaten das Enthüllungsportal Wikileaks veröffentlicht, unter Anklage steht.

In die schwierige Lage hatte Philip Crowley, der Sprecher von Außenministerin Hillary Clinton, durch eine kritische Bewertung der Behandlung Mannings seitens der Leitung des Gefängnisses auf dem Gelände des Stützpunktes Quantico der US-Marineinfanterie im Bundesstaat Virginia, Präsident Obama gebracht. Crowley, ein ehemaliger Offizier der US-Luftwaffe, der während der Präsidentschaft von Bill Clinton Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats war, hatte sich bei einer Diskussion im Anschluß an einen Auftritt am 10. März am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) auf eine Frage bezüglich der Kontroverse um die Behandlung von Manning und deren Auswirkungen auf den Ruf der USA eingelassen. Seit der Überstellung von Kuwait nach Quantico im vergangenen Juli wird Manning unter Bedingungen der "maximum security" gefangen gehalten. Er befindet sich in Isolationshaft und darf jeden Tag für nur 30 Minuten aus seiner Zelle zu einem kurzen Spaziergang heraus. Er darf keine Zeitung lesen oder sich per Radio und Fernsehen über die aktuelle Weltlage informieren.

Aus angeblicher Sorge, Manning könnte sich umbringen, muß er seit Monaten ohne Kissen und Decke schlafen. Weil er sich vor kurzem über diese Maßnahme lustig machte, muß er seit dem 2. März nachts sogar nackt schlafen. Gegen die Sonderbehandlung Mannings, die im CIA-Gebrauch "no-touch torture", "Folter ohne Anrühren", heißt, laufen seit Monaten Bürgerrechtsorganisationen wie die American Civil Liberties Union (ACLU) und Amnesty International Sturm. Wegen des Verdachts der Folter haben sogar die Verantwortlichen bei den Vereinten Nationen eine Ermittlung gegen die USA eingeleitet. Ebenfalls am 10. März hatte Mannings Anwalt David Coombs einen elfseitigen Brief seines Mandanten veröffentlicht, in dem der 23jährige Gefreite die Details seiner Drangsalierung beschreibt und sich darüber beschwert. Für den Verdacht, daß die US-Militärbehörden Manning weichzukochen versuchen, um ihn zu einer belastenden Aussage gegen den Wikileaks-Begründer Julian Assange zu bewegen, spricht die Tatsache, daß Quanticos eigene Psychiater den prominenten Gefangenen in den zurückliegenden Monaten mehrmals untersucht und ihm bescheinigt haben, von selbstmörderischen Tendenzen frei zu sein.

Bei der Diskussion in MIT, an der rund 20 Studenten und Medienvertreter teilnahmen und die am selben Tag wie die Veröffentlichung des Manning-Briefes stattfand, wurde Crowley befragt, was er davon halte, daß die US-Regierung "einen Gefangenen in einer Arrestzelle des Militärs foltern" lasse. Ohne den Foltervorwurf zu bestreiten, erklärte Crowley: "Ich war 26 Jahre bei der Luftwaffe. Was mit Bradley Manning geschieht, ist lächerlich, kontraproduktiv und dumm, und ich weiß nicht, warum das Verteidigungsministerium es tut". Anschließend verteidigte er die Inhaftierung Mannings als rechtens und verurteilte Wikileaks' Veröffentlichung zahlreicher Depeschen des State Department. Noch am selben Abend hat Philippa Thomas, eine BBC-Korrespondentin, die derzeit akademischen Urlaub in Harvard macht und die an der MIT-Runde mit Crowley teilgenommen hatte, dessen Auslassungen auf ihrem Weblog veröffentlicht, die in Windeseile in Washington für eine kleine Sensation sorgten.

Am darauffolgenden Nachmittag gab Obama im Weißen Haus eine Pressekonferenz. Ganz oben auf der Tagesordnung stand die wenige Stunden zuvor im Nordosten Japans erfolgte Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe. Nach einer ersten Frage zur Lage der japanischen Kernkraftwerke in der betroffenen Region harkte Jake Tapper von ABC News wie folgt nach: "Und dann zu einer zweiten Frage - der Sprecher des Außenministeriums, P. J. Crowley, hat erklärt, daß die Behandlung von Bradley Manning durch das Pentagon 'lächerlich, kontraproduktiv und dumm' sei. Es würde mich interessieren, zu hören, ob Sie dem zustimmen. Danke, Sir."

Nachdem Obama Tappers Eingangsfrage zu Japan beantwortet hatte, setzte er seine Ausführungen so fort: "Was den Gefreiten Manning betrifft, habe ich im Pentagon nachgefragt, ob die getroffenen Maßnahmen seiner Inhaftierung angemessen sind und unseren grundlegenden Standards entsprechen. Sie haben mir versichert, daß sie es sind. Ich kann im Detail nicht auf einige ihrer Sorgen eingehen, aber es geht hier mitunter um die Sicherheit des Gefreiten Manning."

In Bürgerrechtskreisen sowie Teilen der US-Presse hat Obamas Versuch, die Sonderbehandlung Mannings zu rechtfertigen, Spott und Hohn ausgelöst. Während einige den Vergleich zu George Bush jun. anstellten, griff Daniel Ellsberg, der 1970 die Existenz der berühmten Pentagon-Papiere über die desaströse militärische Lage der USA im Vietnamkrieg publik machte und sich seit Monaten für Manning stark macht, in einem bitterbösen, am 11. März bei Antiwar.com veröffentlichten Kommentar nach weiter in die Geschichte zurück:

Ich höre gerade, wie Präsident Nixon auf einer Pressekonferenz dasselbe sagt: "Mir haben die Klempner des Weißen Hauses versichert, daß der Einbruch bei Daniel Ellsbergs Psychiater in Los Angeles angemessen war und den grundlegenden Standards entsprach." Als jenes vom Oval Office angeordnetes, kriminelles Treiben publik wurde, sah sich Nixon einem Amtsenthebungsverfahren ausgesetzt und mußte zurücktreten. Nun, die Zeiten haben sich verändert. Doch wenn Präsident Obama die wirklichen Bedingungen von Mannings Inhaftierung noch nicht kennt, wenn er wirklich glaubt, daß es trotz der gegenteiligten Feststellungen der Gefängnispsychologen "hier mitunter [Nacktheit, Isolation, Drangsalierung, Schlafentzug] um die Sicherheit des Gefreiten Manning" gehe, dann wird er belogen und muß seine Regierung in den Griff bekommen. Sollte er sie doch kennen und dem zustimmen, daß sie angemessen oder sogar rechtens sind, dann spricht das nicht gerade für sein Erinnerungsvermögen, was die Kurse betrifft, die er zum Thema Verfassungsrecht gegeben hat.

Nicht gänzlich unerwartet aber dennoch plötzlich gab am 13. März Crowley seinen Rücktritt als Sprecher des für die Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Staatssekretärs im States Department bekannt. Als Grund nannte er die Diskussion um seine Äußerungen zu Bradley Manning, welche "die breitere, sogar strategische Auswirkung diskreter Maßnahmen, welche die für nationale Sicherheit zuständigen Behörden jeden Tag ergreifen", auf das "Ansehen und den globalen Führungsanspruch" der USA hervorheben sollten. "Die Ausübung von Macht in den heutigen, herausfordernden Zeiten und angesichts einer unerläßlichen Medienumwelt müssen von Vorsicht gekennzeichnet und mit unseren Gesetzen und Werten im Einklang stehen", sagte er. Mit letzterem Satz hat Crowley indirekt Obama an jenen Anspruch erinnert, den dieser noch vor dem Amtsantritt als US-Präsident für sich selbst aufgestellt hatte und in letzter Zeit nicht mehr einzulösen scheint.

14. März 2010