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JUSTIZ/685: Schwedischer Richter nimmt Julian Assange in Schutz (SB)


Schwedischer Richter nimmt Julian Assange in Schutz

Stefan Lindskog erklärt Wikileaks-Gründer zum Helden



Seit dem 19. Juni 2012 versteckt sich Julia Assange, Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, in der Botschaft Ecuadors in London, damit ihn die britischen Justizbehörden nicht an Schweden ausliefern. Dort soll der 41jährige Australier von der Polizei wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung zweier Frauen befragt werden. Das heißt, die bisherigen Beweise reichen bislang nicht für eine Anklage aus. Wegen der hartnäckigen Weigerung der schwedischen Justizbehörden, eigene Beamte nach London zu schicken, um Assange zu interviewen oder die Befragung per Telefon durchzuführen, befürchtet Assange, daß die Regierung in Stockholm plant, ihn nach der Ankunft dort umgehend an die USA zu überstellen.

Ungeachtet entsprechender Dementis seitens der Administration von US-Präsident Barack Obama gibt es glaubhafte Hinweise darauf, daß sich bereits letztes Jahr eine hinter verschlossenen Türen tagende Grand Jury in Alexandria, Virginia, für eine Anklageerhebung gegen Assange wegen der Weitergabe von geheimen Dokumenten in Verbindung mit der Wikileaks-Affäre entschieden hat. Einigen Ende letzten Jahres freigewordenen Unterlagen des US-Verteidigungsministeriums war zu entnehmen, daß Assange dort bereits als "Feind" offiziell geführt wird. Beim laufenden Kriegsgerichtsverfahren gegen den Gefreiten Bradley Manning, der 2010 als US-Militärgeheimdienstler im Irak Wikileaks größere Mengen vertraulichen Materials hatte zukommen lassen, lautet der schwerste Angeklagepunkt "Unterstützung des Feindes". Darauf steht die Todesstrafe. Verdächtig mutet jedenfalls die Weigerung Großbritanniens und Schwedens an, die von Quito geforderte Garantie, daß Assange, sollte er die ecuadorianische Botschaft verlassen, nicht an die US-Justizbehörden übergeben wird, zu erbringen

In die Debatte um den Fall Assange hat sich nun der ranghöchste schwedische Richter eingeschaltet - überraschenderweise zugunsten des Noch-nicht-Angeklagten. Bei einem Vortrag am 3. April an der Universität von Adelaide in Australien hat Stefan Lindskog, der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs Schwedens, sich nicht nur kritisch zum Stand der Ermittlungen in Bezug auf den Vorwurf der sexuellen Belästigung geäußert, sondern auch Assanges ungewöhnlichen Einsatz für eine größere Transparenz auf der innenpolitischen und zwischenstaatlichen Ebene gelobt. Über die Äußerungen Lindskogs berichtete am 4. April die arabische Nachrichtenagentur Al Jazeera unter der Überschrift "Top Swedish judge defends Wikileaks' Assange".

Was die Beschwerde der beiden Frauen betrifft, die freiwillig mit Assange bei seiner Vortragsreise 2010 in Schweden schliefen und hinterher bei der Polizei strafrechtlich relevante Aspekte des Benehmens des Australiers beim jeweiligen Geschlechtsakt geltend machen wollten, so bezeichnete Lindskog die Ermittlungen als einen "Schlamassel". Dies wundert wenig. Schließlich konnte die erste Staatsanwältin, Eva Finne, die sich mit dem Fall befaßte, keinen Grund, eine Ermittlung zu eröffnen, erkennen. Erst als die Staatsanwältin Marianne Ny den Fall übernahm, war plötzlich von möglicher Vergewaltigung die Rede.

Richter Lindskog nutzte die Gelegenheit des Auftritts in Adelaide dazu, aus seiner Sicht "einige Mißverständnisse" bezüglich der gesetzlichen Möglichkeit einer Auslieferung Assanges von Schweden an die USA auszuräumen. Mit folgendem Satz sorgte er für Eindeutigkeit in dieser umstrittenen Frage: "Dem Antrag auf Auslieferung wird nicht stattgegeben, wenn die angeblichen Vergehen militärischer oder politischer Natur sind." Nach dieser Klarstellung setzte Lindskog vor versammelten australischen Juristenkollegen zu einem Lobeslied auf deren berühmten Landsmann an: "Man wird ihn als jemanden betrachten, der zum Wohle der Menschheit einige Stücke Geheiminformation publik gemacht hat." Er fügte hinzu: "Es sollte niemals eine Straftat sein, die Verbrechen eines Staates bekannt zu machen." Über die freundlichen Äußerungen Lindskogs dürfte sich Assange, der gedenkt, sich bei den australischen Parlamentswahlen in diesem Jahr als Kandidat aufstellen zu lassen, freuen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß sie ihn dazu veranlassen werden, freiwillig die Sicherheit der ecuadorianischen Botschaft in London aufzugeben und sein Glück im schwedischen Justizsystem zu suchen.

6. April 2013