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JUSTIZ/690: FBI spioniert Verteidigung beim Guantánamo-Prozeß aus (SB)


FBI spioniert Verteidigung beim Guantánamo-Prozeß aus

US-Bundespolizei sabotiert Verfahren gegen mutmaßliche 9/11-Beteiligte



Knapp zwei Jahre nach dem offiziellen Beginn befindet sich der Prozeß gegen die fünf mutmaßlichen Hintermänner der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 vor einem Militärtribunal auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba weiterhin in der Vorverhandlungsphase. Mit einem eigentlichen Beginn der Hauptverhandlung wird nicht vor 2016 gerechnet. Möglicherweise wird es noch länger dauern, denn am 14. April hat der zuständige Richter, Armeeoberst James Pohl, den Prozeß wegen des Verdachts, das FBI spioniere die Verteidigung aus, ausgesetzt.

Bei den Angeklagten handelt es sich um den Pakistaner Khalid Sheikh Mohammed (KSM), den mutmaßlichen Chefplaner des 9/11-Komplotts, den Jemeniten Ramsi Binalshibh, der mit Mohammed Atta, dem angeblichen Anführer der 19 mutmaßlichen Flugzeugattentäter, in der Harburger Marienstraße wohnte und dessen Verbindungsmann zur Al-Kaida-Führung gewesen sein soll, den Jemeniten Walid Bin Attash, der ein Ausbildungslager für Dschihadisten in Afghanistan geführt haben soll, den Saudi Mustafa Ahmad Al Hawsawi, der die angeblichen Tatbeteiligten mit westlicher Kleidung, Geld, Reisechecks und Kreditkarten versorgt haben soll, und den pakistanischen Neffen von KSM, Ali Abd Al Asis Ali, der ebenfalls die Operation finanziell unterstützt haben soll. Den fünf Männern wird Mord in 2.976 Fällen und die Teilnahme an einer terroristischen Verschwörung zur Last gelegt.

Der Prozeß findet unter strengsten und höchst bedenklichen Sicherheitsbedingungen statt. Niemand außer dem Richter, den Anwälten, den Angeklagten und dem Sicherheitspersonal darf den Gerichtssaal betreten. Es gibt eine Fernsehübertragung, mittels derer Journalisten und Angehörige der 9/11-Mordopfer in einem anderen Raum auf Guantánamo die Verhandlung verfolgen können, deren Ton aber von der CIA nach Belieben ausgeschaltet werden kann. Dies geschah im Januar vergangenen Jahres, als ein Anwalt der Verteidigung das Thema der Folter von Binalschibh in einer "black site" der CIA in der Zeit nach seiner Verhaftung in Pakistan 2002 und seiner Überführung 2006 nach Guantánamo zur Sprache bringen wollte. Im April 2013 kam es zum Eklat, als bekannt wurde, daß das Militärtribunal eine halbe Million Emails der Verteidigung unzulässigerweise an das Pentagon weitergeleitet hatte. Im Dezember 2013 berichtete das Onlinemagazin Vocativ von der Existenz eines Spähprogramms namens Redwolf, mittels dessen das für die Karibik und Lateinamerika zuständige Südkommando der US-Streitkräfte die gesamte elektronische Kommunikation von und nach Guantánamo speichert. Das Hauptquartier des United States Southern Command in Miami bestreitet, die Vertraulichkeit der Anwalt-Mandant-Beziehung im 9/11-Prozeß verletzt zu haben.

Seit Beginn des Prozesses macht Binalschibh einen recht gestörten Eindruck, was womöglich auf die Anwendung schwerer Folter zurückzuführen ist. Am 14. April sollte vor Gericht die Frage seiner geistigen Zurechnungsfähigkeit behandelt werden. Es kam jedoch nicht dazu. Statt dessen setzte Binalschibhs Anwalt James Harrington Richter Pohl von einem Spähangriff des FBI in Kenntnis und bat um eine Untersuchung des Vorfalls. Nach Angaben Harringtons hatten am 6. April in den USA zwei Ermittler des FBI einen nicht namentlich genannten Datenschutzbeauftragten des Verteidigungsteams von Binalschibh, einen Mitarbeiter des privaten Sicherheitsunternehmens SRA International, zuhause besucht und ihn als Informanten angeworben. Bald darauf offenbarte der Mann Harrington sein Verhältnis zur US-Bundespolizei und der Anwalt konnte dem Richter eine Kopie des Formulars vorlegen, das der neue Informant dem FBI unterzeichnen mußte.

Hinter der Aktion wird der Versuch des FBI vermutet, herauszufinden, wer im vergangenen Januar das 36seitige "Manifest" Khalid Sheikh Mohammeds der US-Onlinezeitung Huffington Post und der Nachrichtenredaktion des britischen Fernsehsenders Channel 4 zugespielt hat. Doch es stellt sich die Frage, warum und von wem die Aktion veranlaßt wurde, denn schließlich gehörte die KSM-Schrift offiziell nicht zu jenen Dokumenten, die als streng geheim gelten und deshalb nicht veröffentlicht werden dürfen. Zwar hat die Anklagevertretung Richter Pohl am 3. März um eine Klärung der Umstände der Veröffentlichung gebeten, doch weder sie noch das Pentagon wollen das FBI eingeschaltet haben, da die Veröffentlichung des KSM-Manifestes gegen keine Gesetze oder Sicherheitsbestimmungen verstößt.

Nun soll ermittelt werden, ob die Anwerbung des SRA-Angestellten ein einmaliger Vorfall gewesen ist, oder ob nicht das FBI unter den anderen Personen, die für die Verteidigungsteams der fünf Angeklagten arbeiten, noch mehr Informanten hat. In einem am 15. April bei der Huffington Post erschienenen Artikel haben sich Harrington und David Nevin, der Chefverteidiger von Khalid Sheikh Mohammed, heftig über die FBI-Spionage beschwert, die sie als Einschüchterungsmaßnahme gegen sich und als gezielte Sabotage der Beziehungen der Angeklagten zu ihren Anwälten bezeichneten. In einem weiteren Beitrag, der am 16. April in der Onlineausgabe der britischen Tageszeitung Guardian unter der Überschrift "9/11 families claim FBI spying on Guantánamo legal team 'sabotage'" veröffentlicht wurde, haben mehrere Opferangehörige, die einige Tage zuvor nach Kuba gereist waren, um dem Prozeß beizuwohnen, dieselben Vorwürfe gegen die US-Bundespolizei erhoben.

Der Autor des Artikels, Spencer Ackerman, der früher für die Technologiezeitshrift Wired schrieb und sich derzeit als Prozeßbeobachter in Guantánamo befindet, äußerte den Verdacht, das FBI wolle möglicherweise das Militärtribunal sabotieren, damit das Verfahren gegen die 9/11-Angeklagten von einem regulären US-Bundesgericht durchgeführt werde. Das wäre eine wohlmeinende Interpretation des Verhaltens des US-Inlandsgeheimdienstes. Doch eine etwas zynischere Ausdeutung wäre auch denkbar. So könnte es dem FBI hauptsächlich darum gehen, den 9/11-Prozeß zu verschleppen und die ohnehin recht schwierige gerichtliche Behandlung der Hintergründe der schrecklichen Ereignisse vom 11. September 2001 noch weiter zu verkomplizieren. Im Geheimdienstjargon nennt man so etwas "to muddy the waters", das Wasser trüben, damit niemand etwas erkennen kann. Schließlich waren es nicht wenige Versäumnisse des FBI - man bedenke allein die gezielte, bis heute nicht geklärte Behinderung der Ermittlungen nach der Verhaftung des französisch-marokkanischen Flugschülers Zacarias Moussaoui am 16. August 2001 in Minnesota -, welche die erfolgreiche Durchführung der Flugzeuganschläge erst ermöglichte.

17. April 2014