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JUSTIZ/704: USA - Gefängnis- und Folterregime international ... (SB)


USA - Gefängnis- und Folterregime international ...


Mehr als siebzehn Jahren nach den Flugzeuganschlägen von 9/11 setzt der vom damaligen republikanischen US-Präsidenten George W. Bush auf den Trümmern der Zwillingstürme des New Yorker World Trade Center ausgerufene "Antiterrorkrieg" sein Zersetzungswerk am Völkerrecht und internationaler Gerichtsbarkeit unvermindert fort. Wer dachte, mit dem 2009 von Bushs demokratischem Nachfolger Barack Obama verkündeten Verbot der Folter sowie der "außergewöhnlichen Überführung" von "Terrorverdächtigen" durch die CIA wären die Verhältnisse von vor dem 11. September 2001 wiederhergestellt worden, der hat sich gewaltig geirrt. Dies zeigen sowohl das spektakuläre Scheitern Obamas mit seinem Versprechen, das umstrittene Internierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunkts Guantánamo Bay auf Kuba zu schließen - dafür war der Widerstand der republikanischen Mehrheit im Washingtoner Kongreß viel zu stark -, als auch jüngste beunruhigende Nachrichten über den unmenschlichen Umgang des amerikanischen Militärs mit "Terrorverdächtigen" in Syrien und im Irak.

Seit 2014 führen die US-Streitkräfte in beiden Ländern Krieg gegen die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS). Im Irak tun sie dies auf Wunsch der Zentralregierung in Bagdad, kämpfen auf der Seite der staatlichen Armee sowie von Freiwilligen der mehrheitlich schiitischen Volksmobilisierungskräfte. Der Einsatz der Amerikaner in Syrien dagegen ist aus Sicht der Regierung in Damaskus ungebeten und damit illegal. Deshalb arbeitet dort das US-Militär im Norden und Osten mit den mehrheitlich kurdischen Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) zusammen. In beiden Fällen berufen sich Pentagon und Weißes Haus auf das Ermächtigungsgesetz vom Oktober 2001, mit dem der Kongreß den "Einsatz militärischer Gewalt" gegen die 9/11-Hintermänner und deren Unterstützer "autorisierte". Da es jedoch keine personelle, sondern lediglich eine lose ideologische Verbindung zwischen dem Al-Kaida-"Netzwerk" von damals und dem IS von heute gibt, halten nicht wenige Völkerrechtler die rechtliche Begründung der amerikanischen Kriegsintervention im Zweistromland sowie in der Levante für äußerst fragwürdig, um es milde auszudrücken.

Vor diesem Hintergrund gibt die Meldung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vom 29. Oktober zu denken. Demnach übergibt regelmäßig das US-Militär in Syrien gefangengenommene, mutmaßliche IS-Mitglieder an die Behörden im Irak, wo diese Personen Folter, Scheingerichte, Verschwinden auf Nimmerwiedersehen hinter Gittern oder Ermordung durch Soldaten, Polizisten oder Gefängniswärter erwartet. HRW-Beobachter haben mehrere Fälle dokumentiert, in denen Verschleppte aus Syrien, darunter ein Franzose, ein Australier, ein Libanese und ein Palästinenser aus Gaza wegen IS-Mitgliedschaft im Irak angeklagt wurden und dort vor Gericht gelandet sind. Mehrere der Männer hätten zu Protokoll gegeben, von irakischen Behördenvertretern schwer mißhandelt worden zu sein.

Die fünf dokumentierten Fälle stellen offenbar lediglich die Spitze des Eisbergs dar. In HRW-Bericht wird ein anonymer Informant zitiert, der vor Ort an der syrisch-irakischen Grenze das Geschehen verfolgt hat und dem zufolge "viele" ausländische "Terrorverdächtige" von den US-Streitkräften an den staatlichen irakischen Antiterrordienst ausgeliefert werden. HRW hat bereits im September wegen derartiger Vorgänge an das Pentagon geschrieben und die Frage nach der Zahl der Betroffenen gestellt, jedoch bis zur Veröffentlichung der Studie keine Antwort erhalten. Dazu Studienautor Nadim Houry von HRW: "Angesichts der Weigerung vieler Länder, ihre Staatsangehörige zurückzunehmen, scheinen sich die USA die Sache leicht gemacht zu haben, indem sie die Leute dem Irak übergeben und damit basta. Die USA sollten ein System schaffen, das sie nicht zu Folterkomplizen macht und statt dessen dafür sorgt, daß Verdächtige wegen ihrer Vergehen, wie abscheulich auch immer, einen fairen Prozeß erhalten." Der Aufruf Hourys ist von nicht geringer Dringlichkeit, bedenkt man die Tatsache, daß die Behörden im kurdischen Autonomiegebiet im syrischen Nordosten nach eigenen Angaben aktuell rund 500 ausländische IS-Kämpfer und ebenso viele Familienangehörige - Frauen und Kinder - aus 40 Ländern in Gewahrsam halten, die sie loswerden wollen.

Wie die Amerikaner mit in Syrien festgenommenen, mutmaßlichen IS-Mitgliedern aus dem eigenen Land verfahren, zeigt der Fall von Abdulrahman Ahmad Alsheikh. Der junge Mann, der sowohl die amerikanische als auch die saudische Staatsbürgerschaft besitzt, wurde nach der Gefangennahme in Syrien 13 Monate lang auf einem US-Militärstützpunkt im Irak gefangengehalten. Mit Hilfe der American Civil Liberties Union (ACLU), der ältesten und renommiertesten Bürgerrechtsvereinigung der USA, wollte Alsheikh die Überweisung in die USA erzwingen, damit sein Fall vor den Gerichten dort behandelt werde. Doch dagegen haben sich Pentagon und Justizministerium, ganz im Sinne ihres rassistisch-reaktionären Dienstherrns Donald Trump, mit allen Mitteln gesträubt. Offenbar waren die Hinweise, die für eine "Terrorkomplizenschaft" Alsheikhs sprachen, dürftig. Die Trump-Regierung wollte sich die Blamage eines Freispruchs samt Entlassung ersparen. Darüber hinaus wollte man aus naheliegenden Gründen eine gerichtliche Behandlung der Frage der Legalität der US-Militärintervention in Syrien vermeiden.

Weil Alsheikh es wiederum ablehnte, in das Land seiner Eltern, Saudi-Arabien, wo bekanntlich Todesurteile per Schwerthieb regelmäßig durchgeführt wurden, ausgeliefert zu werden, drohte das Justizministerium noch im Juni damit, den Gefangenen zurück in den syrischen Norden transportieren und dort einfach aussetzen zu lassen. Dort war er 2017 lediglich mit einem Mobiltelefon und 4210 Dollar Bargeld festgenommen worden. Inzwischen haben Alsheikh mit Hilfe der Anwälte der ACLU und die Verantwortlichen in Washington eine für beide Seiten akzeptable Kompromißlösung gefunden. Er hat sich nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP vom 29. Oktober gegenüber dem US-Justizministerium schriftlich zu völliger Verschwiegenheit bezüglich seiner Erlebnisse als gefangengehaltener "feindlicher Kombattant" verpflichtet und darf sich dafür im Gegenzug in Bahrain niederlassen, arbeiten und sein Leben wieder in geordnete Bahnen bringen. Im Vergleich zu unzähligen anderen Opfern des "Antiterrorkriegs" der USA ist Alsheikh bei aller Härte, die er sicherlich durchmachen mußte, extrem glimpflich davongekommen.

9. November 2018


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