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LATEINAMERIKA/2155: Lithium - Prüfstein für den Kurs Boliviens (SB)


Weichenstellung bei der Verfügung über die Sourcen Lateinamerikas


Präsident Evo Morales und seine Regierung verbürgen sich dafür, daß die imperialistische Ausbeutung der Rohstoffe Boliviens ein Ende hat. Die jüngst in einer Volksabstimmung angenommene neue Verfassung des Landes garantiert den indígenen Völkern zudem Verfügungsrechte über die Bodenschätze in den von ihnen bewohnten Gebieten. Damit wurde unter Führung des ersten indígenen Staatschefs Boliviens eine gesellschaftliche Veränderung auf den Weg gebracht, deren Tragweite die gegenwärtig in den Blickpunkt internationaler Aufmerksamkeit gerückten Lithiumvorräte des Landes ahnen lassen.

Das ärmste Land Lateinamerikas verfügt über die Hälfte der weltweit bekannten Vorkommen des Alkalimetalls Lithium und liegt mit geschätzten 5,4 Millionen Tonnen weit vor den anderen großen Produzenten Chile, Argentinien, Australien und China. Diese gewaltigen Vorräte befinden sich unter der Oberfläche des größten Salzsees der Erde im südwestlichen Hochland Boliviens, das von Quechua sprechenden Menschen bewohnt wird. Der Salar de Uyuni trocknet in Zeiten geringer Niederschläge aus und bietet der dort lebenden Bevölkerung geringfügige Einkünfte durch das Sammeln des Salzes und dessen Verkauf in den Städten.

Die ärmsten Bewohner des Landes sitzen gewissermaßen auf einem der größten Reichtümer, über die Bolivien verfügt. Für die ausländischen Konzerne ist das ein ebenso schwerer Schlag wie für die überwiegend regierungsfeindlichen Ostprovinzen des Landes, die bislang alle wichtigen Sourcen des Andenstaats kontrollierten. Präsident Morales könnte seine Position im nach wie vor schwelenden Machtkampf stärken, sofern es ihm gelingt, die für den Abbau des Lithiums benötigten Investitionen bereitzustellen, ohne die Rechte der ansässigen Bevölkerung preiszugeben. Es liegt auf der Hand, daß dieser erste Prüfstein der neuen Verfassung weit über Bolivien hinaus von Bedeutung ist und den Verlauf der Auseinandersetzungen um die Verfügung über die Sourcen Lateinamerikas beeinflussen wird.

Lithium fand in der Vergangenheit vor allem bei der Herstellung von Nuklearwaffen und Beruhigungsmitteln Verwendung. Gegenwärtig gewinnt es als Bestandteil von Batterien an Bedeutung, die leichter und damit leistungsfähiger als jene aus Nickel sind. Für die weltweite Autoindustrie, die angesichts der Krise in der Herstellung einer neuen Generation von Hybrid- und Elektrofahrzeugen ihren möglicherweise letzten Rettungsanker sieht, ist Lithium daher so etwas wie ein heißbegehrtes Lebenselixir. Derzeit stehen US-amerikanische, japanische und europäische Autobauer Gewehr bei Fuß, um sich Zugriff auf diesen wertvollen Rohstoff zu verschaffen, der nirgendwo reichhaltiger als im bolivianischen Hochland zu finden ist.

In den frühen 1990er Jahren verhinderte eine nationalistische Bewegung die Ausbeutung des Lithiums durch den US-Konzern Lithco, worauf die Vorkommen unter dem Salzsee nicht mehr genutzt wurden. Derzeit errichtet die staatliche Bergbaubehörde die erste große Anlage zur Förderung und Verarbeitung des Lithiums, die bis Ende des Jahres fertiggestellt sein soll. Es sind jedoch noch gewaltige Investitionen erforderlich, um den Verwertungsprozeß voranzutreiben, zumal nicht auszuschließen ist, daß die überragende Bedeutung dieses Alkalimetalls binnen weniger Jahre zur Entwicklung anderer Herstellungswege führt. Sowohl die Bolivianer, als auch die Automobilkonzerne stehen daher unter beträchtlichem Zeitdruck, den sie im Ringen um die Konditionen der Nutzung dieser Vorkommen gegeneinander auszuspielen versuchen.

Die bolivianische Regierung hat bereits die Öl- und Gasindustrie nationalisiert. Man kann davon ausgehen, daß sie auf diesen strategischen Vorteil auch bei der Gewinnung des Lithiums nicht verzichten und bestrebt sein wird, ausländische Investoren zu beteiligen, jedoch stets unter Kontrolle zu halten. Zugleich muß sie eine tragfähige Übereinkunft mit den Bewohnern der Region herbeiführen, die eine angemessene Beteiligung an der Nutzung dieser Bodenschätze beanspruchen. Bislang hat die Führung in La Paz ihre Entschlossenheit bekräftigt, fremde Einflüsse fernzuhalten oder nur als Minderheitspartner einzubinden. Dies mußten Vertreter der japanischen Konzerne Mitsubishi und Sumitomo wie auch eine Gruppe des französischen Industriellen Vincent Bolloré erfahren, die in den letzten Monaten bei der Administration von Präsident Morales vorstellig geworden sind. Zudem will General Motors im nächsten Jahr sein neues Hybridmodell "Volt" auf den Markt bringen, um Ford, Nissan und BMW zuvorzukommen, die ähnliche Projekte vorantreiben.

Da nicht nur Konzerne um ihr Überleben kämpfen, sondern auch Regierungen wie die des neuen US-Präsidenten Barack Obama die Abhängigkeit vom Ölimport deutlich reduzieren wollen, wird das entlegene Hinterland Boliviens zum Tummelplatz kapitalistischer Konkurrenz auf wirtschaftlicher wie auch politischer Ebene. Evo Morales schreckte nicht davor zurück, den befreundeten Nachbarn Brasilien vor den Kopf zu stoßen, dessen staatliche Energiegesellschaft Petrobras als größter Investor in der bolivianischen Erdgasproduktion am stärksten von der neuen Festlegung der beiderseitigen Erlöse im Zuge der Nationalisierung im Jahr 2006 betroffen war. Er entsandte in jüngerer Zeit sogar die Armee, um Produktionsanlagen des britischen Ölkonzerns BP zu besetzen, womit er ein deutliches Signal gab, daß ihm ausländische Konzerne nicht auf der Nase herumtanzen können. Der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", den sich auch Evo Morales und seine breite Anhängerschaft auf ihre Fahnen geschrieben haben, gewinnt nun in einer Region Boliviens an Bedeutung und Kontur, in der man dies wohl am allerwenigsten erwartet hätte.

6. Februar 2009