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LATEINAMERIKA/2162: Dürre vernichtet Argentiniens Reichtum (SB)


Gesellschaftsentwurf tendentieller Umverteilung akut gefährdet


Der politische Entwurf der argentinischen Regierung, mit Hilfe einer stärkeren Abschöpfung der Exporterlöse eine gewisse Umverteilung des gesellschaftliche Reichtums zugunsten ärmerer Bevölkerungsschichten vorzunehmen, sieht sich mit wachsenden Widrigkeiten konfrontiert. Waren es zunächst erbitterte Auseinandersetzungen mit den Agrarverbänden, die zu Zeiten hoher Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse keine Schmälerung ihrer Pfründe hinzunehmen bereit waren, so versetzte die Weltwirtschaftskrise der regierenden Administration einen noch härteren Schlag, in dem sie das gesamte ökonomische Gefüge erschütterte. Damit nicht genug, wird das Land nun von der schwersten Dürre seit mehr als einem halben Jahrhundert heimgesucht, welche die bedeutendsten Sourcen des Landes in Gestalt seiner Ernteerträge und riesigen Viehherden schwer in Mitleidenschaft zieht.

Seit fünf Monaten bleiben in Argentinien, Uruguay, Paraguay und Teilen Südbrasiliens die Niederschläge aus, was Meteorologen auf das Wetterphänomen La Niña zurückführen, das den Pazifik auf Höhe Ecuadors abkühlt, wodurch die Wolken weniger Feuchtigkeit aufnehmen können. Hinzu kommt jedoch die Rodung großer Teile des argentinischen Waldbestands zur Gewinnung von Weideland, so daß die Speicherung und Freigabe größerer Mengen Wasser, wie sie Wälder gewährleisten, verlorengegangen ist.

Für die Argentinier sind die Folgen noch dramatischer als für ihre Nachbarn, da ihre Wirtschaft schon zuvor mit beträchtlichen Problemen zu kämpfen hatte. Das Land ist noch immer vergleichsweise hoch verschuldet und hat auf Grund beschränkter Rücklagen relativ wenig Spielraum, einzelne Wirtschaftssparten durch staatliche Hilfsprogramme massiv zu stimulieren. Allerdings sind die Weltmarktpreise für Agrarprodukte nicht so dramatisch gefallen wie jene für Öl oder Kupfer, deren Sturz Ländern wie Venezuela und Chile schwer zu schaffen macht. Vor der Dürre hatte es den Anschein, als könne Argentinien die weltweite Krise halbwegs unbeschadet überstehen. Diese Hoffnung ist nun erheblich gesunken.

Am schwersten von der Dürre betroffen sind die Viehzüchter, da die Weiden verdorren. Seit Frühlingsbeginn im Oktober sind nach Angaben der Agrarverbände rund 1,5 Millionen Rinder gestorben oder notgeschlachtet worden. Aber auch bei Getreide sind die Auswirkungen katastrophal, geht die Regierung doch von Ausfällen zwischen 15 und 20 Millionen Tonnen aus, wobei die schwersten Einbußen bei Weizen und Mais verzeichnet werden. Das US-Landwirtschaftsministerium korrigierte seinen Schätzwert der argentinischen Maisproduktion um 13,5 Millionen Tonnen nach unten, was einem Rückgang um 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.

Da es im Februar etwas mehr als im Vormonat geregnet hat, hoffen die Sojapflanzer, die das Ausbringen der Saat in der Hoffnung auf verspätete Niederschläge so lange wie möglich hinausgezögert hatten, die Ernte des wichtigsten Exportprodukts neben dem Rindfleisch zu retten. Auch könnten Getreidereserven, welche die Produzenten im vergangenen Jahr angesichts des Streits mit der Regierung über die Höhe der Exportsteuern vermutlich gespeichert haben, die Lage etwas entspannen. Berücksichtigt man jedoch, welches Ausmaß an Investitionen und Zeitaufwand zur Herausbildung des früheren Produktionsstands erforderlich waren, muß man von verheerenden Folgen für zahllose Erzeuger sprechen.

Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner rief den Notstand für die Landwirtschaft aus und stellte dem Agrarsektor per Dekret weitreichende Subventionen in Aussicht. So werden umgerechnet fast 50 Millionen Euro für die betroffenen Provinzen bereitgestellt und verschiedene Steuern für die Dauer eines Jahres ausgesetzt. Die Agrarverbände fordern jedoch deutlich höhere Entlastungen und drohen nach dem Scheitern neuer Verhandlungen mit der Regierung wie schon im vergangenen Jahr Kampfmaßnahmen an.

Wirtschaftsexperten beziffern den Rückgang im gesamten Agrarsektor und der Fleischverarbeitung auf mindestens 15 Prozent gegenüber 2008, wodurch 5,5 Milliarden Dollar weniger in die Staatskasse fließen. Für Argentinien, dessen Wirtschaftswachstum trotz aller Versuche einer Diversifizierung der letzten Jahre im wesentlichen vom Agrarexport abhängt, droht diese einseitige Ausrichtung zur Sackgasse zu werden, sofern sich die Rahmenbedingungen auf dem Weltmarkt oder in klimatischer Hinsicht wesentlich verändern, wie das nun binnen kurzer Fristen geschehen ist.

Der Schuldendienst Argentiniens verschlingt im laufenden Jahr mehr als 18 Milliarden Dollar. Dies trägt maßgeblich zum Schwund der Devisenreserven bei, wobei auch die wachsende Kapitalflucht negativ zu Buche schlägt. Allein im vergangenen Jahr flossen rund 25 Milliarden Dollar ins Ausland ab. Durch die Verstaatlichung der vormals privaten Pensionsfonds und andere Instrumente dürfte es der Regierung gelingen, die Finanzierungslücke im diesjährigen Haushalt auf eine handhabbare Größenordnung zu reduzieren. Bislang bediente sich die Administration einer schrittweisen Abwertung des Peso, um die Voraussetzungen für den Export zu verbessern, ohne damit Panik auszulösen. Wenngleich die meisten Experten davon ausgehen, daß Argentinien die Krise überstehen wird, ohne sich für zahlungsunfähig zu erklären, spukt das unvergessene Schreckgespenst des Staatsbankrotts von 2001 zwangsläufig durch die Kommentare zur Lage des südamerikanischen Landes.

23. Februar 2009