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LATEINAMERIKA/2168: Historischer Linksruck in El Salvador? (SB)


Mauricio Funes von der FMLN wird nächster Präsident des Landes


Der Kandidat der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN), Mauricio Funes, hat die Präsidentenwahl in El Salvador gewonnen. Bei dem als historisch bezeichneten Ergebnis entfielen nach Angaben der Wahlbehörde 51 Prozent der Stimmen auf den 49jährigen Journalisten, während sein 44 Jahre alter Gegner von der Regierungspartei ARENA, Rodrigo Avila, mit knapp 49 Prozent das Nachsehen hatte. Damit muß die Republikanisch-nationalistische Allianz zum ersten Mal seit rund 20 Jahren in die Opposition gehen.

Rund 4,3 Millionen Stimmberechtigte waren zur Wahl des neuen Präsidenten aufgerufen, der am 1. Juni die fünfjährige Amtszeit antreten soll. Die salvadorianische Internetzeitung "El Faro" schätzte die Wahlbeteiligung auf etwa zwei Drittel. Da keine weiteren Kandidaten angetreten waren, ist eine Stichwahl nicht erforderlich. Der bisherige Amtsinhaber Elías Antonio Saca durfte gemäß der Verfassung nicht erneut kandidieren. Funes kann sich im Parlament auf die FMLN als stärkste Fraktion stützen, die allerdings keine absolute Mehrheit hat. Die Linkspartei erhielt bei den Parlamentswahlen im Januar 35 der insgesamt 84 Sitze. Die restlichen Abgeordneten gehören der ARENA und anderen rechtsgerichteten Parteien an.

Walter Araujo, der Direktor der Obersten Wahlbehörde (TSE), lobte die massive Beteiligung und erklärte, die Wahl sei ohne die Ergebnisse verfälschende Zwischenfälle verlaufen. "Wir hatten eine ruhige, friedliche Wahl", sagte er. Das amtliche Endergebnis soll in zwei Tagen bekanntgegeben werden. Mehr als 20.000 Polizisten und Soldaten hatten für Sicherheit während der Wahl gesorgt. Über 4.000 nationale und internationale Beobachter waren im Einsatz, darunter mehrere Dutzend aus Europa. Sie bezeichneten den Ablauf als "geordnet" und stellten keine größeren Unregelmäßigkeiten oder schwerwiegenden Zwischenfälle fest.

Funes erklärte sich am Abend zum Wahlsieger. "El Salvador ist bereit für einen Regierungswechsel", rief er seinen Anhängern zu. Er wandte sich an die Nation und versprach, er wolle dem von Bürgerkrieg und sozialen Gegensätzen gespaltenen Land endlich den Frieden bringen. "Ich möchte zum Präsidenten des Friedens und des Wiederaufbaus werden", verkündete er unter dem Jubel der versammelten Menschenmenge. "El Salvador gehört uns allen." Sein Ziel sei es zudem, das Land zur dynamischsten Wirtschaft Lateinamerikas zu machen, sagte der Wahlsieger.

Der ehemalige Journalist Funes gehört dem sozialdemokratischen Flügel der früheren Guerilla-Partei FMLN an. Er hatte seinen Wahlkampf für sozialen Ausgleich und ein Ende der Privatisierung geführt. Die Polarisierung in Armut und Reichtum ist in den zurückliegenden beiden Jahrzehnten neoliberaler Politik weiter gewachsen, wogegen der künftige Präsident mit öffentlichen Investitionen in Bildung und Gesundheit wie auch Linderung der Armut zu Felde ziehen will.

Der frühere Innenminister Avila, dem man Kontakte zu den Todesschwadronen nachsagt, trat für eine Politik der harten Hand ein. Der bekennende Waffennarr hatte seinen Konkurrenten als Kommunisten bezeichnet, der das Land in die Isolation führen und Streit mit den USA vom Zaun brechen werde. Trotz der guten Umfragewerte für seinen Konkurrenten hatte er sich bei der Stimmabgabe noch siegessicher gezeigt. Am späten Abend gestand er dann seine Niederlage ein und erklärte, er erkenne den Willen des Volkes an. Er werde eine konstruktive Opposition anführen und insbesondere darauf achten, daß die Freiheiten im Land nicht zerstört werden.

Die ARENA-Partei, die vor allem von den Unternehmern, den Reichen und der Kirche unterstützt wird, hatte in den letzten Wochen mit einer Kampagne der Angst zu punkten versucht. Im Falle eines Sieges von Funes werde das Land kommunistisch und unter den Einfluß von Kuba und Venezuela geraten, warnte die Partei. Wenige Tage vor dem Urnengang hatte Generalstaatsanwalt Félix Garrid Safie öffentlich verkündet, er habe Ermittlungen gegen Mauricio Funes aufgenommen, da auf dessen Privatkonto in den vergangenen Monaten über zwei Millionen US-Dollar unbekannter Herkunft eingegangen seien. Präsident Antonio Saca legte mit der Spekulation nach, dieses Geld stamme vermutlich von Hugo Chávez. Funes konnte jedoch umgehend belegen, daß es sich um ein privates Darlehen eines bekannten Unternehmers für den Wahlkampf handelte.

In zahlreichen Städten des Landes gingen Anhänger der FMLN auf die Straße, um den Wahlsieg zu feiern, der die Herrschaft des rechten Lagers nach zwei Jahrzehnten beendet. Nach einem scharfen ideologischen Richtungsstreit ist die alte Regierungspartei mit ihrer Diffamierungskampagne gescheitert. Avila hatte Funes vorgeworfen, dieser werde von Venezuelas Staatschef Hugo Chávez gesteuert und wolle einem "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" den Weg bereiten, wie sich das bereits in Nicaragua und Honduras mit den Staatschefs Daniel Ortega und Manuel Zelaya vollzogen habe.

Funes hingegen betonte seine Unabhängigkeit von Chávez und versicherte, El Salvador werde auch unter seiner Regierung ein überzeugter Verbündeter der USA bleiben. In Washington warnte eine Gruppe von 46 US-Parlamentariern dennoch in einem Brief an Außenministerin Hillary Clinton, ein Sieg von Funes sei mit potentiellen Gefahren für die nationale Sicherheit der USA verbunden. Washington hatte während des 1992 beendeten Bürgerkriegs in El Salvador das rechtskonservative Lager unterstützt und verfügt nach wie vor über großen wirtschaftlichen Einfluß in dem mittelamerikanischen Land.

In Lateinamerika hat das linke politische Lager in den vergangenen Jahren deutlich an Einfluß gewonnen. Neben dem bereits seit zehn Jahren in Venezuela amtierenden Chávez sind unter anderem in Bolivien mit Evo Morales, in Ecuador mit Rafael Correa und in Paraguay mit Fernando Lugo mehr oder minder linksgerichtete Staatschefs an der Macht. Mauricio Funes gilt demgegenüber als moderat in seinen Positionen mit einer starken Tendenz zur bürgerlichen Mitte, die sich im Wahlkampf deutlich abzeichnete. Während das gegnerische Lager kaum ein Mittel unversucht ließ, um den früheren Talkmaster als linken Extremisten und Handlanger kubanischer und venezolanischer Interessen darzustellen, versicherte Funes Wirtschaftsführern des Landes wie auch der US-Regierung, daß ihm nichts daran liege, sie vor den Kopf zu stoßen und eine Verschlechterung der Beziehungen herbeizuführen.

Auch die präsentierte Regierungsmannschaft läßt auf einen gemäßigten Kurs schließen, gehören ihr doch mehrere Politiker außerhalb der FMLN an. Ein Wahlplakat zeigte gar das Bild Barack Obamas, dessen Allerweltsslogan "Yes we can!" sich auch Funes bei seinen Werbespots im Fernsehen bediente. Wenngleich sein intensiver Wahlkampf im Internet und seine Kritik an Steuerhinterziehungen von Großunternehmen zu seinem Erfolg beigetragen haben, profitierte er doch vor allem von der um sich greifenden Unzufriedenheit mit der ARENA-Partei.

Mauricio Funes setzte sich in Erscheinungsbild und Positionen von der Befreiungsfront Farabundo Martí ab, deren Kandidaten und Anhänger nicht selten in Kampfanzügen oder roten Hemden auftreten und sich ausdrücklich als ehemalige Guerilleros und Vertreter der Linken zu erkennen geben. Funes hat keine Vergangenheit in der FMLN und trat erst nach seiner Nominierung in den Frente ein. Er zeigt sich in Anzug und Krawatte oder einem weißen Hemd, was man als äußere Entsprechung seiner politischen Avancen hin zur politischen Mitte bezeichnen könnte. In seiner Siegesrede hob er unter anderem den Schutz des Privatbesitzes hervor und sprach sich sowohl für die Integration Mittelamerikas, als auch für starke Beziehungen zu den USA aus.

Da die einflußreichen Positionen und Schnittstellen in der Gesellschaft fast ausnahmslos mit Anhängern oder Hintermännern der alten Regierungpartei besetzt sind, die im Parlament zusammen mit den anderen konservativen und rechtsgerichteten Parteien über die Mehrheit der Sitze verfügt, wird es Mauricio Funes sehr schwer haben. Zudem werden sich nicht alle Flügel und Fraktionen der FMLN, die ja aus einem Zusammenschluß von fünf Guerillaorganisationen hervorgegangen ist, kritiklos um ihn scharen, sofern er seine Drift zur politischen Mitte im Präsidentenamt fortsetzt. Hinzu kommen angesichts der Weltwirtschaftskrise dramatisch zu nennende ökonomische Rahmenbedingungen, die längst in Gestalt rückläufiger Überweisungen der zweieinhalb Millionen Salvadorianer in den USA schwer ins Gewicht fallen. Das Handelsbilanzdefizit El Salvadors betrug im vergangenen Jahr 5,2 Milliarden Dollar. Außerdem kämpft das Land mit einer Arbeitslosenrate von 40 Prozent und rund ein Drittel der gut 5,7 Millionen Einwohner lebt unterhalb der offiziellen Armutsgrenze.

So sehr die Ablösung der von Anhängern der Diktatur und der Todesschwadrone gegründeten ARENA-Partei zu begrüßen ist und in einem Land wie El Salvador, daß jahrzehntelang in den Klauen Washingtons und der einheimischen Eliten gefangen war, einer gewaltigen Umwälzung gleichkommt, muß man doch folgendes nüchtern bilanzieren: Mauricio Funes hat die Präsidentschaftswahl nur deshalb mit knappen Vorsprung gewonnen, weil er zwar als klare Alternative zur abgewirtschafteten ARENA in Erscheinung trat, doch zugleich auch als Politiker wenig Gemeinsamkeiten mit der traditionellen Linken, geschweige denn der früheren Guerilla aufwies. Alles wird davon abhängen, ob der ehemalige Fernsehjournalist im Amt entschiedene Positionen bezieht und Profil gewinnt oder im Räderwerk opportunen Kalküls versinkt und die Krise im Dienst der herrschenden Kräfte abfedern hilft, wozu die alte Regierungspartei vermutlich nicht mehr fähig gewesen wäre.

16. März 2009