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LATEINAMERIKA/2178: US-Militärs stehen mit einem Bein in Mexiko (SB)


Präsident Calderóns Dementi mutet wie ein gezielter Tabubruch an


Mexikos Präsident Felipe Calderón hat am Rande des G-20-Gipfels in London gemeinsame Operationen gegen die Drogenkartelle mit den US-amerikanischen Streitkräften auf mexikanischem Staatsgebiet noch einmal kategorisch ausgeschlossen. Man werde jedoch beim Kampf gegen das Drogengeschäft partnerschaftlich zusammenarbeiten und weiterhin Informationen austauschen. Bei diesem Thema handelt es sich verständlicherweise um ein heißes Eisen in Mexiko, das einst von den expandierenden Vereinigten Staaten um die Hälfte seines Territoriums beraubt wurde. Eine Präsenz US-amerikanischer Truppen ist daher bislang politisch ausgeschlossen, zumal selbst aktuelle Pläne der US-Regierung, die Nationalgarde verstärkt beim Grenzschutz einzusetzen, als unvereinbar mit der Souveränität Mexikos empfunden werden.

Präsident Obama hat diese Maßnahme mit der Begründung in Erwägung gezogen, es sei nicht hinzunehmen, daß Drogenbanden über die Grenze kämen und US-amerikanische Staatsbürger töteten. Falls auch nur ein einziger US-Bürger durch die Hand von Ausländern sterbe, die in Gewaltverbrechen verwickelt sind, sei das Grund genug, etwas dagegen zu unternehmen. (New York Times vom 25.03.09)

Während in Mexiko ein Einsatz von US-Truppen südlich der Grenze nach wie vor einen Sturm der Entrüstung entfesseln würde, vollzog sich die Militarisierung der Innenpolitik mittels einheimischer Streitkräfte lange ohne nennenswerten Widerstand. Die Entsendung der mittlerweile rund 40.000 Soldaten an die Brennpunkte des Konflikts wurde von einer breiten Mehrheit begrüßt, ja sogar ausdrücklich gefordert. Daß inzwischen Skepsis um sich greift, liegt nicht an dieser Strategie als solcher, sondern vielmehr an deren relativer Erfolglosigkeit. Inzwischen sehen viele in Präsident Calderón einen Mann, der kräftig im Wespennest gestochert hat und nun der zwangsläufigen Folgen seiner unbedachten Tat nicht mehr Herr wird.

Der Staatschef hat diesen Krieg gegen die Kartelle vom Zaun gebrochen, ohne zuvor einen staatstreuen Polizeiapparat aufzubauen, die Gegenseite zu infiltrieren und die Politik von Kollaborateuren der Kartelle zu säubern. Die Folge waren Schlachten, in denen die Drogenbanden häufig militärisch überlegen, zumeist besser informiert und grundsätzlich durch ein weitreichendes Netz der Korruption bis in höchste Kreise ausgesprochen regenerationsfähig waren.

Die Situation ist mittlerweile so verfahren, daß totgesagte Ansätze im Kampf gegen das Drogengeschäft Wiederauferstehung feiern. Inzwischen tritt mit Ernesto Zedillo sogar ein ehemaliger Präsident Mexikos gemeinsam mit zwei anderen früheren lateinamerikanischen Staatschefs für eine Legalisierung von Marihuana ein, das als wichtigste Einnahmequelle der mexikanischen Kartelle gilt. Befürworter einer Freigabe argumentieren unter Verweis auf das klassische Beispiel der Prohibition in der Regel damit, daß erst Verbote und Sanktionen immense Profite und kriminelle Aktivitäten zur Folge hätten.

Der mexikanische Kongreß verabschiedete vor drei Jahren das Vorhaben, den Besitz von kleinen Mengen Kokain und anderen Drogen nicht mehr unter Strafe zu stellen. Nach heftigem Einspruch aus Washington blockierte der damalige Präsident Vicente Fox die Initiative mit seinem Veto. Als Calderón im letzten Herbst einen ähnlichen Vorschlag zur Sprache brachte, blieben Einwände von US-amerikanischer Seite aus. Daraus eine Trendwende in der offiziellen Einschätzung abzuleiten, wäre allerdings verfrüht. (New York Times vom 30.03.09)

Der Diskurs um geeignete Maßnahmen zur Eindämmung des Drogenkonsums und der davon profitierenden Kartelle hausiert jedoch mit Voraussetzungen, die es zu hinterfragen gilt. Ginge es Präsident Calderón tatsächlich und ausschließlich um den "Antidrogenkampf", müßte man ihm fundamentale Fehleinschätzungen und verhängnisvolle strategische Schwächen attestieren. Setzt man aber grundsätzlicher an und zieht die Verbindung zum "Antiterrorkrieg", so zeichnet sich ein sehr viel weiter reichendes und langfristigeres Manöver künftiger Herrschaftssicherung ab.

Bringt man die aufbrechenden Konflikte auf den Begriff der Hungerrevolte, so zeichnet sich ein enormer Bedarf an repressiven Instrumenten samt den flankierenden Denkvoraussetzungen ab, den staatliche und überstaatliche Machtkomplexe in Stellung bringen. Durchaus vergleichbar den USA im Zuge systematisch produzierter "Terrorfurcht" hat die mexikanische Führung den Krieg der Kartelle instrumentalisiert, um im Zuge der damit verbundenen Eskalation nackter Gewalt den Bürgern die Zustimmung zu repressiven Gesetzen und Maßnahmen aller Art abzugewinnen. Sollte sich der Eindruck durchsetzen, der Kampf gegen die Kartelle werde noch ewig dauern und sei womöglich nie zu gewinnen, kann das durchaus zur Ablösung einer Regierung führen, die in ihrem zentralen Anliegen der inneren Sicherheit als gescheitert gilt, steht aber dennoch im Dienst einer langfristig angelegten Kontrollstrategie.

Der unabsehbar lange Krieg und die ewige Bedrohung sind zentrale Werkzeuge administrativen Machterhalts, der alle anderen Anliegen unter die Sicherheitsfrage zu subsummieren versteht. Präsident Calderón ist bei aller Beschränkung konservativer Überzeugungen und Handlungsoptionen gewiß kein Hasardeur, der blind nachvollzieht, was bereits in Kolumbien als gescheitert galt, sofern man die Fehleinschätzung teilt, es gehe um den Kampf gegen die Drogenkartelle und nicht die Unterwerfung aufständischer Kräfte.

Kritiker der "Merida-Initiative", die von den Präsidenten Bush und Calderón auf den Weg gebracht wurde, haben angesichts der frappierenden Ähnlichkeit mit dem Vorgehen Washingtons im Falle Kolumbiens vom "Plan Mexiko" gesprochen und dessen Scheitern vorhergesagt. Aus der weitgehenden Übereinstimmung der beiden Konzepte kann man in der Tat ableiten, was in Mexiko geplant ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit durchgesetzt wird. Verhängnisvoll ist jedoch die Einschätzung, daß diese Initiative nicht funktionieren könne, weil sie die alten Fehler wiederhole.

Es gehörte zu den Traditionen mexikanischer Politik, sich gegen die Vereinigten Staaten abzuschotten und deren Behörden und Institutionen möglichst wenig Zugang zu gewähren. Während man außenpolitisch lange auf Eigenständigkeit bedacht war und beispielsweise die Blockade Kubas nicht mitvollzog, hielt man innenpolitisch den ausländischen Zugriff auf natiomale Sourcen und Schlüsselindustrien fern und lehnte Amtshilfe in aller Regel ab. Heute kann von dieser Zurückhaltung und Abschottung kaum noch die Rede sein, wenn Washington die Sicherheitskräfte Mexikos mit millionenschweren Hilfspaketen unterstützt.

US-amerikanische Hubschrauber, Überwachungstechnik und Ausbilder unterlaufen längst die Schranke, welche die mexikanische Öffentlichkeit vor Augen hat, wenn sie Soldaten der Vereinigten Staaten keinesfalls im Lande sehen will. Dieser Prozeß ist insofern schleichend, als er sich unterhalb der Schweller allgemeiner Wahrnehmung vollzieht, die mehr denn je auf die Greueltaten im Krieg der Kartelle und sonstige Untaten fixiert ist. Geheim ist er jedoch zumindest in weiten Teilen nicht, zumal man auf Kolumbien zurückkoppeln kann. Dort ging es zunächst offiziell gegen den Drogenanbau und unter der Hand gegen die Guerilla, später offen gegen die Rebellen und nebenbei gegen das Drogengeschäft, das man natürlich als Vorwandslage nicht preisgeben konnte. Nun wiederholt sich in Mexiko in modifizierter Form eine Eskalation nach demselben Muster, wieder forciert von der eigenen Regierung und massiv unterstützt von den USA.

Wenn Präsident Felipe Calderón explizit betont, er werde niemals Operationen US-amerikanischer Streitkräfte in seinem Land dulden, bringt er ein Thema zur Sprache, das mexikanische Spitzenpolitiker früher nicht einmal in den Mund genommen hätten. Man kann sich daher des Eindrucks kaum erwehren, daß der konservative Staatschef seine Landsleute damit nicht nur über das längst erreichte Ausmaß der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit beider Länder täuscht, sondern zudem nach der Taktik verfährt, daß das Dementi von heute ein opportuner Wegbereiter der Billigung von morgen ist.

1. April 2009