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LATEINAMERIKA/2199: Uribe strebt offenbar eine dritte Amtszeit an (SB)


Kolumbiens Präsident will bis 2014 an der Macht bleiben


Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe ist seit 2002 im Amt und wurde im Jahr 2006 wiedergewählt, nachdem eine unter fragwürdigen Umständen herbeigeführte Verfassungsänderung seine zweite Kandidatur ermöglicht hatte. Nun mehren sich die Zeichen, daß der kolumbianische Staatschef eine weitere Kandidatur bei den nächsten Wahlen im Mai 2010 anstrebt, wofür eine erneute Änderung der Verfassung erforderlich ist. Es steht zu befürchten, daß auch dieses Vorhaben von Erfolg gekrönt ist und Uribe nach einer Wiederwahl sein Regime bis 2014 fortführen kann.

Da sich der kolumbianische Staat als eine Mischung aus moderner Zivilgesellschaft und traditioneller Zersplitterung in partikuläre Fraktionen darstellt, in der kein durchgängiges Gewaltmonopol existiert, kann man Uribes Präsidentschaft nicht ohne weiteres an der in weit höherem Maße administrativ durchdrungenen Gesellschaftsform und Regierungsweise in Europa oder den USA messen. Wer sich in diesem Land behaupten will, paktiert mit allseits gefürchteten Kräften und baut sich eine eigene Schutztruppe bis hin zur Privatarmee auf. Da diese Fraktionierung offener Gewalt zwangsläufig dazu tendiert, in Konkurrenzkämpfen zu entufern, hat erfolgreiche Regierungskunst Seltenheitswert, die sich ja am Wohlbefinden der bessergestellten Schichten und der gelungenen Befriedung und Ausgrenzung der Hungerleider bemißt. Weil die elende Lage der Landbevölkerung allen Grund gibt, sich gegen diese Verhältnisse zu erheben, kann auch Uribe die Insurgenz der Guerilla nicht beenden. Es ist ihm jedoch gelungen, den bewaffneten Konflikt in hohem Maße aus dem Blickfeld des Bürgertums zu verdrängen, das sich den gesunden Schlaf nicht rauben läßt, wenn hier und da ein Gewerkschafter, Journalist oder Linkspolitiker umgebracht wird.

Zu behaupten, Uribe sei eine Marionette der USA, ein Diktator, ein heimlicher Paramilitär oder Drogenhändler, ein Militarist oder Technokrat, ginge am Kern seines Wesens als Staatschef Kolumbiens vorbei, da es seiner aus Herkunft und Neigung über Jahre gewachsenen Fertigkeit nicht gerecht würde, ein komplexes Gefüge der Machtgier auszusteuern, ohne je selbst zwischen die Mühlsteine zu geraten. Kann man die Meute der kolumbianischen Kriegsherrn in Kampfanzug oder Zwirn mit einem Rudel hungriger Raubtiere vergleichen, die gemeinsam ihrer Beute nachstellen, ohne je auf Machtkämpfe untereinander zu verzichten, so bewältigt Uribe die Aufgabe des Dompteurs so erfolgreich, weil jeder den vertrauten arteigenen Geruch, doch zugleich auch den der Rivalen an ihm wittern kann: Man schätzt ihn als Verbündeten und fürchtet ihn zugleich als Bündnispartner der Rivalen. Wer sollte ihm also die Gunst entziehen, ohne fürchten zu müssen, von ihm eine andere mächtige Fraktion auf den Hals gehetzt zu bekommen!

Präsident Uribe ist somit ein originär kolumbianisches Exemplar machtpolitischer Repräsentanz, das in einem von Kriegsherrn, Oligarchen, Drogenbaronen und anderen Partikularfürsten heimgesuchten Land die meisten dieser Strömungen in sich zu bündeln und im Gewand eines modernen Staatsmanns zu vereinen scheint. Um Kolumbien im Dienst der USA und einheimischen Mächte erfolgreich zu regieren, bedarf es neben enormer Skrupellosigkeit und Brutalität vor allem tragfähiger Beziehungen zu allen einflußreichen gesellschaftlichen Sektoren. Daher muß die Affäre erst noch erfunden werden, die diesen Staatschef zu Fall bringen könnte. Drohten ihm die Enthüllungen inhaftierter Paramilitärs gefährlich zu werden, lieferte er sie in einer Nacht- und Nebelaktion an die USA aus, wo sie zum Schweigen gebracht wurden. Versuchte die Justiz, seine durch Stimmenkauf ermöglichte zweite Amtszeit zu bestreiten, intrigierte er mit Paramilitärs gegen die höchsten Richter des Landes. Medienmogule sind in seinem Kabinett vertreten, zahlreiche Verquickungen von Politik, Wirtschaft und organisiertem Verbrechen reichen bis vor seine Tür, reihenweise wurden Parlamentarier der Regierungskoalition wegen Verbindungen zu den Todesschwadronen festgenommen, und böse Zungen behaupten, daß man seine Verwandtschaft inzwischen eher hinter Gittern als auf freiem Fuß antrifft.

Oft erwecken Berichte aus Kolumbien den Eindruck, das ganze Land stehe geschlossen hinter Alvaro Uribe, der bahnbrechende Erfolge auf dem Weg zu Frieden und besseren Lebensverhältnissen vorweisen könne. Das ist nicht der Fall. Nach ihrer Meinung befragt werden ausschließlich jene zumeist städtischen Kreise, die von der Regierungspolitik profitieren. Die Guerilla steht nicht mehr vor den Toren, wichtige Überlandstraßen sind weitgehend gefahrlos passierbar und die Innenstädte werden modernisiert. Moderater Wohlstand und protziger Luxus vermengen sich im Straßenbild zu Konsumoptionen, von denen das Millionenheer der Slumbewohner und beträchtliche Teile der verelendeten Landbevölkerung ausgeschlossen sind.

In den riesigen ländlichen Regionen, die zu erheblichen Teilen von schwer zugänglichem Dschungel bedeckt sind, regieren nach wie vor extreme Ausbeutung und Unterdrückung, herrschen militärisch ausgetragene Konflikte, brutale Drangsalierung und Vertreibung. Die Polarisierung des Landes geht heute so weit, daß die urbanen Zentren Bogotá und Medellín fast schon wie Inseln aus einer anderen Welt anmuten, in denen sich Eliten und Mittelschichten von Krieg und Elend abzuschotten versuchen.

Der UN-Menschenrechtsrat in Genf zeichnete im Dezember 2008 ein düsteres Bild der Situation in Kolumbien, das in krassem Widerspruch zur Lagebeschreibung seitens der Regierung in Bogotá und des Mainstreams ausländischer Medien stand. Schätzungen zufolge waren von 3,5 bis vier Millionen vertriebenen Bauern 60 Prozent im Besitz von Landtiteln, was unterstreicht, daß es sich bei der massenhaften Enteignung und Vertreibung von Kleinbauern weniger um eine Folgeerscheinung der Kriegshandlungen, als vielmehr deren Ziel und Zweck im Zusammenhang einer landwirtschaftlichen Gegenreform handelt. Die Rückgabe der geraubten Grundstücke war kein Thema, als Präsident Uribe im Jahr 2005 das Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden erließ, das die Demobilisierung der Paramilitärs regeln soll. Sofern die ursprünglichen Eigentümer überhaupt noch lebten, sollten sie in gewissem Umfang finanziell entschädigt werden, wobei die dafür vorgesehenen Gelder niemals ausreichen würden, um alle vertriebenen Bauern zu entschädigen. Da ein ernstzunehmender Ausgleich nie beabsichtigt war, konnte es nur darum gehen, die gewaltsam herbeigeführten vollendeten Tatsachen endgültig zu besiegeln.

Seit Amtsantritt Präsident Uribes im August 2002 sind schwere und andauernde Verletzungen der Menschenrechte nach UN-Angaben an der Tagesordnung. Rund 14.000 Menschen sind spurlos verschwunden oder nachweislich umgebracht worden, wobei staatliche Kräfte in 75 Prozent aller Fälle direkt oder indirekt beteiligt waren. Obgleich die verübten Grausamkeiten überwiegend den Paramilitärs anzulasten sind, überschneiden sich deren Interessen doch zu einem beträchtlichen Teil mit denen der Sicherheitskräfte und anderer einflußreicher Gruppierungen der Gesellschaft. Zudem wurden mehr als 12.000 Menschen bei Kampfhandlungen getötet, so daß sich die vielzitierten Fortschritte bei der Befriedung des Landes in wesentlichen Teilen als Propaganda erweisen.

Im Verlauf des jahrzehntelangen Bürgerkriegs wurden rund vier Millionen Menschen und damit etwa zehn Prozent der Bevölkerung zu Flüchtlingen im eigenen Land. Dabei dürften etwa 60 Prozent der Vertreibungen den Paramilitärs und rund 10 Prozent den Streitkräften anzulasten sein, die jedoch in vielen Fällen Hand in Hand arbeiten. Für die verbleibenden 30 Prozent werden die Rebellen verantwortlich gemacht. Extrem gefährdet sind die Ureinwohner des Landes, die in hoher Rate dezimiert und um ihren angestammten Lebensraum gebracht werden. Gefährlich leben aber auch Gewerkschafter, aus deren Kreisen im langjährigen Schnitt alle drei Tage ein Aktivist umgebracht wird. Wer sich für die Untaten der Sicherheitskräfte und Todesschwadrone interessiert, muß ebenfalls mit dem Schlimmsten rechnen.

Die Vereinigten Staaten haben seit dem Jahr 2000 mehrere Milliarden Dollar nach Kolumbien gepumpt, um die dortigen Kriegsziele zu erreichen. Weder achten die USA ihrer Ansicht nach überholte Konzepte wie nationale Souveränität oder Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten, noch haben sie Bedenken, dies auch praktisch durchzusetzen. Gemäß ihrer Doktrin verteidigen sie ihre nationale Sicherheit, wo immer sie diese für bedroht erklären, und daß dieser Ort auch eine Pipeline durch den kolumbianischen Dschungel sein kann, wird schon seit Jahren als Ziel einer möglichen direkten Intervention ausgewiesen. Private Sicherheitsfirmen haben als Erfüllungsgehilfen militärischer Optionen mehr amerikanische Experten ins Land gebracht, als die Auflage des US-Kongresses zuläßt, der einer offenen Verstrickung in den kolumbianischen Konflikt wenig abgewinnen kann und es vorzieht, örtliche Machthaber die Probleme ausbaden und die Kohlen aus dem Feuer holen zu lassen. Uribe ging mit der Aufhebung von Bürgerrechten, dem Ausbau des Repressionsapparats und eskalierenden Kämpfen daran, die Guerilla militärisch einzuschränken und zugleich den Paramilitärs eine goldene Brücke in die Zivilgesellschaft zu bauen.

Der Bush-Administration galt der Hardliner im Präsidentenpalast von Bogotá stets als zuverlässigster Verbündeter in Lateinamerika. Uribe hat den sogenannten Krieg gegen den Terror offensiv unterstützt und auf die geplante Vernichtung der Rebellen im eigenen Land gemünzt. Er erweist sich als Statthalter weltherrschaftlicher Interessen, wie ihn sich die Strategen in Washington nicht besser wünschen könnten. Im US-Wahlkampf sprach sich Uribe für den republikanischen Kandidaten John McCain aus und empfing ihn sogar als Gast in Bogotá. Zugleich übte er heftige Kritik an Barack Obama, der dem angestrebten Freihandelsabkommen zwischen den USA und Kolumbien, das derzeit im US-Kongreß auf Eis liegt, unter Verweis auf die Menschenrechtslage in dem südamerikanischen Land seine Unterstützung verweigerte. Dieser Wellenschlag vorübergehender Verstimmung spielt sich jedoch nur auf der Oberfläche ab, während sich die grundlegenden strategischen Interessen der USA in Kolumbien und damit an deren Sachwalter Alvaro Uribe nicht geändert haben.

Will sich der kolumbianische Staatschef eine dritte Amtszeit verschaffen, muß er einen kompliziert anmutenden Prozeß durchlaufen, in dessen Mittelpunkt ein Referendum über die notwendige Verfassungsänderung stehen soll. Nachdem es der Opposition zunächst gelungen war, das Vorhaben im Kongreß auszubremsen, brachten Uribes Anhänger eine Petition ein, die von vier Millionen Bürgern unterschrieben war. Zunächst muß der Kongreß die Volksabstimmung befürworten, worauf eine verfassungsrechtliche Prüfung der Gesetzesvorlage folgen würde. Sollte es wie geplant zu einem Referendum im November kommen, wäre dessen Ergebnis nur gültig, wenn 25 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung teilgenommen haben. Würde die Hälfte der abgegebenen Stimmen eine Verfassungsänderung befürworten, wäre diese angenommen. (NZZ Online 06.05.09)

Als erfahrener Stratege hat Uribe selbst bislang offengelassen, ob er überhaupt eine weitere Amtszeit anstrebt. Auf diese Weise schließt er einen frühzeitigen Wahlkampf aus und hindert Konkurrenten auch aus den Reihen seiner eigenen Parteienkoalition daran, ihre Kandidatur zu betreiben. Unangefochten will er seine Stellung behaupten und den Mythos perfektionieren, er allein sei der Garant von Frieden und Wohlstand in Kolumbien, das ohne ihn im Chaos versinken würde.

6. Mai 2009