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LATEINAMERIKA/2254: NAFTA-Treffen unterstreicht Mexikos Dilemma (SB)


Jährlicher Gipfel der Staatschefs ohne substantielle Fortschritte


Als Juniorpartner der Industriestaaten USA und Kanada hat das Schwellenland Mexiko in der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) wenig zu lachen. Das liegt in der Natur dieses Bündnisses, von dessen Stärke gegenüber den anderen Ländern Lateinamerikas die Mexikaner zu profitieren hoffen, während sie zugleich unter dem Regime des sogenannten Freihandels Opfer der Ausplünderung und Zurichtung werden. Die Logik der Mitgliedschaft geht zwangsläufig nur für die Eliten und bessergestellten Kreise der mexikanischen Gesellschaft auf, die für den Judaslohn der Beteiligung an der Sicherung fremder Herrschaft ihre eigenen Landsleute auf dem Altar der Liberalisierung, Privatisierung und administrativen Kooperation opfern.

Seit 2005 kommen die Staatschefs der drei Mitgliedsländer zu einem jährlichen Gipfel zusammen, um die Kooperation im Rahmen der NAFTA zu vertiefen. Wie sich bei diesen Treffen herauszustellen pflegt, bleiben die fundamentalen Differenzen in den Handelsbeziehungen und in Fragen der Einwanderung bestehen, da sie struktureller Natur sind. Die Hoffnungen auf mexikanischer Seite, man könne eines Tages auf Grundlage der Freizügigkeit die eigene Arbeitskraft samt den Bodenschätzen mit der Technologie und Wirtschaftskraft des Nordens zum allseitigen Nutzen vermählen, blieben Luftschlösser. Kanada und die USA dulden keine ungehinderte Zuwanderung aus Mexiko und beschränken die Möglichkeiten der mexikanischen Wirtschaft, in den beiden Partnerländern tätig zu werden.

Mexikos konservativer Staatschef Felipe Calderón, der in Guadalajara mit US-Präsident Barack Obama und dem kanadischen Premier Stephen Harper zu dem zweitägigen Gipfel zusammengekommen war, konnte nicht mit einem Durchbruch rechnen. Obamas nationaler Sicherheitsberater James L. Jones hatte bereits im Vorfeld signalisiert, daß es nicht um Beschlüsse in kontroversen Fragen, sondern vor allem um blumige Perspektiven gehen würde. Das hochrangige Treffen sei seines Erachtens ein Schritt im Rahmen eines fortgesetzten Dialogs, der zweifellos zu Vereinbarungen führen werde. Weitere Dialoge würden folgen, woraus Gutes erwachsen könne, so Jones. Mit bedeutungsschweren Themen wie Klimawandel, Wirtschaftskrise, Schweinegrippe und Antidrogenkampf ohnehin überfrachtet, waren von diesem Gipfel aus mexikanischer Sicht keine substantiellen Fortschritte zu erwarten. [1]

Wie so oft sah sich die politische Führung Mexikos in der defensiven Rolle eines Beschwerdeführers gegen Maßnahmen der Partnerländer, die das herrschende Mißverhältnis in den jeweiligen Möglichkeiten, die eigenen Interessen durchzusetzen, nur allzu deutlich hervortreten ließen. Der von der US-Regierung auf den Weg gebrachte Plan zur Ankurbelung der eigenen Wirtschaft enthält die Klausel, daß die mit den Hilfsgeldern erworbenen Güter und Dienstleistungen vorzugsweise aus einheimischer Produktion stammen sollen. In Ablehnung dieser protektionistischen Einschränkung sehen sich Kanada und Mexiko ausnahmsweise im selben Boot.

Damit endeten aber auch schon die Gemeinsamkeiten dieser beiden Partnerländer, da die kanadische Regierung vor wenigen Wochen den Vorwurf erhoben hat, Mexikaner erschlichen sich politisches Asyl und überforderten dadurch das Sozialsystem. Künftig müßten mexikanische Staatsbürger bei der Einreise gültige Visa vorlegen. Dies löste in Mexiko einen Aufschrei der Empörung aus, der die Administration Calderóns veranlaßte, im Gegenzug kanadischen Diplomaten und Regierungsvertretern Visumpflicht aufzuerlegen. Allen kanadischen Besuchern ein Visum abzuverlangen, wie dies etliche Abgeordnete erbost forderten, ging der Regierung mit Rücksicht auf den einheimischen Tourismus allerdings zu weit, da die meisten Gäste aus Nordamerika ins Land kommen.

Die größten Probleme hat Mexiko zwangsläufig mit den Vereinigten Staaten, deren Kongreß im März ein Pilotprojekt beendet hat, in dessen Rahmen mexikanische Fuhrunternehmer in den USA landesweit unterwegs sein durften. Damit wurde der alte Zustand wiederhergestellt, der die Transporte auf eine wenige Meilen umfassende Zone nördlich der Grenzübergänge beschränkt, innerhalb derer die Waren auf US-amerikanische Fahrzeuge umgeladen werden müssen. Diese protektionistische Maßnahme verstößt gegen die Bestimmungen der NAFTA, wird aber mit der Begründung durchgesetzt, mexikanische Lastwagen seien nur bedingt verkehrssicher und hätten zu hohe Schadstoffwerte. Nachdem das Pilotprojekt von mexikanischer Seite als langersehnter Durchbruch gefeiert worden war, kam sein ersatzloses Ende einer bitteren Enttäuschung gleich. Mexiko erhob daraufhin zusätzliche Zölle auf diverse US-amerikanische Produkte im Volumen von 2,4 Milliarden Dollar, um Washington zu demonstrieren, daß man sich die Mißachtung nicht länger gefallen läßt.

Für eine weitere aktuelle Kontroverse haben Teile des US-Kongresses mit dem Vorwurf gesorgt, die mexikanischen Streitkräfte hätten keine akzeptable Bilanz hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte. Da 15 Prozent des im Rahmen der Mérida-Initiative vereinbarten Hilfspakets zur Aufrüstung der mexikanischen Sicherheitskräfte an die Einhaltung der Menschenrechte gekoppelt sind, ist dies zweifellos ein brisantes Thema. Die US-Regierung hatte im Vorfeld des Gipfels signalisiert, daß sie die Anstrengungen Calderóns im Kampf gegen die Kartelle voll und ganz unterstützt. Daher halte sie es im Sinne hilfreicher Partnerschaft für angemessen, die Gelder uneingeschränkt fließen zu lassen. So sieht es auch die mexikanische Regierung, die Berichte über Folter und Mißhandlungen durch Soldaten zu isolierten Einzelfällen herunterzuspielen versucht.

Angesichts dieser Streitigkeiten auf mehreren wirtschaftlich bedeutsamen Gebieten bescherte der Gipfel den Mexikanern enttäuschende Ergebnisse. Gedrängt von den einheimischen Exporteuren, die Zollerhöhungen in Zeiten der Krise besonders hart treffen, sagte Obama in Guadalajara immerhin zu, man werde endlich eine Lösung für das leidige Problem finden. Wie diese aussehen könnte, ließ er jedoch offen, so daß auch 15 Jahre nach Inkrafttreten des NAFTA-Abkommens von einem freien Transportwesen weiterhin keine Rede sein kann. Der mexikanische Spediteursverband Canacar kündigte pünktlich zum Treffen der Regierungschefs eine Sammelklage von 5.400 Unternehmern gegen die US-Regierung an und fordert Schadensersatz in Höhe von mehreren Milliarden Dollar. [2]

Präsident Calderón biß auch bei den Kanadiern auf Granit, da die Regierung in Ottawa bereits vor dem Gipfeltreffen deutlich gemacht hatte, daß mit einer Änderung der Visumpraxis vorerst nicht zu rechnen sei. Während sich die Zahl der Asylanträge von Mexikanern seit 2005 verdreifacht habe, sei nach Einführung der neuen Einreisebestimmungen ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen.

Fortschritte gab es in Guadalajara im Klimaschutz insofern, als sich die drei Länder auf den Aufbau einer Infrastruktur für den Handel mit Kohlendioxid-Emissionen verständigten. Auch soll der Schadstoffausstoß im Transportwesen gemeinsam reduziert werden, wozu auch ein CO2-neutrales Wachstum im nordamerikanischen Luftfahrtsektor gehört. Wie vage diese Übereinkunft blieb, zeigte der Ausblick auf den Kopenhagener Klimagipfel im November, hinsichtlich dessen keinerlei konkrete Ziele formuliert wurden. Wie es dazu lediglich hieß, wisse man um die Dringlichkeit aggressiver Maßnahmen gegen den Klimawandel.

Vereinbart wurde auch eine bessere Abstimmung bei der Bekämpfung der sogenannten Schweinegrippe. So soll der Informationsaustausch verbessert und Wissen geteilt werden. Um den H1N1-Virus eindämmen zu können, wolle man versuchen, ein allgemeingültiges Verständnis über die Messung der Gesundheitsfürsorge zu entwickeln. [3]

Da der Dreiergipfel gemessen an seinen wenigen greifbaren Ergebnissen ein Fiasko für Mexiko war, dessen leidigen Status des schwächsten Partnerlands es folglich zu kaschieren galt, lobte man die positive Atmosphäre des Treffens. Man hob insbesondere hervor, daß Obama einen weniger konfrontativen Stil als sein Vorgänger George W. Bush an den Tag gelegt habe, und vergaß nicht zu erwähnen, daß auch Harper um versöhnliche Stimmung bemüht gewesen sei, indem er nicht den Mexikanern die Schuld für die Einführung der Visumpflicht gab, sondern Probleme des kanadischen Flüchtlingssystems dafür verantwortlich machte.

Alle drei Länder bekannten sich nach dem Gipfeltreffen zu dem Freihandelsabkommen und versicherten, daß sie eine Ausweitung des nationalen Konkurrenzdenkens verhindern wollten. Der Handel müsse ausgeweitet und nicht begrenzt werden, unterstrich US-Präsident Barack Obama. Unerwähnt ließ er dabei, daß es stets um die Freiheit des Stärkeren geht, den Schwächeren aller Schutzmechanismen zu entkleiden, um ihn ungehindert ausrauben zu können.

Anmerkungen:

[1] Obama Arrives in Mexico for Start of Summit (10.08.09)
New York Times

[2] USA-Mexiko-Kanada. Handelskonflikte überschatten Nordamerika- Gipfel (11.08.09)
http://www.handelsblatt.com/politik/international/handelskonflikte- ueberschatten-nordamerika-gipfel;2443166

[3] Nordamerika-Gipfel bringt Fortschritte beim Klimaschutz (11.08.09)
http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEBEE57A00I20090811

11. August 2009