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LATEINAMERIKA/2358: Neue Staatengemeinschaft Lateinamerikas beschlossen (SB)


Gegengewicht zur US-dominierten Organisation Amerikanischer Staaten


Die Staaten Lateinamerikas haben die Gründung einer neuen Union beschlossen. Wie es bei einem Gipfeltreffen im mexikanischen Badeort Playa de Carmen nahe Cancún hieß, solle die Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten eine neue Identität der Region festigen und weltweit repräsentieren. Der neue Zusammenschluß soll nicht zuletzt ein Gegengewicht zur Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bilden, die ihren Sitz in Washington hat und maßgeblich von den Vereinigten Staaten beeinflußt wird. Neben den USA ist auch Kanada nicht in der neugegründeten Union vertreten. [1]

Die 1948 ins Leben gerufene OAS mit ihren 35 Mitgliedsstaaten war von Anfang an als Werkzeug der Einflußnahme Washingtons konzipiert, das jahrzehntelang die politische Ausrichtung des Gremiums bestimmte und erst in der jüngeren Vergangenheit in seinem Einfluß beschnitten wurde. Mit Blick auf die neue Union sprach der kubanische Staatschef Raúl Castro auf dem "Gipfel der Einheit" von einer Initiative von "historischer Bedeutung", wobei die Gründung der Gemeinschaft aus seiner Sicht schnell umgesetzt werden kann. Venezuelas Präsident Hugo Chávez hatte schon im Vorfeld erklärt, daß es darum gehe, "sich endgültig von der Vorherrschaft der USA auf dem Kontinent zu befreien". [2]

Das innovative Bündnis von 32 Staaten Süd- und Mittelamerikas sowie der Karibik (Comunidad de Estados Latinoamericanos y Caribeños) wurde von den Teilnehmern des Gipfeltreffens der Rio-Gruppe vereinbart, wobei die formelle Gründung der als CELC abgekürzten Organisation und die Einrichtung ihrer Organe zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen soll. Nach den Worten des gastgebenden mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón werde die Gemeinschaft "eine lateinamerikanische und karibische Identität festigen und weltweit repräsentieren". Auf dem Gipfel nicht vertreten war Honduras, da die Wahl von Präsident Porfirio Lobo wegen der Entmachtung seines Vorgängers Manuel Zelaya umstritten ist. Lobo wurde daher gar nicht erst eingeladen. In der von dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva verlesenen Abschlußerklärung war von einem "historischen Ereignis" die Rede. Der Zusammenschluß solle "insbesondere die regionale Integration anregen".

Die Regierung in Washington mußte wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und die Bildung der neuen Organisation begrüßen. Der Sprecher des Außenministeriums, P.J. Crowley, bediente sich dazu der Formulierung, fast alle Teilnehmer des Gipfels seien "feste Partner der Vereinigten Staaten". Daher stehe das Treffen in Mexiko im Einklang mit den Zielen der USA für die Hemisphäre. [3]

Die formelle Gründung der Staatengemeinschaft soll beim nächsten Gipfeltreffen vollzogen werden, das in zwei Jahren in der venezolanischen Hauptstadt Caracas stattfindet. Der "neue Mechanismus der politischen Abstimmung" dient erklärtermaßen dem vorrangigen Zweck, die Einheit der Staaten Lateinamerikas und der Karibik zu fördern und diese auf lange Sicht zu einem Staatenbund zusammenwachsen lassen. So sind in den Dokumenten Strategien zur Schaffung regionaler und internationaler Strukturen ebenso enthalten wie Absichtserklärungen über den Ausbau der Handelsbeziehungen oder die gemeinsame Bekämpfung des Drogenhandels.

Zu den weiteren Themen der Konferenz gehörten die Hilfe für das vom Erdbeben verwüstete Haiti und der neu entflammte Konflikt zwischen Argentinien und Großbritannien um die Inselgruppe der Malvinas im Südatlantik. Die Teilnehmer des Gipfels sagten dem haitianischen Präsidenten René Préval eine Soforthilfe von umgerechnet 18 Millionen Euro für dessen Staatshaushalt zu. Zudem unterstützten sie Argentinien im Streit mit der britischen Regierung, die sich das Recht herausnimmt, bei den von Argentinien beanspruchten Inseln nach Öl bohren zu lassen. Die nun aufgenommenen Probebohrungen durch eine britische Firma betrachtet Argentiniens Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner als Bruch des Völkerrechts: "Beim Aufbau der Offshore-Plattform geht es nicht nur um unsere Souveränität", warnte sie. "Unsere Naturressourcen werden jetzt geplündert. Es ist Raub."

Mit dieser Position kann die argentinische Präsidentin auf die Unterstützung ihrer Nachbarstaaten zählen. Die Rio-Gruppe von 32 lateinamerikanischen Staaten hob auf dem Gipfeltreffen nach den Worten des mexikanischen Staatschefs Felipe Calderón die "legitimen Rechte der Republik Argentinien im Souveränitätsstreit mit Großbritannien" hervor. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez hatte die britische Regierung bereits zuvor aufgefordert, die Malvinas an Argentinien zurückzugeben.

Wie nicht anders zu erwarten, sind ungeachtet zahlreicher verbindender Interessen auf dem Weg zur angestrebten Einheit noch zahlreiche Hindernisse zu überwinden. Das Ausmaß der Kontroversen deutete sich auf dem Gipfel an, als es zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen den miteinander verfeindeten Präsidenten von Venezuela und Kolumbien kam. Der venezolanische Staatschef Hugo Chávez kritisiert insbesondere, daß die Führung in Bogotá den Streitkräften der USA Zugang zu mehreren Stützpunkten in Kolumbien gewährt hat und sich damit mehr denn je als Brückenkopf Washingtons zur Bedrohung der gesamten Region qualifiziert. Auch wirft Chávez der kolumbianischen Regierung vor, sie habe 300 Paramilitärs ins Grenzgebiet entsandt. Uribe hielt dem Vernehmen nach dem Nachbarland vor, ein Embargo gegen kolumbianische Waren verhängt zu haben. Nachdem ein Eklat nur mit Mühe abgewendet worden war, einigten sich die Kontrahenten darauf, ihre Differenzen durch Gespräche beizulegen. Sie erklärten sich bereit, mit Unterstützung einer "Gruppe von Freunden" aus der Region den Dialog über eine Versöhnung zwischen beiden Ländern aufzunehmen. [4]

Jamaikas Regierungschef Bruce Golding faßte die Situation in folgende Worte: "Es gab in der Vergangenheit zu viele Anlässe, wo wir gegeneinander gekämpft haben. Und dann mußten wir doch wieder im gleichen Teil der Welt zusammenleben. Ich hoffe, daß wir in der neuen Gemeinschaft Wege finden werden, auch über das Trennende zu sprechen - mit dem Ziel der Einheit." Mexikos Staatschef Felipe Calderón sagte zum Abschluß des Treffens: "Es ist die Stunde Lateinamerikas und der Karibik. Wir zeigen der Welt, daß wir uns trotz unserer legitimen Differenzen zur Einheit entschlossen haben. Uns ist klar, daß es viel mehr gibt, was uns verbrüdert, als das, was uns spaltet." [5]

Anmerkungen:

[1] Neue Staatengemeinschaft für Lateinamerika (24.02.10)
http://www.dw-world.de/dw/function/0,,12356_cid_5280447,00.html

[2] Neue Organisation. Amerika ohne die USA (24.02.10)
http://www.n-tv.de/politik/Amerika-ohne-die-USA-article744139.html

[3] Eine neue Union in Lateinamerika. 32 Staaten verständigen sich auf neues Bündnis (24.02.10)
http://www.nzz.ch/nachrichten/international/amerika_lateinamerika_union_celc_gruendung_1.5068249.html

[4] Staatengemeinschaft. Lateinamerikanische Staaten rücken zusammen (24.02.10)
http://www.handelsblatt.com/politik/international/staatengemeinschaft- lateinamerikanische-staaten-ruecken-zusammen;2535062

[5] Treffen der Staaten Lateinamerikas und der Karibik. Viel Trennendes beim Einheitsgipfel (24.02.10)
http://www.tagesschau.de/ausland/lateinamerikagipfel100.html

24. Februar 2010