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LATEINAMERIKA/2373: Vor 30 Jahren wurde Erzbischof Romero in San Salvador ermordet (SB)


Präsident Mauricio Funes bittet für die Bluttat um Verzeihung


Am Abend des 24. März 1980 wurde Erzbischof Oscar Arnulfo Romero von einem Attentäter der Todesschwadronen mit einem einzigen Schuß aus einer Handfeuerwaffe getötet, während er in der Kapelle eines Krankenhauses in San Salvador eine Messe zelebrierte. Dreißig Jahre nach dieser Bluttat hat der Staatschef El Salvadors, Mauricio Funes, öffentlich um Verzeihung für die Ermordung Romeros gebeten. Der Staat trage Mitschuld an dem bis heute ungeklärten Verbrechen, da er mit den Todesschwadronen kollaboriert habe, sagte Funes bei einer öffentlichen Ansprache in der Hauptstadt. "Im Namen des salvadorianischen Staates und als Präsident von El Salvador erkenne ich an, daß der Erzbischof von El Salvador, Oscar Arnulfo Romero Galdamez, Opfer der Gewalt geworden ist, die von einer Todesschwadron ausgeübt wurde", erklärte der Präsident bei der Enthüllung eines Wandgemäldes. "Ich weiß, daß dies eine Erleichterung für die Gesellschaft und Balsam für ein Land ist, das der Gewalt müde geworden ist und eine geistige Versöhnung ersehnt."

Anfang vergangenen Jahres hatte der ehemalige Journalist als Kandidat der linken Befreiungsfront FMLN erstmals die rechte Arena-Partei von der Macht verdrängt. Mit Funes, der bei seinem Amtsantritt Romero als seinen spirituellen Führer bezeichnet hatte, nahm gestern zum ersten Mal der Präsident des Landes an den jährlich wiederkehrenden Veranstaltungen zum Todestag des Erzbischofs teil. Für viele Menschen, die Romero wie einen Heiligen verehren, waren die Worte des Staatschefs längst überfällig. So sagte der Hilfsbischof von San Salvador, Gregorio Rosa Chávez, dieses Ereignis markiere einen Wendepunkt in der Geschichte des Landes. [1]

Erzbischof Romero, der den Militärs kritisch gegenüberstand, galt damals längst als so etwas wie eine Leitfigur des Widerstands gegen die Diktatur. In Reaktion auf seine Ermordung verstärkten sich die subversiven Aktivitäten, die alsbald in einen Bürgerkrieg mündeten, in dem die Guerilla Ende des Jahres 1980 rund ein Drittel des Landes kontrollierte. Die Auseinandersetzungen kosteten rund 75.000 Menschen das Leben und endeten erst mit dem Friedensabkommen von 1992.

Eine von den Vereinten Nationen unterstützte Wahrheitskommission kam 1993 zu dem Schluß, daß die Todesschwadrone und insbesondere deren 1992 verstorbener Anführer Roberto D'Aubuisson die Verantwortung für den Tod des Erzbischofs trugen. Obgleich Romero Menschenrechtsverletzungen aller politischen Flügel und Fraktionen verurteilte, sah die Rechte in ihm einen Sympathisanten der Kommunisten, den es zu beseitigen galt. Der frühere Major der Streitkräfte D'Aubuisson gehörte zu den Gründern der Arena-Partei, die das Land seit 1989 beherrschte. Diese erließ 1993 ein Amnestiegesetz, das bis heute eine gerichtliche Aufarbeitung der Verbrechen vor und während des Bürgerkriegs verhindert. Auch zeigte die Partei während ihrer Regierungszeit natürlich kein Interesse an einer vollständigen Aufdeckung der Mordkomplotts gegen Romero. Die von Arena gebildeten reaktionären Regierungen, die von den Wirtschaftseliten und Militärs getragen wurden, stemmten sich gegen soziale oder politische Reformprozesse, die geeignet gewesen wären, die Folgen des Bürgerkriegs zu überwinden.

Oscar Romero, der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen war, galt als konservativer und eher unpolitischer Kirchenmann, als er 1977 im Alter von 60 Jahren zum Erzbischof der Hauptstadt San Salvador ernannt wurde. Nicht lange darauf mußte er jedoch Greueltaten miterleben, die zu einer bemerkenswerten Veränderung seiner persönlichen und politischen Auffassung führten. Besonders einschneidende Erlebnisse waren in dieser Hinsicht ein im Februar 1977 von Soldaten an Demonstranten, die vor der Kathedrale gegen den Betrug bei den Präsidentschaftswahlen protestierten, verübtes Massaker sowie die Ermordung eines befreundeten Jesuitenpaters im selben Jahr. [2]

Bald wurde er zur "Stimme jener, die keine Stimme haben" und weit über die Grenzen El Salvadors hinaus als mutiger Fürsprecher der Armen und Unterdrückten bekannt. Romero sprach die Menschen an, weil er es verstand, das Evangelium in einfachen Worten auszulegen und mit aktuellen politischen Forderungen zu verbinden. Er prangerte die Verbrechen der Regierung in Predigten und Ansprachen an, forderte soziale Reformen und bediente sich dabei des erzbischöflichen Radiosenders "Panamerikanische Stimme" wie auch der Zeitung "Orientación", welche die Machthaber nicht zum Schweigen bringen konnten. Da er zahlreiche Todesdrohungen erhalten hatte, schwebte er in ständiger Lebensgefahr und verzieh vor seiner Ermordung öffentlich seinen möglichen Mördern. Bei seiner Beisetzung feuerten Scharfschützen vom Nationalpalast aus in die Zehntausende zählende Menschenmenge und töten dabei etwa 40 Trauergäste. [3]

Die damaligen Auseinandersetzungen fanden in einem Umfeld statt, das in mehreren Ländern Mittelamerikas von Revolten bis hin zum bewaffneten Kampf gegen die Diktatur und deren Hintermänner in Washington geprägt war. Nachdem Mitte 1979 ein Volksaufstand im benachbarten Nicaragua das Somoza-Regime weggefegt und die Sandinisten an die Macht gebracht hatte, fühlten sich auch die Guerillaverbände El Salvadors in ihrem eigenen Vorhaben bestärkt. Unterstützt von massiver Militär- und Wirtschaftshilfe der USA forcierte die Regierung ihre repressive Kampagne und machte gnadenlos Jagd auf die Aufständischen wie auch alle mutmaßlichen Helfer und Sympathisanten. Diesem Feldzug gegen die eigene Bevölkerung fielen allein 1980 rund 10.000 Menschen zum Opfer.

Längst wird Romero von der armen Bevölkerung als Märtyrer verehrt, und in der katholischen Kirche El Salvador gibt es Befürworter einer Heiligsprechung. Tausende Menschen forderten am vergangenen Sonntag die sofortige Seligsprechung, wobei die salvadorianische Bischofskonferenz den Vatikan bereits aufgefordert hatte, zum 30. Todestag als ersten Schritt auf dem Weg zur Erlangung des Heiligenstatus die Seligsprechung zu verkünden. In Rom hat man jedoch Probleme mit einer derartigen Würdigung Romeros und schiebt als möglichen Hinderungsgrund das Argument vor, das Motiv für den Mord sei nicht Haß auf den katholischen Glauben gewesen.

Da Romero als Anhänger der Befreiungstheologie galt, stand ihm die Mehrzahl der anderen Bischöfe El Salvadors ablehnend gegenüber. Ihnen war zutiefst suspekt, daß dieses schwarze Schaf im erzbischöflichen Ornat keine Grenzen zwischen dem kirchlichem Lehramt und der politischen Tätigkeit mehr ziehen mochte. Damit nicht genug, machte er die seit fünfzig Jahren regierenden Militärs öffentlich für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und geißelte die Besitzverhältnisse im Land, das von vierzehn reichen Familien beherrscht wurde. Und nicht zuletzt ließ er sogar ein gewisses Verständnis für den bewaffneten Widerstand der Guerilla erkennen, da deren Kampf von struktureller Gewalt provoziert worden sei.

Am Vorabend seiner Ermordung richtete sich Erzbischof Romero in einer Predigt direkt an die Soldaten und die Regierung: "Kein Soldat ist gezwungen, einem Befehl zu folgen, der gegen das Gesetz Gottes verstößt. Einem amoralischen Gesetz ist niemand unterworfen. Es ist an der Zeit, daß ihr euer Gewissen wiederentdeckt und es höher haltet als die Befehle der Sünde. Die Kirche, Verteidigerin der göttlichen Rechte und von Gottes Gerechtigkeit, der Würde des Menschen und der Person, kann angesichts dieser Greuel nicht schweigen. Im Namen Gottes und im Namen des leidenden Volkes, dessen Klagen jeden Tag lauter zum Himmel steigen, ersuche ich euch, bitte ich euch, befehle ich euch: Hört auf mit der Repression!"

Anmerkungen:

[1] El Salvador Leader Apologizes for Archbishop‹s Assassination (24.03.10)
New York Times

[2] Im Volk heisst der Erzbischof San Romero (23.03.10)
Neue Zürcher Zeitung

[3] Ungesühnte Bluttat (24.03.10)
http://www.donaukurier.de/nachrichten/panorama/Ungesuehnte-Bluttat;art154670,2260083

25. März 2010