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LATEINAMERIKA/2456: Polarisierung in Peru - Humala und Fujimori erreichen Stichwahl (SB)


Linksnationalist tritt gegen Rechtskonservative an


Bei der ersten Runde der Präsidentenwahl in Peru hat der 48 Jahre alte Linksnationalist Ollanta Humala die meisten Stimmen erzielt. Da er mit rund 29 Prozent die absolute Mehrheit verfehlte, muß er sich in der Stichwahl am 5. Juni der rechtskonservativen Keiko Fujimori stellen. Die erst 35 Jahre alte Tochter des wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption zu 25 Jahren Haft verurteilten früheren Staatschefs Alberto Fujimori kam nach inoffiziellen Hochrechnungen auf rund 23 Prozent. Da aussagekräftige offizielle Zahlen noch nicht vorlagen, wurden Angaben der Nichtregierungsorganisation Transparencia zugrunde gelegt, die auf der Auswertung bereits offiziell ausgezählter und als repräsentativ ausgewählter Wahlurnen beruhen. Die Berechnungen von Transparencia hatten sich in der Vergangenheit als sehr zuverlässig erwiesen. [1]

Der konservative Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa prägte im Vorfeld des Urnengangs mit Blick auf Humala und Fujimori das diffamierende Wort von einer Wahl "zwischen Aids und Krebs im Endstadium", um ein Verhängnis für die bürgerlichen Mitte an die Wand zu malen. Nach Bekanntgabe der Ergebnisse äußerte sich Vargas Llosa erneut und sprach von einer Konfrontation der extremen Positionen, der extremen Linken gegen die extreme Rechte. [2]

Das bürgerliche Lager war gespalten und durch den Umstand geschwächt, daß drei aussichtsreiche Kandidaten ins Rennen gingen. Den dritten Platz erreichte demnach der frühere liberale Ministerpräsident und Weltbankfunktionär Pedro Pablo Kuczynski mit knapp 22 Prozent, der 65jährige Ex-Präsident Alejandro Toledo (2001-2006) lag bei gut 15 Prozent und auf den ehemaligen Bürgermeister von Lima, Luis Castañeda, entfielen knapp zehn Prozent. Toledo hatte in letzter Minute vorgeschlagen, sich auf einen einzigen Kandidaten zu einigen, fand damit aber kein Gehör.

Die Stimmen Humalas kamen vor allem aus dem ländlichen Raum im Süden des Landes. So gelang es ihm, fünfzehn Provinzen im Süden und Zentrum Perus mit zum Teil über 55 Prozent Stimmanteil für sich zu gewinnen. Wesentlich schlechter schnitt er hingegen in der Hauptstadt Lima mit ihren 7 Millionen Einwohnern ab, wo er mit gut 20 Prozent hinter Fujimori lag, die dort rund 23 Prozent verbuchte, während klarer Gewinner mit rund 28 Prozent der Wirtschaftliberale Pedro Pablo Kuczynski war. [3]

Der scheidende Amtsinhaber Alan García durfte gemäß der peruanischen Verfassung nicht für eine zweite Amtszeit in Folge antreten. Während seiner Regierungszeit erzielte der Andenstaat zwar ein Rekordwachstum von zuletzt 8,8 Prozent, doch wuchs zugleich die soziale Ungleichheit und die Armutsrate. Da die APRA-Partei des rechten Sozialdemokraten zudem auf Grund diverser Korruptionsaffären außerordentlich unbeliebt geworden war, stellte sie keinen eigenen Kandidaten auf und unterstützte stattdessen Kuczynski.

Die Kritik erheblicher Teile der Bevölkerung an der Regierungspolitik kam auch darin zum Ausdruck, daß die Wahlbeteiligung der knapp 20 Millionen Stimmberechtigten ungeachtet bestehender Wahlpflicht nur bei 85 Prozent lag. Rund 15 Prozent der wahlberechtigten Peruaner zogen es vor, eine Geldstrafe zu zahlen, statt ihre Stimme einem der Kandidaten zu geben. Alejandro Toledo bezeichnete das Ergebnis denn auch als Ausdruck von Verärgerung und Unzufriedenheit.

Die Peruaner stimmten zugleich über die Neubesetzung des Parlaments ab. Humalas Bündnis "Gana Perú" stellt künftig voraussichtlich 41 der 130 Sitze in dem Einkammerparlament, gefolgt von Fujimoris Vereinigung "Fuerza 2011" mit 35 Sitzen. Drittstärkste Kraft wurde Toledos "Peru Posible" mit 22 Mandaten, während Kuczynksis "Alianza para el gran cambio" auf 11 Sitze kam. Die ehemals einflußreiche Traditionspartei APRA schrumpfte auf nur vier Sitze zusammen.

Bereits bei der Präsidentenwahl 2006 lag Ollanta Humala in der ersten Runde in Führung, doch mußte er sich in der Stichwahl einer Allianz aller übrigen politischen Lager geschlagen geben, die Alan García auf den Schild hob. Mit Keiko Fujimori als reaktionärer Gegenspielerin findet Humala am 5. Juni diesmal eine andere Konstellation vor, da sich die bürgerliche Mitte nicht geschlossen positionieren wird. Beide Kandidaten, die ihre Wähler bisher in den armen Bevölkerungsschichten fanden, werden in den kommenden Wochen mit gemäßigten Äußerungen um die Stimmen der Mittel- und Oberschicht werben. So kündigte Humala noch am Wahlabend für den Fall seines Wahlsiegs eine Regierung an, die dem Volk verpflichtet sei, hob aber zugleich seine Bereitschaft hervor, "viele Konzessionen zu machen". Fujimori versuchte die Bedenken gegen ihr politisches Lager zu zerstreuen, indem sie versicherte, sie werde ihren Aufgaben mit absolutem Respekt für die Demokratie, die Pressefreiheit, die Menschenrechte und den Rechtsstaat nachgehen.

Ollanta Humala ist kein Kandidat einer klassischen Linken, zumal diese in Peru derzeit angesichts ihrer Schwäche und geringen Organisierung über keinen nennenswerten Einfluß verfügt. Der Oberstleutnant im Ruhestand führte im Oktober 2000 einen Putschversuch gegen den diktatorisch regierenden Präsidenten Alberto Fujimori an. Er wurde zunächst festgenommen und aus der Armee entlassen, nach dem Sturz Fujimoris jedoch rehabilitiert und zum peruanischen Militärattaché in Paris und später in Seoul befördert. Im Dezember 2004 wurde er von diesem Posten abgelöst. Sein Vater Isaac Humala gilt als Begründer der Bewegung des Etnocacerismus, der auch Ollanta entspringt. Später distanzierte er sich teils von dessen Inhalten und bezog sich auf tendentiell linksgerichtete Regierungen in Ländern Lateinamerikas. In der Vergangenheit machte er keinen Hehl aus seiner Sympathie für den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, auf den er jedoch im aktuellen Wahlkampf keinerlei Bezug nahm und sich statt dessen von dem früheren brasilianischen Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva inspirieren ließ.

Humala war der einzige Kandidat, der das marktliberale Wirtschaftsmodell ablehnt und sich für eine Förderung der einheimischen Wirtschaft ausspricht. Für Unruhe in bürgerlichen Kreisen sorgte auch seine Ankündigung, er strebe eine Reform der Verfassung an. Sein Wahlkampfversprechen, er wolle eine aktivere Rolle des Staates in der Wirtschaft herbeiführen und den Wohlstand zu Gunsten der 34 Prozent in Armut lebenden Landsleute umverteilen, fiel insbesondere in den weitgehend mittellosen ländlichen Bevölkerungskreisen auf fruchtbaren Boden. Den Wählern versprach er andererseits eine vorsichtige Steuerpolitik, Respekt vor Freihandelsabkommen und keine Pläne zur Wiederwahl. Daß er sich relativ gemäßigt äußerte, bewahrte ihn nicht vor dem Vorwurf seiner Gegner, er sei ein Wolf im Schafspelz und werde die Wirtschaft mit sozialistischen Experimenten ruinieren und die Demokratie aushöhlen.

Keiko Fujimori wurde 1994 als 19jährige nach der Trennung der Eltern von ihrem Vater Alberto Fujimori zur First Lady erklärt und füllte diese Funktion bis ins Jahr 2000 aus. Danach studierte sie mit einem Stipendium von Fannie Mae Ökonomie in den USA und arbeitete dort bis zu ihrer Rückkehr nach Peru im Jahr 2005. Bei den Parlamentswahlen im April 2006 erhielt sie einen Sitz im Kongreß für die Partei ihres Vaters. Sie glänzte jedoch während ihrer Zeit als Abgeordnete vor allem durch Abwesenheit und scheint in erster Linie von dem erklärten Ziel getrieben zu sein, ihren 72 Jahre alten Vater zu rehabilitieren und ihn im Falle ihres Wahlsiegs zu begnadigen. Sie lobte ihn stets als "besten Präsidenten, den Peru je hatte", und versprach die nahtlose Fortsetzung seiner Politik, worunter sie eine scharf neoliberale Rezeptur sowie einen rücksichtslosen Kampf gegen die Linke versteht. Alberto Fujimori hatte von 1990 bis 2001 als Pendant zur Phase der Militärdiktatur, die im Unterschied zu den meisten südamerikanischen Nachbarländern in Peru ausgeblieben war, ein Regime errichtet, das nur dem Schein nach demokratische Züge aufwies. Er setzte Todesschwadrone gegen Widersacher ein, überzog im Tandem mit seinem Geheimdienstberater Vladimiro Montesinos das Land mit einem Spitzel- und Korruptionssystem und trieb mit seiner Wirtschaftspolitik die Umverteilung von unten nach oben massiv voran.

Keiko Fujimori kündigte die Fortsetzung einer Politik der harten Hand ihres Vaters und von dessen sozialen Programmen an, wobei letztere den Charakter eines paternalistischen Systems präsidialer Gunsterweise zur Befriedung der Bevölkerung hatten. Als ihre Anhänger am Wahlabend in Sprechchören "Chino, Chino, Chino" in Anspielung auf ihren japanischstämmigen Vater skandierten, wobei dieser Begriff in Peru häufig für alle Asiaten verwendet wird, schien die Erinnerung an die Taten und Motive Alberto Fujimoris, der einst fluchtartig das Land verlassen hatte, um der Strafverfolgung zu entgehen, zumindest in diesen Kreisen vollständig gelöscht zu sein.

Anmerkungen:

[1] Präsidentschaftswahl. Peru will die Entscheidung zwischen den Extremen (11.04.11)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-04/peru-humala-fujimori

[2] Wahlen in Peru - Humala und Fujimori weiter (11.04.11)
http://www.suite101.de/content/wahlen-in-peru-humala-und-fujimori-erreichen-zweiten-wahlgang-a108273

[3] Stichwahl der Extreme (11.04.11)
http://www.taz.de/1/politik/amerika/artikel/1/stichwahl-der-extreme/

11. April 2011