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LATEINAMERIKA/2465: Ollanta Humala steuert Peru auf sozialdemokratischen Kurs (SB)


Sozial verbrämte Spielart derselben Verwertungsordnung


In Peru hat gestern Ollanta Humala das Präsidentenamt angetreten. Wie sein erklärtes Vorbild Luiz Inácio Lula da Silva wäre er niemals zum Staatschef gewählt worden, hätte er nicht sozialistischen Ambitionen abgeschworen und sich als Garant einer sozialdemokratisch administrierten Variante kapitalistischer Verwertung verbürgt. Dennoch dürfte der 49 Jahre alte ehemalige Oberstleutnant mit erheblich größerem Widerstand in Kreisen der einheimischen Eliten als der frühere brasilianische Präsident zu rechnen haben. Indígene Herkunft, eine schillernde Vergangenheit als Anführer einer kleinen Gruppe von Putschisten und seine vormalige Nähe zu Hugo Chávez machen ihn für das politische und ökonomische Establishment suspekt, die jeden seiner künftigen Schritte mit Argwohn verfolgen und ihm Steine in den Weg legen werden.

Indessen spricht alles dafür, daß Humala den Schwenk von Chávez zu da Silva, vom Bolivarismus zum Lulaismus nicht nur aus wahltaktischen Erwägungen vollzogen hat. Er kündigte eine behutsame Politik der kleinen Schritte an, gelobte feierlich, keine Verfassungsreform anzustreben, und bildete ein Kabinett von neoliberalem Profil, an dessen Spitze der Unternehmer Salomón Lerner Ghitis als Premierminister steht. Zum Wirtschafts- und Finanzminister ernannte er mit Miguel Castilla einen ausgesprochenen Technokraten aus der scheidenden Garcia-Regierung und setzte damit ein Zeichen, daß er die investitionsfreundliche Wirtschaftspolitik weiterzuführen gedenkt. Zudem paktiert Humalas Fraktion im Parlament mit der Partei des früheren Präsidenten Alejandro Toledo (2001-2006), die auch vier Minister im Kabinett stellt. [1]

Die politische Wende, von der Ollanta Humala spricht, wird sich absehbar in einem beschränkten Rahmen halten. Weder ist eine Landreform, noch ein grundlegend anderer Umgang mit den Ressourcen Perus zu erwarten. Häufig sind es brasilianische Konzerne, die Rohstoffe im Andenstaat fördern, Strom aus Wasserkraftwerken für Brasilien produzieren wollen und Verkehrswege an den Pazifik bauen. Humala hatte einerseits angekündigt, er wolle eine Zusatzsteuer auf die Gewinne der Bergbauunternehmen einführen, doch dürfte ihm andererseits an einem ungetrübten Verhältnis zu Lulas Parteifreundin und Nachfolgerin, Dilma Rousseff, sehr gelegen sein.

Alle lateinamerikanischen Regierungen des Mitte-Links-Spektrums haben den Rohstoffboom der vergangenen Jahre genutzt, um den Staatsanteil an den Erlösen aus der Erdölförderung oder dem Bergbau zu erhöhen. Damit finanzierten sie Sozialprogramme für die Armen wie Zuschüsse für den Schulbesuch, Projekte im sozialen Wohnungsbau oder spürbare Erhöhungen der Mindestlöhne. Indem Humala sich demonstrativ von Hugo Chávez und dessen engen Verbündeten wie Evo Morales in Bolivien oder Rafael Correa in Ecuador abgewendet hat, setzt er offensichtlich auf eine Politik brasilianischen Zuschnitts. Luiz Inácio Lula da Silva, der von 2003 bis 2010 regierte, verfolgte eine konservative Wirtschaftspolitik, ließ die Privilegien der Reichen unangetastet, wahrte mit dubiosen Allianzen seine Regierungsfähigkeit und machte während seiner beiden Amtszeiten zugleich genügend Mittel frei, um Millionen Brasilianern den Sprung aus tiefster Armut zu ermöglichen.

Diese von vielen Seiten als Erfolgsmodell gerühmte Politik war ein zwangsläufig befristeter gesellschaftlicher Kompromiß, den überbordenden Reichtum der Rohstofferlöse ausnahmsweise zu einem nennenswerten Bruchteil den ärmsten Bevölkerungsteilen zukommen zu lassen. Die dringend erforderliche Modernisierung des Landes, dessen Eliten den ambitionierten Sprung von einem der führenden Schwellenländer in den Kreis der Industrienationen ins Auge fassen, bedurfte einer gewissen Verbesserung der Lebensverhältnisse, um innovative Kräfte freizusetzen und insbesondere den ideologischen Entwurf einer nicht nur regionalen Führungsmacht zu unterfüttern.

All das gilt nicht in gleichem Maße für Peru, zumal sich Ollanta Humala wie sein großes Vorbild darauf festgelegt hat, nicht an den gesellschaftlichen Verhältnissen und den damit verbundenen Besitzständen zu rühren. Erste Konflikte seiner beginnenden Amtszeit zeichnen sich bereits ab. An etwa 200 Orten im Land wehren sich die Menschen gegen Großprojekte im Bergbau und Staudämme an den Flüssen, die die Lebensgrundlage der ansässigen Bevölkerung zerstören und die Umwelt verwüsten.

In seiner Antrittsrede vor dem neuen Kongreß und zahlreichen überwiegend aus Südamerika stammenden Würdenträgern, darunter elf Präsidenten, kündigte Humala ein umfassendes Engagement zur Überwindung der weitverbreiteten Armut in seinem Land an. "Perus Bauern und die arme Landbevölkerung werden im allgemeinen meine Priorität sein", erklärte er. Denn wo Elend und "soziale Asymmetrie" herrschten, könne es keine Demokratie geben. Er war insbesondere mit dem Versprechen eines umfangreichen Sozialprogramms in den Wahlkampf gegangen und hatte sich am 6. Juni nur knapp mit 51 Prozent der Stimmen in der Stichwahl gegen die rechtskonservative Tochter des inhaftierten ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori durchgesetzt.

Der Präsident will sich den Armen zuwenden, denen er in erster Linie seinen Wahlsieg verdankt. Insbesondere seine indígenen Landsleute erhoffen sich von ihm Anerkennung und bessere Lebensverhältnisse. Die Berufung der schwarzen Sängerin Susana Baca zur Kulturministerin symbolisiert die Aufbruchstimmung. Ein zentraler Prüfstein wird der Umgang mit den indígenen Völkern sein, die kollektive Rechte auf Entwicklung, Frieden, eine gesunde Umwelt sowie die Bewahrung ihrer Kultur und Identität einfordern. [2]

Außenpolitisch kann der frisch gekürte peruanische Präsident in Kürze Akzente setzen, wenn seine südamerikanischen Amtskollegen in Lima zu einem Gipfeltreffen der Südamerikanischen Staatengemeinschaft (UNASUR) zusammenkommen, dem sich ein Spitzentreffen der Mitglieder der Andengemeinschaft (Peru, Bolivien, Ecuador und Kolumbien) anschließt. Insbesondere als Gastgeber des UNASUR-Gipfels ist Humala gefordert, zwischen den verschiedenen Lagern als Vermittler den Zusammenschluß der südamerikanischen Länder zu fördern, ohne sich dabei zum Sachwalter einer reaktionären Gegenbewegung zu sozialistischen Gesellschaftentwürfen zu machen.

Bei der Präsidentschaftswahl 2006 war Humala noch als kämpferischer Linksnationalist aufgetreten, was ihm am Ende den sicher geglaubten Wahlsieg kostete und den jetzt scheidenden Präsidenten Alan García ins höchste Staatsamt befördert hatte. Der Sozialdemokrat brachte die peruanische Wirtschaft in den vergangenen fünf Jahren auf einen stabilen Wachstumskurs, der mit einer sozialen Polarisierung der Gesellschaft erkauft war: Rund 34 Prozent der Peruaner leben in Armut. Wenngleich die Wirtschaft derzeit mit einer Rate von 8 Prozent wächst und kein anderes Land Lateinamerikas in den letzten Jahren höhere Wachstumsraten erzielt hat, sind die Früchte dieses Trends, der einseitig auf den hohen Rohstoffpreisen gründet, sozial und regional höchst ungleich verteilt: Während die Küstenregion und die Städte profitieren, wurden die Andengebiete und die Ureinwohner weitgehend ausgegrenzt. [3]

Die Regierung García setzte auf Wachstum und förderte ausländische Direktinvestitionen, denen gegenüber die Rechte der Bürger im Zweifelsfall als nachrangig wenn nicht gar hinderlich galten. Soziale und ökologische Verwerfungen wurden auf die lokale Bevölkerung abgewälzt, die sich mit dem dem Verlust von Anbauflächen, der Verdrängung traditioneller Anbauprodukte, der Vergiftung von Flüssen und Wassermangel konfrontiert sah. So häufen sich die Konflikte im Land und erst Ende Juni kam es bei Protesten gegen die Eröffnung einer Silbermine zu mehreren Toten. Ein besonders krasses Beispiel stellt Cajamarca dar, wo die größte Goldmine Lateinamerikas die Wasservorräte der gesamten Region beansprucht und die Kolonialstadt mit allen negativen Folgen modernen städtischen Konsums überzogen hat. [4]

Während die Konkurrenten um das Präsidentenamt wie Keiko Fujimori, Alejandro Toledo, Luis Castañeda oder Pablo Kuczynski allesamt als Protagonisten der bestehenden Verhältnisse galten, gehört Humala nicht den Eliten des Landes an. Seine Herkunft läßt erwarten, daß er sich stärker den ausgeschlossenen Bevölkerungsschichten zuwendet und der Verpflichtung des Wahlergebnisses nachkommt, da er überall im Landesinneren, nicht aber in Lima gewonnen hat. Insofern ist nicht auszuschließen, daß bessere Lebensverhältnisse der armen Schichten und deren Partizipation am politischen Prozeß dem neuen Präsidenten ein Anliegen sind.

Den Imagewandel vom linksradikalen Nationalisten zum reformorientierten Versöhner überzeugend zu vollziehen und zum anderen den versprochenen sozialen Wandel und den Kampf gegen die Armut voranzutreiben, der ihm entscheidende Stimmen aus dem politisch moderaten Lager eingebracht hatte, bedürfte jedoch eines Spagats, der zwangsläufig in die Überstreckung führt. Die grundlegenden gesellschaftlichen Widersprüche einer raubgestützten Verwertungsordnung, die den Reichtum weniger zu Lasten der Armut vieler generiert, lassen sich nicht in einem Balanceakt aussteuern.

Fußnoten:

[1] http://www.domradio.de/aktuell/75374/peru-rueckt-nach-links.html

[2] http://www.dw-world.de/dw/article/0,,15274294,00.html

[3] http://www.nzz.ch/nachrichten/startseite/lula_ist_fuer_humala_das_bessere_vorbild_als_chavez_1.11667891.html

[4] http://www.taz.de/Linke-Regierung-in-Peru-tritt-an/!75219/

29. Juli 2011