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LATEINAMERIKA/2472: Mit Washingtons Segen - Remilitarisierung der Staatsführung Guatemalas (SB)



Präsident Otto Pérez Molina droht mit der eisernen Faust

Guatemala gehört zu den ärmsten und zugleich von den anhaltendsten inneren Konflikten in Mitleidenschaft gezogenen Staaten Lateinamerikas. Heimgesucht von verheerenden Naturkatastrophen wie Dürren, Wirbelstürmen und Überschwemmungen, wird das Land doch vor allem von neofeudalen Herrschaftsverhältnissen in Geiselhaft genommen. Dank massiver militärischer, geheimdienstlicher und politischer Unterstützung der Vereinigten Staaten sitzen die Eliten fest im Sattel und drangsalieren die überwiegend in bitterer Armut lebende Bevölkerungsmehrheit. Rund zwei Prozent der Guatemalteken verfügen zumeist als Großgrundbesitzer über 80 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Hinzu gesellt sich ein ausgeprägter Rassismus, der dazu führt, daß die indígene Mehrheit weitgehend vom öffentlichen und wirtschaftlichen Leben ausgeschlossen wird.

Die Konzentration des Reichtums auf Grundlage bitteren Elends führt dazu, daß Guatemala seit Jahrzehnten einen hohen Anteil von notleidenden und hungernden Menschen aufweist. Mehr als die Hälfte der gut 12,7 Millionen Einwohner lebt in Armut, wobei die Ureinwohner besonders benachteiligt sind, die 40 Prozent der Bevölkerung, aber 75 Prozent der Armen stellen. Nach Angaben von UNICEF ist die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren unterernährt, acht von zehn Ureinwohnerkinder dieser Altersgruppe sind davon betroffen. Haupteinnahmequelle der meisten Menschen ist die Landwirtschaft, doch werden oft die gesamten Ernten durch langanhaltende Hitzeperioden oder sintflutartige Regenfälle vernichtet. Überdies fördert die Regierung den Anbau von Palmöl und Zuckerrohr in Großplantagen für die Gewinnung von Biosprit, womit sie der kleinbäuerlichen Bevölkerung die Lebensgrundlage entzieht.

Mit einer Rate von rund 6.000 Morden jährlich gehört Guatemala zu den gefährlichsten Ländern Lateinamerikas. Die allgegenwärtige Gewalt gilt gemeinhin als ein Erbe des Bürgerkriegs (1960-1996), dessen offizielles Ende durch ein Friedensabkommen nichts am Grundkonflikt geändert hat. Weiterhin herrschen Ausbeutung und Unterdrückung, verteidigen die Eliten ihre Privilegien mit Zähnen und Klauen. Zunächst waren es vor allem ehemalige Kriegsteilnehmer, die in der Zivilgesellschaft ihr erlerntes Mordhandwerk feilboten. Ihnen folgte eine jüngere und noch skrupellosere Generation, die ihren eigenen Vorteil unter brutaler Ausschaltung aller Hindernisse durchsetzt.

Innenministerium und Bundespolizei bauten Todesschwadrone auf, die zunächst Jugendbanden wie die Mara Salvatrucha mit allen Mitteln niedermachten. Diesen verdeckt operierenden staatlichen Killerkommandos gehören nicht zuletzt Mitglieder evangelikaler Kirchen an, welche die "soziale Säuberung" der Gesellschaft als geheiligte Arbeit ansehen. Zwangsläufig ging der von keiner Instanz kontrollierte Kreuzzug rasch ins Verbrechen über, indem man die Konkurrenz eliminierte und deren Geschäft übernahm. Zudem stehen geheime paramilitärische Gruppen aus Kreisen der Polizei und Armee bereit, die politische Opposition gewaltsam zu unterdrücken. Wenngleich der Bürgerkrieg mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt, funktionieren die alten Netzwerke der Repression noch immer wenn es gilt, jeden Ansatz einer sozialen Veränderung im Keim zu ersticken. Die Eskalation brutaler Übergriffe steht mit dem Drogengeschäft in Verbindung, das in dem Transitland zunehmend an Bedeutung gewinnt. Armut und weit verbreitete Gewalt machen Guatemala zu einem bevorzugten Operationsfeld des Drogenhandels, der längst sämtliche politischen Gremien unterwandert haben dürfte.

Wo es in der Geschichte Guatemalas Ansätze gab, die Besitzverhältnisse zu verändern, wurden sie gewaltsam unterdrückt. In den Jahren von 1944 bis 1954 strebten die Reformregierungen der Präsidenten Juan José Arévalo und Jacobo Arbenz eine Umverteilung des Landbesitzes an, bis ein von der CIA organisierter Putsch diesem Vorhaben gewaltsam ein Ende setzte. Wie unangreifbar sich frühere Machthaber wähnen konnten, zeigt der Lebenslauf Efraín Ríos Montts, der von 1982 bis 1983 als Diktator regierte und in dieser kurzen Frist die Greuel des Bürgerkriegs auf die Spitze trieb. Er wurde dafür nie zur Rechenschaft gezogen und sah sich noch nicht einmal zum Rückzug aus dem öffentlichen Leben gezwungen. Die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú reichte Klage wegen der Menschenrechtsverletzungen während seiner Regierungszeit gegen ihn ein, auf deren Grundlage ein spanischer Richter einen Haftbefehl gegen Ríos Montt ausstellte. Dieser verschaffte sich jedoch wie schon in der Vergangenheit mit einem Sitz im Parlament Immunität und kandidierte sogar bei der Präsidentschaftswahl.

Andere verbringen ihren Lebensabend zwar nicht in der Heimat, aber immerhin geruhsam in einem Komfort, den sie aus den Geldern finanzieren, mit denen sie sich rechtzeitig die Taschen gefüllt haben. General Romeo Lucas García war Staatschef zu Zeiten des Bürgerkriegs und damit unter anderem mitverantwortlich für eine Belagerung der spanischen Botschaft, bei der 37 Menschen bei lebendigem Leib verbrannten. Spanien unternahm 2005 einen vergeblichen Versuch, den Expräsidenten wegen Menschenrechtsverletzungen ausliefern zu lassen. Dieser starb 2006 im Alter von 81 Jahren im Exil.

Wie zahllose andere Präsidenten hatte auch Alfonso Portillo bei seinem Amtsantritt im Jahr 2000 hoch und heilig versprochen, er werde den Stall der Korruption auf höchster Ebene gründlich ausmisten. Statt dessen nutzte er seine Stellung nicht zuletzt dazu, sich und seinesgleichen skrupellos zu bereichern. Diverse Mitglieder seiner Regierung stehen in Verdacht, Gelder auf geheime Konten in Europa gescheffelt zu haben. Nach Aufhebung seiner Immunität in Guatemala setzte sich der unter Korruptionsverdacht stehende Portillo nach Mexiko ab. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, während seiner Amtszeit von 2000 bis 2004 öffentliche Gelder in Höhe von 15,7 Millionen Dollar unterschlagen zu haben. Anfang Oktober 2008 wurde er in seine Heimat abgeschoben.

In seiner Regierungszeit wurden alte Machtkomplexe wieder aktiv. Einschüchterung und Ermordung von Gewerkschaftern, Journalisten und Menschenrechtlern nahmen erheblich zu, da die berüchtigten Parallelkräfte das Land wieder fest in ihren brutalen Griff nahmen. Auch vergab Portillo Bergbaulizenzen an ausländische Unternehmen, die vor allem Edelmetalle im landschaftszerstörenden Tagebau fördern. Für nur ein Prozent Gewinnabgabe an Guatemala ließ die Regierung einer Entwicklung freien Lauf, die sich verheerend für die betroffene indígene Bevölkerung auswirkte. So trug Portillos Regierungszeit maßgeblich dazu bei, daß die Lage der Menschenrechte in dem mittelamerikanischen Land als katastrophal gilt.

Auch unter Portillos konservativem Nachfolger Oscar Berger trat keine substantielle Verbesserung dieser Verhältnisse ein. Was sich änderte, war lediglich das Erscheinungsbild Guatemalas, das der neue Staatschef geschickt aufpolierte. Prominente Persönlichkeiten wie die indígene Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú oder der renommierte Menschenrechtler Frank La Rue erhielten Posten in der Regierung, auf denen sie nichts bewirken konnten, aber Bergers Image enorm nutzten. Dies führte dazu, daß Guatemala trotz seiner verheerenden inneren Verhältnisse problemlos in den UN-Menschenrechtsrat gewählt wurde. Die Regierung unterzeichnete und ratifizierte die wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen, was für amnesty international und Human Rights Watch ein Hauptkriterium bei der Wahl war. Als die UN-Menschenrechtsbeauftragte Louise Arbour im Mai 2006 Guatemala besuchte, zog sie die verheerende Bilanz, es habe keine signifikanten Fortschritte im Kampf gegen die Straflosigkeit oder beim Ausschalten geheim operierender Gruppen gegeben.

Ob der inzwischen 85 Jahre alte Efraín Ríos Montt am Ende doch noch zur Rechenschaft gezogen wird, hängt vom Verlauf eines Verfahrens ab, das derzeit ein Richter in Guatemala gegen ihn zu eröffnen versucht. Unter seiner Diktatur ging die Armee mit einer Kampagne der verbrannten Erde gegen die indígene Bevölkerung im Hochland vor und verübte die grausamsten Massaker des gesamten Bürgerkriegs. Um den kleinen Guerillagruppen die Unterstützung zu entziehen, überfielen die Soldaten zahlreiche Dörfer und schlachteten Männer, Frauen und Kinder ab. Eine von der UNO unterstützte Wahrheitskommission, die nach Unterzeichnung des Friedensabkommens 1996 eingesetzt wurde, ging von rund 200.000 Toten oder Verschwundenen während des Bürgerkriegs aus. Regierungstruppen haben demnach mindestens 626 Massaker verübt, die in bestimmten Regionen die Ausmaße eines Völkermords annahmen. Der fundierte Bericht "Guatemala Never Again" von 1998 kommt zu dem Schluß, daß über 90 Prozent der verübten Gewalttaten der Armee oder Paramilitärs anzulasten sind. Die berüchtigten Schlächter der sogenannten Kaibil-Einheiten verübten zahlreiche Greueltaten, die sie gezielt zur Unterwerfung und nicht selten Ausrottung ganzer Dörfer einsetzten. [1]

Seit über einem Jahrzehnt haben Überlebende vergeblich versucht, die Hauptverantwortlichen vor Gericht zu bringen. Ríos Montt ließ sich 2000 in den Kongreß wählen und verschaffte sich dadurch Immunität, die nun mit dem Ende seiner Zeit als Parlamentsmitglied erloschen ist. In früheren Interviews hatte Ríos Montt stets erklärt, er habe niemals Massaker angeordnet. Wie sein Anwalt dieser Tage mitteilte, habe sein Mandant nie ein Schlachtfeld betreten, weshalb man ihm keine Verantwortung anlasten könne. Indessen geht aus Militärakten hervor, daß die Armee damals unter einer streng eingehalten Befehlskette operiert und ihre Anweisungen von höchster Stelle erhalten hat. Im vergangenen Jahr wurden zwei Generäle im Ruhestand, die seinerzeit Ríos Montts Oberkommando angehört hatten, unter dem Vorwurf verübter Kriegsverbrechen und des Völkermords inhaftiert. In November befand zudem ein Gericht, daß General Oscar Humberto Mejía, der zunächst Ríos Montts Verteidigungsminister war und ihn dann in einem Putsch entmachtet hatte, nicht prozeßfähig sei. [2]

Das Verfahren gegen Ríos Montt könnte auch dem neuen Präsidenten Otto Pérez Molina Unannehmlichkeiten bereiten, der sein Amt am 14. Januar angetreten hat. Ein Absolvent der berüchtigten "School of the Americas", machte Molina in der Armee als Spezialist für Aufklärung Karriere, womit er im Bürgerkrieg eine der einflußreichsten Funktionen ausübte. Er stand in enger Verbindung mit den Spezialkräften der Kaibils und behauptet noch heute, die dokumentierten Massaker hätten nie stattgefunden. Damals bekleidete er einen mittleren Kommandeursrang in eben jener Region, in der die Greuel die Dimension eines Genozids annahmen. Dessen ungeachtet hält er die Version aufrecht, er sei beim Wiederaufbau eines von Terroristen heimgesuchten Landstrichs tätig gewesen.

Wie eng der spätere General und heutige Staatschef mit den damaligen Kaibils verbunden ist, zeigt der Umstand, daß er drei von ihnen mit höchsten militärischen Führungsaufgaben betraut hat: Oberst Ulises Anzueto ist sein Verteidigungsminister, Oberst René Casados Ramírez Generalstabschef und Oberst Manuel López Ambrosio dessen Stellvertreter. Zudem berief er zwei weitere Offiziere ins Kabinett, darunter den früheren Oberst Mauricio Lopez Bonilla, der nun als Innenminister die Koordination des "Antidrogenkriegs" mit Mexiko übernehmen soll.

Seine Kandidatur um das Präsidentenamt wurde rechtlich für legitim erklärt, obgleich gegen ihn wegen mutmaßlich verübter Kriegsverbrechen ermittelt wurde. Menschenrechtsorganisationen werfen ihm vor, 1982 und 1983 an Massakern gegen Maya-Indianer in Nebaj beteiligt gewesen zu sein, wobei ihn zahlreiche Überlebende als ihren Folterer identifiziert haben. Darüber hinaus wurde ein Verfahren wegen Entführung, Folter und Mord, verübt an dem mutmaßlichen Guerillaführer Efrain Bamaca im Jahr 1992, gegen ihn eingeleitet. Während jedoch am Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof mehrfach Urteile gegen Pérez Molina ergingen, versandeten die in Guatemala gegen ihn angestrengten Verfahren bislang.

Guatemala wird damit von einem Präsidenten regiert, der im Verdacht steht, an zahlreichen Greueltaten gegen die Zivilbevölkerung direkt oder mittelbar beteiligt gewesen zu sein und der ausgiebig dokumentierte Massaker der Armee rundweg abstreitet. Die Wiederkehr des Militarismus in die politische Führung des Landes verdankt sich nicht zuletzt der Agenda Washingtons, die gesamte Region mit ihrem "Antidrogenkrieg" zu überziehen. US-Präsident Barack Obama, Außenministerin Hillary Clinton und Mexikos Staatschefs Felipe Calderón haben Pérez Molina ihre Unterstützung zugesichert, wobei ihm die US-Botschaft im November 2011 schon zum Wahlsieg gratulierte bevor das offizielle Ergebnis bekanntgegeben worden war. Mithin kann er nicht nur auf die Streitkräfte und Eliten seines Landes sondern auch die US-Regierung bauen.

Nach seinem Amtsantritt kündigte er umgehend den Einsatz von Spezialkräften der Luftwaffe im "Antidrogenkrieg" wie auch die personelle Aufstockung der Streitkräfte an. Vor allem möchte er wieder offizielle Militärhilfe der USA bekommen, die im Gefolge des Bürgerkriegs ausgesetzt worden war. Zwar haben die US-Militärs ihre Präsenz in Guatemala in den letzten Jahren massiv ausgebaut, doch geschah dies stets unter dem Deckmantel einer angeblichen Beratertätigkeit. Uneingeschränkte Militärhilfe schlösse die Lieferung modernster Waffen ein, die der Präsident nur zu gern in Stellung bringen möchte: Gegen Drogenkartelle und kriminelle Banden, wie er erklärt, und natürlich auch gegen den Rest der Bevölkerung, sollte sie es wagen, sich gegen sein Regime zu erheben oder gar an den gesellschaftlichen Verhältnissen zu rühren. Das Symbol seiner Partei ist die eiserne Faust, von der reichlich Gebrauch zu machen Otto Pérez Molina bereits in seiner Antrittsrede angekündigt hat.

Fußnoten:

[1] http://www.wsws.org/articles/2012/jan2012/guat-j17.shtml

[2] http://www.nytimes.com/2012/01/23/world/americas/efrain-rios-montt-guatemala-ex-dictator-to-appear-in-court.html

24. Januar 2012