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MEDIEN/469: Hungerstreikender Reporter in Ägypten dem Tode nahe (SB)


Hungerstreikender Reporter in Ägypten dem Tode nahe

Pressefreiheit ist im Ägypten der Militärs zum Fremdwort geworden



Nach der Machtübernahme der Militärs im Juli vergangenen Jahres ist Ägypten wieder zur brutalen Diktatur geworden. Der erste frei gewählte Präsident des Landes, Mohammed Mursi, sitzt seitdem unter Anklage wegen Staatsverrat im Gefängnis. Seine Moslembruderschaft hat man als "terroristische Organisation" verboten. Wegen der Teilnahme an Demonstrationen gegen den gewaltsamen Putsch, dem mindestens 1000 Mursi-Anhänger zum Opfer fielen, haben in den vergangenen Wochen Ägyptens Richter in Eilverfahren, das heißt quasi ohne Beweisaufnahme, Hunderte Moslembrüder zum Tode verurteilt. Mehrere Anführer der säkularen Demokratiebewegung, die durch wochenlange Proteste zusammen mit der Moslembruderschaft Anfang 2011 den damaligen Präsidenten Hosni Mubarak zum Rücktritt zwang, sind ebenfalls zu mehrjährigen Freiheitsstrafen wegen Unruhestiftung verurteilt worden. Die Repressalien gegen vier Mitarbeiter des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera lassen nichts Gutes für das Ägypten der Post-Mursi-Ära, in der sich der ehemalige Generstabschef Abdel Fattah Al Sisi am 26. und 27. Mai zum neuen Präsidenten wählen lassen wird, erwarten. An ihnen wird ein Exempel statuiert, demzufolge die neuen alten Machthaber am Nil keinen Widerspruch dulden und mit harter Hand zu regieren gedenken.

Am 14. August vergangenen Jahres wurde der Ägypter Abdullah Elshamy, ein Korrespondent des arabischsprachigen Programms des katarischen Nachrichtensenders, am Rande einer Sitzblockade von Mursi-Anhängern in Kairo verhaftet. Seitdem befindet er sich ohne Anklageerhebung im Gefängnis. Am 21. Januar ist der Journalist als Protest gegen seine willkürliche, nach dem Gesetz unrechtmäßige Inhaftierung in den Hungerstreik getreten. Am 3. Mai hat ein Gericht seinen Verbleib hinter Gittern um weitere 45 Tage verlängert. Am 15. Mai wurden Videoaufnahmen, die einen sichtlich geschwächten und erkrankten Elshamy in seiner Zelle zeigen und die kurz zuvor aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt worden waren, von Al Jazeera und zahlreichen anderen Fernsehanstalten ausgestrahlt.

Vor der Kamera erklärt Elshamy, das "ägyptische Regime" trage die alleinige Verantwortung, sollte seine Gesundheit "völlig versagen". Er behauptet, seine mehrmaligen Bitten um medizinische Behandlung seien von der Gefängnisleitung einfach ignoriert worden. Nach mehr als 100 Tagen im Hungerstreik hat Elshamy enorm an Gewicht verloren. Gegenüber der Nachrichtenagentur Agence France Presse erklärte sein Bruder Mosaab, die Gesundheit des Reporters sei inzwischen in einem "kritischen Zustand". Die Leitung von Al Jazeera hat anläßlich der Ausstrahlung der erschütternden Videobotschaft an die Behörden in Kairo um die Freilassung Elshamys aus humanitären Gründen appelliert. Eine positive Antwort ist jedoch nicht zu erwarten, denn für die ägyptische Generalität genauso wie für die Königsfamilie Saudi-Arabiens gilt Katar als Hauptförderer der Moslembruderschaft und Al Jazeera als Feindsender.

Diese Haltung drückt sich auch im Umgang der ägyptischen Behörden mit drei Mitarbeitern des englischsprachigen Programms von Al Jazeera aus. Im vergangenen Dezember wurden Mohamed Fahmy, der die kanadische und ägyptische Staatsbürgerschaft besitzt und das Büro von Al Jazeera English in Kairo leitete, der ehemalige BBC-Journalist Peter Greste aus Australien und der ägyptische Produzent Baher Mohamed verhaftet. Im Unterschied zu Elshamy wurde gegen sie immerhin Anklage erhoben. Die Staatsanwaltschaft in Kairo wirft ihnen vor, gefälschte Nachrichtenberichte erstellt und ausgestrahlt zu haben, die ein verzerrtes Bild der Verhältnisse in Ägypten zeigten und somit zur Destabilisierung des Landes beitragen sollten. Alle drei Männer weisen den Vorwurf energisch von sich.

Am 10. April haben die ägyptischen Justizbehörden erstmals die "wichtigsten" Beweismittel gegen Fahmy, Greste und Mohamed vorgelegt und dabei sich selbst der Lächerlichkeit preisgegeben. Unter den abgespielten Aufzeichnungen befand sich keine einzige, die mit Ägypten, geschweige denn mit irgendwelchen Protesten dort zu tun hatte. Statt dessen bekamen die Anwesenden im Gerichtssaal, darunter zahlreiche Vertreter der internationalen Presse, frühere Berichte der Angeklagten über Banditen in Somalia und den Anschlag auf das Einkaufszentrum Westgate in der kenianischen Hauptstadt Nairobi im vergangenen Sommer sowie - höchst peinlich - private Urlaubsbilder von Greste mit seiner Familie zu sehen.

Insgesamt will die ägyptische Polizei bei der Verhaftung der drei Angeklagten und der Beschlagnahmung von deren elektronischer Ausrüstung fünf DVDs voller Belastungsmaterial sichergestellt haben. Bis heute hat die Verteidigung keinen Einblick in dieses Material erhalten. Dagegen haben die Anwälte von Fahmy, Greste und Mohamed am 15. Mai vor Gericht Beschwerde eingelegt. Daraufhin behauptete der zuständige Richter, Mohammed Nagi Shehata, die Verteidigung selbst sei für diesen Umstand verantwortlich, denn sie weigere sich, den vom Gericht verlangten Preis von 117.000 Dollar für eine Kopie des Beweismaterials zu bezahlen. "Sie sind diejenigen, die ihrer Pflicht nicht nachkommen", erklärte Shehata hinter seiner dunklen Sonnenbrille. Im heutigen Ägypten befinden sich Justiz und Pressefreiheit unbestreitbar in einem desolaten Zustand.

17. Mai 2014