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MEDIEN/482: Wikileaks - Aussageerpressung und finaler Zwang für Manning ... (SB)


Wikileaks - Aussageerpressung und finaler Zwang für Manning ...


Parallel zum juristischen Martyrium Julian Assanges in England wird dessen wichtigste Quelle, Chelsea Manning, von den Justiz- und Strafvollzugsbehörden in den USA regelrecht zermalmt. Einen Monat vor der Aufhebung von Assanges Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London und gleichzeitiger Verhaftung vor den Kameras der Weltpresse am 11. April war Manning in Alexandria, Virginia, in Beugehaft genommen worden. Einziger Zweck der Übung: Die ehemalige Angehörige des US-Militärgeheimdiensts, die 2010 vom Irak aus Wikileaks Hunderttausende Dokumente zum Beleg der Verbrechen der amerikanischen Streitkräfte im Zweistromland sowie in Afghanistan zukommen ließ, zu der Aussage zu zwingen, sie sei von Assange zu der größten Enthüllungsaktion in der Geschichte des Journalismus angestiftet worden, damit der Australier in den USA wegen Spionage angeklagt und verurteilt werden kann. Manning weigert sich standhaft, sich an der Hexenjagd des amerikanischen Sicherheitsapparats gegen Assange zu beteiligen und ist bereit, für ihre Prinzipien zu sterben.

Nach 62 Tagen im Gefängnis, mehr als die Hälfte davon in Isolationshaft, mußte Manning am 9. Mai freigelassen werden, da die Frist für die Grand Jury, welche über die Gründe für eine Anklageerhebung gegen Assange befinden sollte, abgelaufen war. Bereits bei der Freilassung erhielt Manning die Vorladung zur Befragung vor der neuen Grand Jury am 16. Mai. Beim Erscheinen vor diesem Gremium lehnte sie erneut jede Aussage ab und wurde daraufhin sofort verhaftet. Auf Anordnung des zuständigen Bundesbezirksrichters Anthony Trenga bleibt Manning solange hinter Gittern, bis sie sich entweder zur Zusammenarbeit entschließt oder die Frist für die Grand Jury von achtzehn Monaten abläuft. Völlig ungewöhnlich, weil dies eigentlich für Konzerne und nicht für Privatpersonen vorgesehen ist, hat der Richter eine hohe Geldstrafe verhängt. Für jeden der ersten 30 Tage, an denen Manning stumm bleibt, bekommt sie eine Geldstrafe von 500 Dollar aufgebrummt. Sollte sie sich nach dem ersten Monat weiterhin nicht redselig zeigen, erhöht sich die Geldstrafe pro Tag um 1000 Dollar. Das ergäbe eine Gesamtschuld gegenüber dem Staat von 165.000 Dollar.

2010 war Manning im Irak nach Verrat durch einen Bekannten aus der Hackerszene festgenommen und 2013 nach drei Jahren Untersuchungshaft wegen Geheimnispreisgabe in einem nie dagewesenen Ausmaß zu einer Freiheitsstrafe von 35 Jahren verurteilt worden. Wegen der schweren Haftbedingungen, die der psychologischen Folter gleichkommen, versuchte sie 2016 zweimal aus existentieller Verzweiflung, sich das Leben zu nehmen. Anfang 2017 erließ Barack Obama quasi in einer letzten Amtshandlung als US-Präsident vor der Übergabe an Donald Trump Manning die restliche Haftzeit, ohne sie jedoch zu begnadigen.

Das Erbarmen Obamas Manning gegenüber löste damals bei konservativen Medienkommentatoren und Politikern einen Sturm der Entrüstung aus. Per Twitter bezeichnete Trump Manning als eine "undankbare Verräterin", die niemals wieder die Freiheit hätte genießen sollen. Genauso sieht es auch Richter Trenga. Dieser meinte bei seiner Urteilsverkündung, Manning müßte wegen des Straferlasses Obamas gegenüber dem amerikanischen Staat unglaublich dankbar sein; die Tatsache, daß sie weiterhin eine Zusammenarbeit mit der Grand Jury im Falle Assange ablehne, sei ein Zeichen der Undankbarkeit und der Unbelehrbarkeit.

Manning begründet ihre Verweigerungshaltung mit dem Argument, sie sei bei ihrem eigenen Prozeß im Jahr 2013 ausführlich zur Kommunikation mit Wikileaks und Assange befragt worden und habe damals alles zu dem Thema gesagt, was es zu sagen gibt. In dem Zusammenhang hatte Manning die alleinige Verantwortung für die Kontaktaufnahme zu Wikileaks und die Entscheidung, übers Internet der Enthüllungsplattform ganze Berge an Material zu schicken, auf sich genommen. Aus der Art der Fragen, die Manning bei der ersten gescheiterten Vernehmung vor der Grand Jury gestellt wurden, geht eindeutig hervor, daß die Staatsanwaltschaft die ehemalige Gefreite zu einer anderen Aussage bewegen, sie eventuell in Widersprüche verwickeln will, damit dabei Belastendes über Assange herauskommt.

Und da macht Manning nicht mit. Noch während der Woche auf freiem Fuß erklärte sie bei einem Auftritt beim Fernsehnachrichtensender CNN, sie lehne die Institution der Grand Jury, die hinter verschlossenen Türen tagt und bei der die Befragte ohne rechtlichen Beistand vernommen wird, grundsätzlich ab. Bei der zweistündigen Anhörung vor der neuen Grand Jury am 16. Mai verweigerte Manning jede Aussage zur Causa Assange mit der kategorischen Feststellung: "Ich würde lieber verhungern als meine Meinung in dieser Hinsicht ändern. Und wenn ich das sage, denn meine ich es auch wörtlich". Bereits nach der Freilassung nach Auslaufen der ersten Grand Jury vor einer Woche hatte Manning eine beeindruckende Erklärung der Freiheit und Unbeugsamkeit abgegeben: "Die Idee, daß ich den Schlüssel zu meiner Zelle in der eigenen Hand halte, ist absurd, denn wegen dieser unnötigen und drakonischen Vorladung steht mir das Leiden so oder so bevor: Entweder gehe ich ins Gefängnis oder ich verrate meine Prinzipien. Letzteres stellt ein weit schlimmeres Gefängnis dar, als es die Regierung jemals bauen könnte."

18. Mai 2019


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