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MILITÄR/805: Nuklearer Terrorismus - das neue Schreckgespenst (SB)


Nuklearer Terrorismus - das neue Schreckgespenst

Ammenmärchen sollen neue Sicherheitsarchitektur begründen


Am 12. und 13. April fand in Washington nach Angaben des State Department das größte, auf Einladung eines US-Präsidenten erfolgte Treffen von Staats- und Regierungschefs statt, seit 1945 Franklin D. Roosevelt die Konferenz zur Gründung der Vereinten Nationen in San Francisco abhalten ließ. Gekommen waren die Premierminister und Staatsoberhäupter von 46 Ländern, um mit US-Präsident Barack Obama über neue Wege in der nuklearen Sicherheit zu reden. Beschlossen wurden Maßnahmen zur Sicherung der weltweiten Bestände an Plutonium und hochangereichertem Uran, damit kein spaltbares Material in die Hände von "Terroristen" fällt. Unter dem Vorwand der Terrorgefahr wollen die USA ein internationales Kontrollregime installieren, um künftig mißliebigen Staaten die friedliche Nutzung der Kernenergie - und damit die theoretische Möglichkeit der Herstellung von atombombenfähigem Material - zu erschweren. Das sieht man an dem doppelten Standard, demzufolge Obama die Regierungschefs der US-Verbündeten Israel, Indien und Pakistan, die sich allesamt über Jahrzehnte hinweg, an der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) vorbei beträchtliche Nuklearwaffenarsenale zugelegt haben, einlud, die des Irans, Syriens und Nordkoreas dagegen nicht, weil sich diese in letzter Zeit angeblich Verstöße gegen den Atomwaffensperrvertrag geleistet haben.

Bei dem Washingtoner Gipfel wurde an rhetorischen Superlativen nicht gespart. Am Vortag des Treffens erklärte der Gastgeber Obama der internationalen Presse, das "Hauptaugenmerk des Gipfels" läge auf "der Tatsache, daß die größte Einzelbedrohung der Sicherheit der USA - sowohl kurz-, mittel- als auch langfristig - in der Möglichkeit besteht, daß eine terroristische Organisation in den Besitz einer Atombombe gelangt". In mehrfacher Hinsicht ist das eine unsinnige Behauptung. Sie wird nicht zuletzt durch die Tatsache, daß die USA auch nach der Unterzeichnung des Neuen START-Vertrages mit Rußland am 8. April in Prag bis auf weiteres an einem Restbestand von 1550 Atomsprengköpfen und 800 dazugehörigen Trägersystemen festhalten, widerlegt. Jenes Arsenal spielt in der Terrorbekämpfung keinerlei Rolle, dient jedoch sehr wohl als politisches Drohmittel wie auch im Ernstfall eines zwischenstaatlichen Kriegs als Waffe letzter Wahl.

Die Chance, daß irgendwelche "Terroristen" eine funktionsfähige Atombombe in die Hände bekommen, ist ein Lieblingsszenario moderner Actionfilme sowie Fernsehserien à la "Alias - Die Agentin" und "24" mit Kiefer Sutherland als Special Agent Jack Bauer, hat aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Die Herstellung der Atombombe ist ein so umfangreiches Unterfangen - man bedenke nur den Aufwand des amerikanischen Manhattan-Projekts -, daß sie logistisch und ressourcentechnisch nur von einem Nationalstaat zuwegegebracht werden kann. Unter Experten, die von der Materie etwas verstehen, gilt es für ausgeschlossen, daß irgendeine Regierung auf die Idee kommen könnte, ein so teures Gut wie eine Atombombe nicht-staatlichen und damit letztlich unkontrollierbaren Akteuren zu übergeben.

Keine "terroristische" Organisation auf der Welt ist stark genug, um mit Waffengewalt den Sicherheitsapparat eines Nuklearstaats überwinden und sich einen Atomsprengkopf beschaffen zu können. Wenn in diesem Zusammenhang stets auf Pakistan verwiesen wird, so besteht dort die Gefahr darin, daß taliban- und al-kaida-nahe Kräfte mit Hilfe islamistischer Gesinnungsgenossen beim Geheimdienst und Militär den ganzen Staat übernehmen. Doch selbst in einem solchen Fall, der seit Jahren als Weltuntergangsszenario durch die westlichen Medien geistert, kämen die neuen Machthaber in Islamabad nicht um die Abschreckungslogik herum und wären eher zur Mäßigung in der Kernwaffenfrage gezwungen, als daß sie plötzlich irgendwelche Dschihadisten mit Atomkoffern in die Welt hinaus schickten. Will heißen, in einer zur radioaktiven Kraterlandschaft zerbombten Welt läßt sich auch kein globales "Kalifat" errichten.

Deshalb kommen uns die vermeintlichen Sicherheitsexperten seit Jahren ständig mit der Geschichte von der "schmutzigen Bombe" und bauschen diese zur großen Terrorbedrohung auf. Theoretisch wäre es für die Anhänger Bin Ladens möglich, irgendwo auf der Welt an schwachangereichertes Spaltmaterial heranzukommen, dieses mit Sprengstoff zu umgeben und in irgendeiner Großstadt in die Luft zu jagen. Na und? Dieselben NATO-Regierungen, deren Repräsentanten sich angeblich Sorgen um die gestiegene Krebsgefahr am Ort der Explosion einer solchen Bombe machen, haben in den letzten 20 Jahren die eigenen Militärs weite Teile des Iraks, des Territoriums des ehemaligen Jugoslawiens und Afghanistans mit Uranmunition verseuchen lassen und wollen von dem dort zu verzeichnenden Anstieg an Fehl- und Mißgeburten sowie Krebs- und Leukämiefällen nichts wissen.

Ihre Sorglosigkeit gilt nicht nur für die Bewohner fremder Ländern. Die Regierung George W. Bush, die am 11. September 2001 zum generationendauernden "Antiterrorkrieg" blies, ließ trotz ihres Wissens bezüglich der Toxizität der monatelang von Asbest und anderen Chemikalien verpesten Luft am Ground Zero Tausende einfacher New Yorker Arbeiter die Trümmer des World Trade Center beseitigen. Viele jener Helden Amerikas von einst sind inzwischen infolge des damals eingeatmeten Luft-Giftstaub-Gemisches entweder tot oder, obwohl noch jung, schwer erkrankt. Folglich hängt die Frage der möglichen Opfer eines Anschlags mit einer schmutzigen Bombe - von denjenigen unglücklichen Personen einmal abgesehen, die von der rein physischen Wucht der Explosion des konventiollen Sprengstoffs in Mitleidenschaft gezogen würden - davon ab, wieviel Zeit und Geld in ordentliche Evakuierungs- und Reinigungsmaßnahmen zu investieren, die Behörden der betroffenen Stadt bzw. Nation bereit wären.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, sich vor Augen zu führen, welche Beweise überhaupt die Obama-Regierung für die Existenz jener von ihr postulierten "größten Einzelbedrohung der nationalen Sicherheit der USA" auf dem Sondergipfel in Washington präsentierte. In einem Artikel, der am 13. April in der regierungsnahen New York Times unter der Überschrift "China Pledges to Work With U.S. on Iran Sanctions" erschienen ist, berichteten David Sanger und Mark Landler von den Bemühungen Obamas vom Vortag, den chinesischen Präsidenten Hu Jintao von der Gefahr, daß Terroristen aus dem "Tonnen von Nuklearmaterial", das überall auf der Welt lagere, "eine Waffe herstellen könnten", und schrieben anschließend:

Früher am Tag hatte John O. Brennan, Herr Obamas führender Berater in Sachen Terrorismusabwehr, eine Idee von Herrn Obamas Argument vermittelt, als er Reportern erklärte, die Vereinigten Staaten hätten Beweise für das anhaltende Interesse Al Kaidas, sich Plutonium oder hochangereichertes Uran zu besorgen, den einzigen Stoffen, aus denen eine Nuklearwaffe gemacht werden könne, und daß es benutzt werden würde, "um unsere Sicherheit und Weltordnung auf eine beispiellose Weise zu bedrohen".

Doch er verwies auf keine Vorfälle außer den inzwischen berühmten Lagergefeuergesprächen, die Osama Bin Laden im August 2001 mit zwei Pakistanern führte, die enge Verbindungen zu Pakistans Atomwaffenlaboren unterhielten. Während Al Kaida wiederholt Käufe zu tätigen versucht hat, sind sie "glücklicherweise einige Male reingelegt worden, glaube ich. Doch wir wissen, daß sie weiterhin darum bemüht sind. Wir wissen von Individuen innerhalb der Organisation, die mit dieser Aufgabe betraut worden sind", erklärte Herr Brennan.

In einem umfangreichen und aufschlußreichen Aufsatz, der in der Ausgabe der US-Politzeitschrift American Conservative vom 1. Januar 2010 erschienen ist, hat sich John Mueller, Professor der Politikwissenschaft an der Ohio State University und Autor des Buchs "Atomic Obsession: Nuclear Alarmism from Hiroshima to Al Qaeda", ausgiebig mit allen öffentlich bekannten Informationen befaßt, die eventuell auf ein ernsthaftes Streben der Bin-Laden-Truppe nach Atomwaffen hindeuten könnten, darunter das besagte Lagefeuergespräch von 2001, die strategischen Überlegungen Khalid Sheikh Mohammeds, diverse Verlautbarungen der US-Geheimdienste sowie der angebliche Reinfall, der 1993 in Sudan passiert worden sein soll, als irgendwelche Islamisten beim versuchten Kauf von Spaltmaterial betrogen worden sein sollen (Die Informationen über letztere Episode stammen allesamt von dem als höchst unzuverlässig geltenden, wenig glaubwürdigen Al-Kaida-Überläufer Jamal Al Fadl). Muellers vernichtendes Fazit geht aus der Überschrift seines Aufsatzes hervor: "Nuklearer Nonsens - Nicht in Panik verfallen; Bin Ladens Massenvernichtungswaffen existieren nur als Mythos".

14. April 2010