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MILITÄR/882: Marshallinseln verklagen alle Atommächte (SB)


Marshallinseln verklagen alle Atommächte

Inselrepublik zieht gegen die Nuklearwaffenbesitzer vor Gericht



Viele Menschen auf der Welt, besonders die, die in der Friedensbewegung aktiv sind, empfinden es als ungerecht, daß es sich die fünf ständigen Vetomächte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA - seit Jahren herausnehmen, Länder wie Nordkorea, den Iran, Syrien, Muammar Gaddhafis Libyen oder Saddam Husseins Irak wegen des tatsächlichen oder vielleicht nur vermuteten Besitzes von Atomwaffen mit Krieg zu bedrohen, mit Sanktionen zu belegen oder anzugreifen, während sie selbst eisern an ihren eigenen Nuklearwaffenarsenalen festhalten. Schließlich haben sie sich nach dem Nicht-Verbreitungsvertrag von 1968, auf den sie sich stets in Disputen um Massenvernichtungswaffen mit irgendwelchen "Schurkenstaaten" berufen, verpflichtet, sich von ihren eigenen Kernwaffen zu trennen. Nur aufgrund jener Zusicherung haben sich alle restlichen Vertragspartnerstaaten verpflichtet, keine eigene Atombomben zu bauen.

Demnächst wird dieser klaffende Widerspruch auf dem Feld der internationalen Abrüstungsbemühungen vor Gericht behandelt. Am 24. April haben die Marshallinseln beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag Klage gegen die fünf UN-Vetomächte sowie Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel eingereicht. Die kleine südpazifische Inselrepublik wirft allen neun Staaten vor, ihre Atomwaffenarsenale statt abzuschaffen, weiterhin zu modernisieren - und zwar in den kommenden zehn Jahren mit einem geplanten finanziellen Aufwand von einer Billion Dollar. Am selben Tag hat die Republik Marshallinseln bei einem Bundesgericht im kalifornischen San Francisco eine Klage in der gleichen Angelegenheit gegen die US-Regierung eingereicht und namentlich Präsident Barack Obama, Verteidigungsminister Chuck Hagel und Energieminister Ernest Moniz angezeigt. In den USA unterliegen die Atomlabore Lawrence Livermore und Sandia dem Energieministerium.

Die Marshallinseln sind wie kaum ein anderer Staat vom nuklearen Wettrüsten in Mitleidenschaft gezogen worden. Zwischen 1946 und 1958 haben die US-Streitkräfte dort 67 oberirdische Atomtests durchgeführt. Dadurch sind einige der Marshallinseln wie zum Beispiel das berühmte Bikini-Atoll unbewohnbar geworden. Strahlenkrankheiten sind unter den rund 68.000 Bewohnern der Insel bis heute keine Seltenheit. Außenminister Tony de Brum wurde am 25. April von der Nachrichtenagentur Inter Press Service mit den Worten zur Begründung der Klage zitiert: "Unser Volk hat katastrophale und irreparabale Schäden durch diese Waffen erlitten, und wir haben dafür zu kämpfen geschworen, daß niemand auf dieser Erde jemals wieder solche Greueltaten wird erleben müssen."

Im Falle eines Atomkrieges lägen die Marshallinseln ganz oben auf der Zielliste. Das US-Militär hat elf der 97 Inseln gepachtet und dort wichtige Komponenten seines Raketenabwehrsystems wie Radaranlagen und Satellitkommunikationstationen installiert. Zusammen bilden sie das Ronald Reagan Ballistic Missile Defense Test Site (RTS). Bei Systemtests wird meistens von Kwajalein, der größten der Marshallinseln, eine "feindliche" Rakete gestartet, deren Sprengkopfattrappe dann in der oberen Atmosphäre weit über dem Pazifik von einem "kill vehicle" der Abfangrakete, die von einem unterirdischen Silo in Fort Greely in Alaska oder auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Vandenberg in Kalifornien kommt, zerstört werden soll. Die meisten Tests sind jedoch fehlgeschlagen. Die wenigen Erfolge, die das milliardenverschlingende System bisher hatte, sind unter optimierten Bedingungen zustandegekommen, die im Kriegsfall nicht zu erwarten wären.

1996 hat der Internationale Gerichtshof erklärt, daß sich alle Unterzeichnerstaaten des Nicht-Verbreitungsvertrags verpflichtet hatten, auf die schnellstmögliche Abschaffung aller Atomwaffen hinzuarbeiten. Die Marshallinseln berufen sich nun auf dieses Urteil und wollen die neun genannten Staaten dazu zwingen, vor Gericht zu erklären, warum sie ihrer Verpflichtung nicht nachkommen. Das Unterfangen dürfte sich nicht als einfach erweisen. Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea zum Beispiel sind dem Atomwaffensperrvertrag niemals beigetreten. Dennoch vertreten die Marshallinseln den Standpunkt, daß er aufgrund des Völkergewohnheitsrechts auch für sie gilt. Die USA haben sich zum Beispiel dem Völkergewohnheitsrecht niemals unterworfen. Washington könnte sich daher weigern, sich an den Verhandlungen des Internationalen Gerichtshofs zu beteiligen. Auffällig ist, daß nach Informationen der Nachrichtenagentur Associated Press Jen Psaki, die Sprecherin des State Department, keine Stellungnahme zur Klage der Marshallinseln abgeben wollte.

Die Initiative der Marshallinseln geht auf Diskussionen zurück, die Außenminister de Brum in den letzten Jahren mit Abrüstungsaktivisten, unter anderem mit David Krieger von der kalifornischen Nuclear Age Peace Foundation und John Burroughs von der International Association of Lawyers Against Nuclear Weapons (IALANA), die Büros in Berlin, Colombo, New York und Wellington unterhält, geführt hat. Pro bono haben die IALANA-Anwälte die Klage vorbereitet und werden sie auch vor Gericht begleiten. Die Marshallinseln hoffen, daß sich weitere Unterzeichnerstaaten des Nicht-Verbreitungsvertrags der Klage anschließen werden, um den öffentlichen Druck auf die Atommächte zu erhöhen. Mehrere Friedensnobelpreisträger, darunter der südafrikanische Bischof Desmond Tutu und die iranische Menschenrechtsanwältin Shirin Ebadi, haben die Aktion bereits begrüßt.

26. April 2014