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MILITÄR/901: "Burn pits" - Krebsquelle heimkehrender US-Soldaten? (SB)


"Burn pits" - Krebsquelle heimkehrender US-Soldaten?

Umweltsünden des Pentagons in Afghanistan und Irak fordern ihr Tribut


Eine tragische Spätfolge der Operation Wüstensturm zur Vertreibung der irakischen Streitkräfte aus Kuwait im Frühjahr 1991 war das Golfkriegssyndrom, das sich vor allem durch Beeinträchtigungen des Nervensystems manifestierte und an dem mehr als 325.000 heimkehrende US-Soldaten erkrankten und mehr als 11.000 elendig gestorben sind. Epistemologen haben im wesentlichen drei Ursachen für das Golfkriegssyndrom postuliert: eingeatmeter Uranstaub nach dem Einsatz von DU-Munition, Kampfstoffreste in der Atmosphäre nach der Zerstörung der chemischen Waffenarsenale der Truppen Saddam Husseins durch Sprengung und Unverträglichkeitsreaktionen bei amerikanischen und britischen Soldaten auf die ihnen vor dem Kriegseinsatz am Persischen Golf verabreichten Medikamente zum Schutz gegen Giftgas. Erst 2008, 17 Jahre danach, haben die zuständigen Behörden in den USA das Golfkriegssyndrom offiziell anerkannt, was den Zugang der Erkrankten zu medizinischer und finanzieller Hilfe etwas erleichterte.

Derzeit kämpfen in den USA Abertausende Veteranen der laufenden Antiterrorkriege zusammen mit ihren Familien um die Anerkennung, daß sie der Auslandseinsatz in Afghanistan und im Irak die Gesundheit gekostet hat und daß sich dahinter fahrlässiges Handeln des Pentagons bzw. der für das Ministerium arbeitenden Auftragsfirmen verbirgt. Die Betroffenen mit einem Durchschnittsalter von etwas mehr als dreißig Jahren leiden an schweren Atemwegs-, Herz- und Nervenerkrankungen. Im Mittelpunkt des jüngsten Gesundheitsskandals im US-Verteidigungsministerium stehen die sogenannten burn pits - offene Erdmulden, in denen man über Jahre hinweg auf amerikanischen Stützpunkten am Hindukusch und im Zweistromland den anfallenden Müll einfach durch Abfackeln entsorgt hat. Das tägliche Verbrennen gigantischer Mengen Abfall im Freien hat ebenso gigantische Mengen giftigen Rauchs zur Folge gehabt, den alle auf den Basen stationierte Soldaten und Mitarbeiter privater Militärdienstleistungsunternehmen über Wochen und Monate eingeatmet haben. Verbrannt wurden mit Hilfe von Flugbenzin unter anderem medizinischer Abfall, Essensreste, Verpackungsmaterial, darunter viel Plastik, Sperrmüll, Lithiumbatterien, tote Tiere und Altöl.

In einem im Dezember 2006 veröffentlichten Bericht der US-Luftwaffe wurde erstmals auf die katastrophalen Zustände aufmerksam gemacht. Darin wurde die burn pit am Joint Base Balad im Irak, wo täglich im Schnitt 147 Tonnen Müll im Freien verbrannt wurden, als das "am meisten umweltvergiftete Gelände" beschrieben, das die an der Studie beteiligten Wissenschaftler jemals untersucht hätten. Kelley B. Vlahos, eine in Washington ansässige Redakteurin der Zeitschrift American Conservative, hat sich über die Jahre intensiv mit dem unangenehmen Thema befaßt. In einem Artikel, der am 30. Juni 2009 bei antiwar.com unter der Überschrift "'X-File' Vet May Be Link To Burn-Pit Truth" erschien, berichtete Vlahos vom Fall Edward Adams, der 2004 im Alter von 28 Jahren als gesunder, athletischer Soldat in den Irak geschickt wurde und fünfzehn Monaten später als körperliches Wrack nach Hause zurückkehrte. Ärzte am Tripler Army Medical Centre auf Hawaii stellten später fest, daß sich an Adams' Herz und Lunge zahllose Zysten gebildet hatten und daß seine Aorta auf die Hälfte der normalen Größe geschrumpft war. Ausgelöst wurden die schrecklichen körperlichen Veränderungen nach Ansicht der Mediziner durch Adams' Tätigkeit auf der offenen Müllverbrennung auf dem Gelände von Camp Speicher im Irak.

In einem 2013 veröffentlichten Bericht des United States Government Accountability Office (GAO), vergleichbar mit dem Bundesrechnungshof in Deutschland, wurde das Problem erstmals auf hoher Ebene behandelt. Die Autoren der Studie stellten darin fest: "Infolge der Aussetzung toxischen Rauches aus offenen burn pits könnten vom Irak und von Afghanistan heimkehrende US-Militärangehörige unter chronischen, langfristigen Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit leiden. Auftragsunternehmen des Pentagons haben auf den meisten US-Militärbasen im Mittleren Osten burn pits eingerichtet, um den militärischen Abfall zu entsorgen." Trotz der eindeutigen Feststellung des GAO weigert sich das Pentagon bis heute, den Zusammenhang zwischen den burn pits und den vielen Krankheitsfällen offiziell anzuerkennen, denn dies würde Folgekosten in Milliardenhöhe nach sich ziehen. Möglicherweise käme es auch zu Entschädigungsklagen gegen die an der Praxis beteiligten Militärdienstleistungsunternehmen, allen voran gegen den Branchenprimus, das mit Dick Cheney liierte Halliburton.

Zu den gefährlichsten in den einst rund 250 burn pits in Afghanistan und im Irak freigesetzten Giftstoffen gehört Dioxin, das im Vietnamkrieg als Bestandteil des von der US-Luftwaffe versprühten Entlaubungsmittels Agent Orange zu irreversiblen Gesundheitsschäden bei Soldaten und der vietnamesischen Bevölkerung führte. Auch drei Generationen nach dem Einsatz von Agent Orange kommen heute viele vietnamesische Neugeborene noch mit schweren Fehlbildungen zur Welt. Man kann also davon ausgehen, daß sich die einfachen Menschen in Afghanistan und im Irak noch lange mit der Vergiftung des Bodens und des Trinkwassers, die die US-Streitkräfte in der Nähe ihrer Basen angerichtet haben, herumplagen werden.

Weder für die Menschen in den betroffenen Gebieten noch für die erkrankten US-Soldaten wird es wohl eine nennenswerte Hilfe seitens der politischen Elite in Washington geben. Als Vizepräsident Joseph Biden letztes Jahr seinen ältesten Sohn durch eine tödliche Krebserkrankung verlor, die sich der 46jährige Beau Biden wahrscheinlich 2007 während seines Dienstes auf dem bereits erwähnten Stützpunkt Balad nördlich von Bagdad durch das Einatmen von Rauch aus den burn pits zugezogen hatte, kam vom langjährigen, einflußreichen Senator des Bundesstaats Delaware kein Aufschrei der Empörung, keine Kritik an der kriminellen Praxis. Biden hätte kraft seines Amts das Problem in der Öffentlichkeit thematisieren können, hat aber, vermutlich aus opportunistischen Gründen, darauf verzichtet. So sieht Leben auf Kosten der eigenen Art - selbst des geliebten Sohns - aus.

13. April 2016


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