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MILITÄR/903: Ist Obamas Kreuzzug gegen IS verfassungskonform? (SB)


Ist Obamas Kreuzzug gegen IS verfassungskonform?

Gerichte sollen Rechtmäßigkeit von Operation Inherent Resolve prüfen


Vor dem Hintergrund einer immer stärkeren Beteiligung von US-Bodentruppen an der Bekämpfung der "Terrormiliz" Islamischer Staat in Syrien und im Irak will ein Angehöriger des US-Militärgeheimdienstes die Rechtmäßigkeit der von Präsident Barack Obama im August 2014 verkündeten Operation Inherent Resolve gerichtlich überprüfen lassen. Der 28jährige Hauptmann Nathan Smith, der bereits 2012 gegen die Taliban in Afghanistan im Einsatz war und aktuell in Kuwait dient, hat bei einem Bundesgericht in den USA eine Klageschrift eingereicht, in der er sich zwar zum Ziel der Bekämpfung des IS bekennt, jedoch die rechtliche Grundlage von Operation Inherent Resolve als nicht mit der US-Verfassung vereinbar bezeichnet. Die Argumente Smiths, über dessen Fall am 4. Mai die New York Times und die pentagoneigene Army Times in ihren Online-Versionen berichteten, sind nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen.

Tatsächlich beruft sich die Obama-Regierung beim Kampf gegen den IS auf die Kriegsautorisierung, die beide Häuser des Kongresses mit großer Mehrheit wenige Tage nach den Anschlägen vom 11. September 2001 der damaligen Administration von Präsident George W. Bush erteilt haben. Die Authorization for Use of Military Force (AUMF) gestattet dem US-Präsidenten, in seiner Funktion als Oberbefehlshaber der Streitkräfte alle erforderlichen militärischen Maßnahmen gegen diejenigen, welche die 9/11-Anschläge geplant und durchgeführt haben oder diese unterstützen, zu ergreifen. Erste Angriffsziele der AUMF waren Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" und die unterstützenden Taliban in Afghanistan. Unter Verweis auf die AUMF läßt das Weiße Haus bis heute CIA-Drohnenangriffe und Geheimoperationen der Spezialstreitkräfte gegen verschiedene Al-Kaida-Ableger im Jemen, in Libyen, Somalia und Pakistan durchführen. Obwohl Bin Laden 2011 in Pakistan von den U. S. Navy SEALs liquidiert worden sein soll, akzeptieren die meisten Rechtsexperten die Ausweitung der AUMF auf Al-Kaida-Nachfolgeorganisationen als zulässig im Sinne der Bekämpfung des islamistischen "Terrorismus".

Beim IS hingegen scheiden sich die Geister. Ursprünglich wurde diese Truppe 2004 von dem Jordanier Musab Al Zarkawi als Al Kaida im Irak gegründet. Zu diesem Zweck hat Al Zarkawi damals auch einen Treueid auf Bin Laden geschworen. Nach dem Tod Al Zarkawis 2006 trat Abu Bakr Al Baghdadi dessen Nachfolge an und benannte die Organisation in Islamischen Staat im Irak (ISI) um. 2013 weitete ISI seine Aktivitäten auf Syrien aus und benannte sich in Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) bzw. Islamischer Staat im Irak und in der Levante (ISIL) um. Weil dieser Schritt mit der Al-Kaida-Führung um den ägyptischen Arzt Aiman Al Zawahiri nicht abgesprochen war sowie wegen dessen Kritik an der ungeheuren Brutalität des Vorgehens der ISIS-Kämpfer Zivilisten und gefangenen Soldaten gegenüber kam es Anfang 2014 zum Bruch. Seitdem gilt in Syrien die Al-Nusra-Front als offizielle Al-Kaida-Vertreterin. Manchmal bekriegen sich IS und Al Nusra, manchmal arbeiten sie zusammen - wie zuletzt beim Kampf gegen die syrische Armee um die Stadt Aleppo.

Als ISIL/ISIS im Sommer 2014 vom Osten Syriens aus die zweitgrößte irakische Stadt Mossul im Sturm eroberte und dasselbe mit Bagdad zu machen drohte, rief Al Baghdadi das Kalifat aus. Wegen des globalen Anspruchs dieses Gebildes hieß die Organisation von da an nur noch Islamischer Staat (IS). Um Bagdad vor dem Fall zu retten und die politische und militärische Lage im Irak rasch zu stabilisieren, hat Obama damals die Operation Inherent Resolve aus der Taufe gehoben und eine größere Allianz arabischer und westlicher Länder zur Teilnahme bewogen.

Die War Powers Resolution aus dem Jahr 1973 sieht vor, daß ein US-Präsident im Konfliktfall die Streitkräfte praktisch nach eigenem Ermessen einsetzen kann, spätestens jedoch nach 60 Tagen entweder die Zustimmung des Kongresses einholen oder die Militäroperation beenden muß. Obama hat mehrmals in den beiden letzten Jahren versucht, vom Repräsentantenhaus und Senat eine entsprechende Kriegsermächtigung für den Kampf gegen den IS zu erhalten, ist jedoch jedesmal am Widerstand der oppositionellen Republikaner gescheitert.

Um die Operation in Gang zu halten, berufen sich Pentagon und Weißes Haus auf die AUMF von 2001, obwohl IS und Al Kaida nachweislich nichts miteinander zu tun haben. Bei der Klage von Nathan Smith geht es darum, diese Widersprüchlichkeit zu entwirren und die Militäroperation gegen den IS entweder abzublasen oder auf eine verfassungskonforme Grundlage zu stellen. Bei seiner Klage wird Smith von Bruce Ackerman vertreten, der als Juraprofessor an der Universität Yale arbeitet und als einer der führenden Staatsrechtler der USA gilt. Seit Herbst 2014 hat Ackerman in Gastkommentaren bei der New York Times sowie in einem aufsehenerregenden Artikel für die Zeitschrift Atlantic Obamas Kriegserklärung gegen den IS immer wieder als "illegal" bezeichnet.

7. Mai 2016


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