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NAHOST/927: Israel hungert den Gazastreifen nach wie vor aus (SB)


Lebensmittellieferungen für eine Million Menschen weitgehend blockiert


Wie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bestätigt hat, sind inzwischen fast zwei Drittel der 1,5 Millionen Bewohner des Gazastreifens auf tägliche Hilfe angewiesen. Während aber eine Million Palästinenser mit Hilfsgütern wie insbesondere Nahrungsmitteln versorgt werden müßten, reichten die Lieferungen gegenwärtig nur für 30.000 Menschen, da Israel die Grenzen nicht öffne. Diese Politik der israelischen Regierung, die ja keine Ausnahme ist, sondern seit langem die Normalität ihres Repressionsregimes ausmacht, nicht als Völkermord zu bezeichnen, fällt schwer. Ebenso schwer fällt aber auch, all jene angeblichen Vermittler und Helfer, die Kenntnis von diesen Grausamkeiten haben und sie auf die eine oder andere Weise mit ihrer Unterstützung, Duldung oder ihren halbherzigen Einwänden mittragen, nicht Kollaborateure zu nennen.

Daß die Bewohner des Gazastreifens nicht binnen weniger Wochen oder allenfalls Monate ausgerottet werden, sondern schleichend verhungern oder Krankheiten erliegen und ein Leben in Elend führen müssen, verdankt sich einer Kumpanei, der für gewöhnlich viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Israel hat dafür gesorgt, daß der überwiegende Teil der Menschen in dem Freiluftgefängnis nicht aus eigener Kraft überleben kann. Internationale Hilfsorganisationen springen ein, um die Eskalation der Katastrophe zu dämpfen. Man kann dies als Barmherzigkeit im Angesicht der Barbarei interpretieren und damit die guten Beziehungen der Geberländer und Organisationen zur israelischen Führung ignorieren, oder nachfassen und einen eingespielten Pakt des Grauens zu Tage fördern.

Gefängnisinsassen mit dem Nötigsten zu versorgen, damit sie angesichts mangelnder Versorgung nicht zugrunde gehen, ist eine Sache. Dies unter Beteiligung von Regierungen, Institutionen der Staatengemeinschaft und internationalen Hilfsorganisationen zum Standard zu machen und damit das Besatzungsregime mit all seinen Folgen mitzutragen, eine andere. Zahlreiche Menschen und Gruppierungen in aller Welt haben für die Palästinenser gespendet, Schiffe versuchen die Blockade von See her zu durchbrechen, Konvois wollen den Gazastreifen auf dem Landweg erreichen. Israel verhindert jedoch diese Hilfe nach Kräften und läßt nur einen geringen Bruchteil der regulären Lieferungen großer Hilfsorganisationen passieren.

Wenn Vertreter der israelischen Regierung bisweilen erklären, den Palästinensern gehe es gut, da niemand hungere und sie schließlich selbst schuld seien, wenn sie den Gürtel ein wenig enger schnallen müßten, fühlt man sich zwangsläufig an die finstersten Zeiten deutscher Vernichtungspolitik erinnert. Das Argument, man wolle lediglich verhindern, daß eingeführte Güter der Hamas in die Hände fallen und von dieser mißbraucht werden, ist absurd. Ganz davon abgesehen, daß die Hamas nach wie vor die demokratisch gewählte und damit einzig legitime Regierung der Palästinenser stellt, womit jede gewaltsame Intervention gegen sie das Völkerrecht ad absurdum führt, dient sie Israel doch nur als Vorwand, den Widerstand der Palästinenser gegen Vertreibung, Unterwerfung, Entwürdigung und Vernichtung zu brechen. Einst war es die Fatah, die zeitweise durchaus mit Hilfe der konkurrierenden Hamas bekämpft wurde, inzwischen verhält es sich umgekehrt. Das Muster der Okkupation, Spaltung und Drangsalierung ist dasselbe, wobei das Niveau palästinensischer Lebensverhältnisse von Seiten Israels immer tiefer gedrückt wird.

Der Direktor der UN-Flüchtlingsagentur in Gaza, John Ging, erklärte zum wiederholten Mal, daß die israelische Blockade des Gazastreifens die humanitäre Grundversorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten, Kleidung, Decken und selbst Lehrmitteln in den Schulen abwürge und dadurch wachsendes Elend verursache. Man erhalte weder die volle Palette dringend benötigter Güter, noch die jeweils erforderliche Menge, teilte Ging in einer Videokonferenz aus Gaza mit. Unter der Bevölkerung wachse der Zorn, da man in den Nachrichtensendungen von großzügigen Spenden aus aller Welt erfahre und nun erlebe, wie diese an den Grenzübergängen zurückgehalten werden. Von einem Wiederaufbau zu sprechen, sei völlig verfrüht, solange noch nicht einmal der Zugang für die grundlegendsten humanitären Hilfsgüter geregelt sei.

Man werde der Hamas keine Gelegenheit geben, in den Gazastreifen gebrachtes Material zu stehlen, rechtfertigte Regierungssprecher Mark Regev jüngst erneut die Blockadehaltung. Die israelischen Behörden wollen nach wie vor keinerlei Rohstoffe, sondern allenfalls Fertigprodukte passieren lassen, was dazu führt, daß nicht nur der Wiederaufbau nach dem verheerenden Militärschlag der israelischen Streitkräfte so gut wie unmöglich ist, sondern darüber hinaus Wirtschaft, Infrastruktur und Versorgung im Gazastreifen systematisch abgewürgt werden, damit die Palästinenser weniger denn je aus eigenen Kräften existieren können.

Die Ausschaltung der Hamas spielt aus israelischer Perspektive nicht nur in militärischer Hinsicht eine entscheidende Rolle. Während die Fatah mit ihrer Korruption dem Besatzungsregime in die Hände spielte und Präsident Mahmud Abbas kaum mehr als eine Marionette israelischer Einflußnahme ist, galt die Hamas seit jeher als einzige Kraft, die das Sozialwesen organisiert, strukturiert und versorgt hat. Ihr Rückhalt in der palästinensischen Bevölkerung beruht im wesentlichen auf diesen sozialen Leistungen, was sie zwangsläufig zum Hauptfeind jeder nationalen und internationalen Administration macht, die sich des Palästinenserproblems ein für allemal zu entledigen trachtet, was ja nicht nicht nur für die Führung und angesichts des aktuellen Wahlergebnisses wohl auch für die Mehrheit der Bevölkerung Israels gilt.

Daß die Hamas das Existenzrecht Israels nicht anerkennt und alle jüdischen Bürger des Landes ins Meer treiben will, ist falsch und wird nicht richtiger, wenn man es tausendmal wiederholt. Tatsächlich hat die Hamas geltend gemacht, daß sie den Staat Israel nicht anerkennt, weil damit automatisch die Vertreibung der Palästinenser unwiderruflich legitimiert und das Rückkehrrecht definitiv ausgeschlossen wird. Das ist eine Position, die früher jede Fraktion palästinensischen Widerstands zum selbstverständlichen Fundament ihres Kampfes gemacht hat. Zugleich hat die Hamas mehr als einmal Verhandlungsbereitschaft unter Ausklammerung ihrer Grundsatzposition signalisiert.

Die israelische Regierung verhandelt nicht mit der Hamas. Auch die neue amerikanische Außenministerin Hillary Clinton und ihr französischer Amtskollege Bernard Kouchner lehnen direkte Verhandlungen mit der Hamas ab. "Warum wir nicht offiziell mit der Hamas reden? Weil sie nicht Teil des Friedensprozesses ist", erklärte Kouchner nach seinem ersten Treffen mit Clinton in Washington. Es werde keine Verhandlungen mit der militanten Organisation geben, solange sie nicht der Gewalt abschwört und Israel anerkennt, fügte Clinton hinzu. Niemand verhandelt mit der Hamas. Nur der Sondergesandte des Nahostquartetts, Tony Blair, kam plötzlich auf diese Idee, doch nimmt ihn niemand ernst, da er als krasse Fehlbesetzung dieses Postens gilt, der durch den früheren britischen Premierminister der letzten verbliebenen Relevanz beraubt wurde.

Würde man mit der Hamas verhandeln, käme natürlich schnell heraus, was ohnehin jeder weiß, aber die meisten nicht wahrhaben wollen: Die Forderungen der Palästinenser sind weder unmäßig noch unerfüllbar. Israel hat jedoch noch nie einen wichtigen Vertrag mit ihnen eingehalten, sondern solche Abkommen immer nur dazu benutzt, die Zusagen zu brechen, um bei nächster Gelegenheit auf noch niedrigerem Niveau neu zu verhandeln. Daß heute Gespräche mit der Hamas von Israel und seinen Verbündeten prinzipiell abgelehnt werden, bedeutet, daß man eine Marionettenregierung unter maßgeblicher Beteiligung der Fatah installieren will. Auf längere Sicht kann das nur darauf hinauslaufen, die Palästinenser jeder politische Führung zu berauben, die mehr als ein Regime von Aufsehern aus den eigenen Reihen wäre. Letzteres ist außerordentlich funktional, wie die Geschichte der Gefängnisse, Ghettos und Vernichtungslager lehrt.

13. Februar 2009