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NAHOST/949: US-Reisediplomatie produziert Luftschlösser ohne Ende (SB)


USA und Israel wickeln mit inszenierter Kontroverse das Publikum ein


Wenn in Zeiten des Krieges phantastische Friedenspläne gewälzt und rosige Perspektiven entworfen werden, muß man fürchten, vom Regen in die Traufe zu kommen. Was der US-Sondergesandte George Mitchell auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Israels Regierungschef Netanjahu an Zielvorgaben aufblies, schwoll zu einem so gewaltigen Ballon an, daß sich die Frage geradezu aufdrängt, welche monströsen Vorhaben damit aus dem Sichtfeld verbannt werden sollen: Präsident Obamas umfassende Vision eines Friedensschlusses im Nahen Osten schließe Israel und die Palästinenser, Syrien und Israel, Israel und den Libanon, ja die vollständige Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und seinen Nachbarn in der gesamten Region ein.

Angesichts des Massakers im Gazastreifen, der unablässigen Fragmentierung des Westjordanlands, einer israelischen Regierung des rechten Lagers und unverhohlener Angriffspläne gegen den Iran mutet die Nahostinitiative der US-Regierung so fern aller unmittelbar durchzusetzenden Linderung palästinensischer Not und konkreten Ausschlusses des nächsten Waffengangs an, daß die Scharade inszenierter Widersprüche zwischen den eingeschworenen Bündnispartnern die Züge einer Schmierenkommödie annimmt, die mit gewaltigem Theaterdonner ihre illusionistischen Kunststücke zur Verwirrung des andächtig staunenden Publikums über die Bühne bringt.

In furioser diplomatischer Reisetätigkeit ohnegleichen gaben der Nationale Sicherheitsberater James Jones, der Iran-Beauftragte Dennis Ross, Verteidigungsminister Robert Gates und der Sonderbevollmächtigte George Mitchell einander in Israel, Syrien, Ägypten und am Golf die Klinke in die Hand, um immense Bewegung in den festgefahrenen Grabenkriegen zu simulieren, während die Ketten der Drangsalierten enger geschnürt und die gegnerischen Bollwerke unterminiert werden.

Netanjahu war sich seiner Rolle als Hauptdarsteller nur zu bewußt und hatte ganze Berge Kreide gefressen, um seine wohltönenden Phrasen nicht versehentlich durch ein unkontrolliertes Zähnefletschen an der falschen Stelle zu verderben. Hatte er Gates nach dessen Zusicherung uneingeschränkter Militärhilfe treuherzig der Zusammenarbeit versichert, "um Frieden und Sicherheit in Israel und der ganzen Region zu fördern", so fügte er nach seinem Treffen mit Mitchell nur um so vollmundiger hinzu, es sei ein "sehr wichtiges und produktives Gespräch" gewesen: "Wie werden die Bemühungen fortsetzen, Frieden und Sicherheit zwischen uns und unseren Nachbarn, den Palästinensern, und in der gesamten Region zu erzielen. Ich denke, wir werden am Ende Erfolg haben."

Da ließ sich der Sondergesandte Mitchell nicht lumpen und erklärte, man habe "gute Fortschritte" gemacht. Er hoffe, man werde bald den Punkt erreichen, "an dem wir alle voranschreiten können, um einen umfassenden Frieden zu erzielen." Konkret vereinbart, beschlossen oder auch nur explizit beim Namen genannt, wurde freilich keiner dieser ominösen Schritte, was auch kein Wunder war. Zuvor hatte Mitchell nämlich Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bei ihrer Zusammenkunft wissen lassen, daß es noch immer eine Kluft zwischen Israel und den Vereinigten Staaten in der Haltung zum Nahost-Konflikt gebe und kein Kompromiß in der Siedlungsfrage erzielt worden sei. [1]

Im Gegenteil: Nach aktuellen Daten der israelischen Streitkräfte wuchsen die jüdischen Siedlungen im ersten Halbjahr um 2,3 Prozent, so daß die Zahl der Siedler im Westjordanland erstmals 300.000 überschritten hat, die 190.000 in Ostjerusalem natürlich nicht mitgerechnet. Die Washington vor geraumer Zeit in die Hand versprochene Räumung der 23 selbst nach israelischem Recht illegalen Außenposten ist noch immer nicht erfolgt, ja statt dessen errichteten jugendliche Siedler während Mitchells dreitägigem Besuch elf neue Außenposten, ohne daß die Armee einen Finger gerührt hätte.

Anmerkungen:

[1] Lippenbekenntnisse nach Treffen Mitchells mit Netanyahu
"Gute Fortschritte" auf dem Weg zu neuen Friedensgesprächen (29.07.09)
Neuer Zürcher Zeitung

29. Juli 2009