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NAHOST/967: Selbstgerechtigkeit Blairs kennt keine Grenzen (SB)


Selbstgerechtigkeit Blairs kennt keine Grenzen

Mit Sophisterei werden westliche Kriegsbrechen einfach abgetan


Seit einigen Wochen nun findet in London eine öffentliche Untersuchungskommission statt, die unter der Leitung von Sir John Chilcott der politisch hochbrisanten Frage nachgeht, warum die Regierung Tony Blairs 2003 entschieden hat, die britischen Streitkräfte an der von den USA angeführten Invasion des Iraks zu beteiligen. Namhafte Regierungsmitglieder von damals, darunter der frühere britische UN-Botschafter Sir Jeremy Greenstock und der frühere britische Botschafter in Washington Christopher Meyer, sind bereits erschienen, und haben durch ihre Aussagen das bestätigt, was praktisch die ganze Welt damals ahnte und seitdem immer klarer geworden ist: erstens, daß die Regierung von US-Präsident George W. Bush bereits beim Amtsantritt im Januar 2001 nach einem Vorwand zum gewaltsamen Vorgehen gegen das "Regime" Saddam Husseins trachtete und ihn schließlich nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September in einem mittels Manipulation geheimdienstlicher Erkenntnisse erfundenen Konstrukts einer von Bagdad angeblich ausgehenden Bedrohung - Massenvernichtungswaffen bzw. Kontakte zu Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" - fand und zweitens, daß Blair dies alles wußte und sich längst vor der eigentlichen Invasion zur Kriegsteilnahme entschieden hatte, während er gleichzeitig gegenüber Volk und Parlament das Gegenteil beteuerte.

Die bisher für Blair peinlichste Enthüllung der letzten Tage dreht sich um die Haltlosigkeit der damaligen Begründung für die britische Kriegsteilnahme. Bereits im Frühjahr 2002 hatte der britische Justizminister Lord Goldsmith den Premierminister darüber in Kenntnis gesetzt, daß eine Invasion illegal wäre, da vom Irak infolge der Entwaffnung unter der Aufsicht der UN-Inspekteure keine Gefahr mehr ausginge. Dennoch wartete die Downing Street im September 2002, rechtzeitig zum ersten Jahrestag der Anschläge auf das New Yorker World Trade Center sowie zum großen Auftritt Bushs vor der UN-Generalversammlung mit einem Dossier auf, in dem es hieß, 45 Minuten nach Erhalt eines entsprechenden Befehls von Saddam Hussein könnten im Westen des Iraks stationierte Soldaten mit chemischen Kampfstoffen gefüllte Raketen abfeuern, welche die britischen Stützpunkte auf Zypern treffen könnten. Formal hat Blair damit einen Verteidigungsfall konstruiert, der den Einsatz militärischer Mittel legitimierte.

Daß in Großbritannien praktisch niemand diese Schauergeschichte glaubte, zeigt die Tatsache, daß es am 15. Februar - und damit wenige Wochen vor dem befürchteten Kriegsbeginn - in London mit zwei Millionen Teilnehmern zur größten politischen Demonstration in der Geschichte des Landes gegen die durchsichtigen "Regimewechselpläne" Blairs und Bushs kam. Wie windig die Geheimdiensterkenntnisse waren, auf dem jener Verteidigungfall beruhte, zeigt eine Enthüllung am Rande der Chilcott Inquiry. Wie die Londoner Times am 8. Dezember unter Berufung auf den Ex-Armeeoffizier Adam Holloway, der heute als konservativer Abgeordneter im Parlament den Wahlkreis Gravesham vertritt, berichtete, soll der britische Auslandsgeheimdienst MI6 die Informationen hinsichtlich der berühmten "45 Minuten" und allem, was dazu gehörte, von einem irakischen Taxifahrer erhalten haben, der ein entsprechendes Gespräch zweier Militärs Saddam Husseins bei einer Fahrt im Jahr 2001 "belauscht" haben soll. Und obwohl der MI6 schriftlich darauf hinwies, daß die Behauptung des Taxifahrers "nachweislich unzuverlässig" sei, landete sie dennoch in Blairs berühmten "dodgy dossier".

Im Frühjahr soll Blair der Chilcott-Untersuchungskommission Rede und Antwort stehen. Angesichts der Flut von Informationen aus dem Innenleben der damaligen britischen Regierung, die derzeit täglich bekannt werden, steigt die Spannung in der Öffentlichkeit an. Vermutlich um dieser Spannung entgegenzuwirken, hat Blair vor wenigen Tagen eine Art Befreiungsversuch gestartet. Im einem Interview des BBC-Fernsehens, das am 12. November ausgestrahlt wurde, behauptete er, daß er, selbst wenn er damals gewußt hätte, daß Saddam Hussein über keine Massenvernichtungswaffen verfügte, den britischen Streitkräften trotzdem den Marschbefehl erteilt hätte. "Ich hätte es immer noch für richtig gefunden, ihn zu stürzen", so Blair.

Der ehemalige Chef der britischen Labour-Partei, der während des Kosovo-Krieges der NATO gegen Jugoslawien 1999 zum führenden westlichen Apologeten "humanitärer Interventionen" aufstieg und nach dem Rücktritt als Regierungschef vor zwei Jahren zum Katholiken geworden ist, begründet seine damalige Entscheidung jetzt mit der angeblichen von Saddam Hussein ausgehenden "Bedrohung für die Region". Für Blair war die Beseitigung jener "Bedrohung" offenbar eine Million getöteter Iraker und vier Millionen irakischer Flüchtlinge wert. Das "Geständnis" Blairs erfolgt nur wenige Tage, nachdem der Nachfolger Bushs, US-Präsident Barack Obama, bei seiner Dankesrede anläßlich der Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises im norwegischen Olso den Krieg als Mittel zur Bekämpfung des "Bösen in der Welt" lobpreiste. Die Selbstgerechtigkeit und diese Überzeugung der eigenen moralischen Überlegenheit führender angloamerikanischer Politiker verschlägt einem die Sprache. Offenbar haben Christen wie Blair und Obama niemals jene Stelle des Evangeliums verstanden, in dem der Nazarener mahnt, Anstoß am Staubkorn im Auge des anderen nicht zu nehmen und stattdessen den Balken im eigenen zu entfernen.

15. Dezember 2009