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NAHOST/968: Ägyptens Doppelzüngigkeit spaltet Marsch nach Gaza (SB)


Regime Mubaraks komplettiert Schulterschluß gegen Palästinenser


Mit seiner Entscheidung, eine Delegation von 100 Personen in den Gazastreifen einreisen zu lassen, während die Mehrzahl der insgesamt 1.300 Aktivisten aus über 40 Ländern in Kairo bleiben muß, dokumentiert das ägyptische Regime von Gnaden der USA erneut seine doppelzüngige Strategie im Umgang mit den Palästinensern. Schon das bloße Zahlenverhältnis unterstreicht, zu wessen Lasten sich die Regierung Hosni Mubaraks das drohende Aufbegehren der eigenen Bevölkerung vom Hals zu schaffen hofft. Im Fokus internationaler Aufmerksamkeit, die angesichts der verheerenden Lage im Gazastreifen in den letzten Wochen und Monaten die Kritik an der israelischen Vernichtungspolitik nicht länger unterdrückt, soll der vorgebliche Kompromiß die Argumentation unterstützen, man wolle hinsichtlich des israelisch-palästinensischen Konflikts Neutralität wahren, um die Position eines Vermittlers nicht zu gefährden. Zugleich verlegt sich die ägyptische Führung auf eine Strategie der Spaltung, die dem Protest vor Ort die Spitze nehmen und seine internationalen Unterstützer mit einem Pseudokompromiß mundtot machen soll.

Die 100 Aktivisten aus aller Welt führen stellvertretend für alle angereisten Unterstützer der Palästinenser einen Gedenkmarsch in den Gazastreifen durch, wo sie an einer Kundgebung zu Erinnerung an das Massaker der israelischen Streitkräfte vor einem Jahr teilnehmen. Die Demonstranten reisten über den Kontrollpunkt Rafah in das abgeriegelte Palästinensergebiet ein, um morgen sowohl des Jahrestags die Gaza-Offensive zu gedenken, als auch die genozidale Entwicklung angesichts der nach wie vor aufrechterhaltenen Blockade anzuprangern. Im Zuge der dreiwöchigen Offensive "Gegossenes Blei" wurden im Gazastreifen mehr als 1.450 Palästinenser getötet, bei denen es sich mehrheitlich um Zivilisten handelte. [1]

Zuvor hatten die ägyptischen Behörden die Einreise der Aktivisten unter dem fadenscheinigen Verweis auf die "sensible Lage" im Gazastreifen zunächst ganz untersagt. Viele, die auf eigene Faust nach Gaza zu reisen versuchten, wurden von der ägyptischen Polizei aufgehalten und zurück nach Kairo gebracht. Die Busse wurden an der Grenze gestoppt und mußten umkehren. Eine Gruppe Deutscher, die unabhängig von den Bussen mit Sammeltaxis von Kairo nach Rafah aufgebrochen war, wurde ebenfalls von Sicherheitskräften zur Rückkehr gezwungen.

Nachdem jedoch einige Demonstranten in den Hungerstreik getreten waren und an mehreren Orten in Kairo protestiert hatten, was selbst in den bürgerlichen Medien Europas und der USA seinen Widerhall fand, einigten sich die Organisatoren mit der ägyptischen Regierung auf die Einreise einer kleinen Delegation. Die zurückgebliebenen Teilnehmer wollen versuchen, unterdessen in Kairo einen Marsch durchzuführen, um ebenfalls die Aufhebung der völkerrechtswidrigen Blockade von Gaza zu fordern.

In den Hungerstreik getreten war gemeinsam mit 40 weiteren Menschen auch die 85jährige Holocaust-Überlebende Hedy Epstein aus den USA, die 1939 im Alter von vierzehn Jahren Deutschland mit dem Kindertransport nach England verlassen mußte. Ihre Eltern wurden 1942 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Im Nürnberger Tribunal arbeitete Epstein seinerzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei den Prozessen gegen deutsche Ärzte mit. Hedy Epstein emigrierte in die Vereinigten Staaten, wo sie sich für Frieden und Gerechtigkeit engagierte. Sie bringt nach Gaza humanitäre Hilfsmittel mit, die sie gesammelt hat.

Wie sie vor ihr Abreise aus Kairo sagte, sei es wichtig, die belagerten Menschen in Gaza wissen zu lassen, daß sie nicht allein sind: "Ich möchte den Menschen, die ich in Gaza treffe, sagen, daß ich eine Vertreterin vieler Menschen in meiner Stadt und anderswo in den USA bin, die entsetzt darüber sind, was die Regierungen der USA, Israels und der europäischen Länder den Palästinenser antun, und ihnen auch sagen, daß wir immer mehr werden." [2]

Von den internationalen Medien bislang eher verschwiegen oder allenfalls beiläufig erwähnt, hat sich der in der jordanischen Hafenstadt Akaba seit Tagen festsitzende Hilfskonvoi "Viva Palästina" entschieden, nach Syrien zurückzufahren. Zuvor hatten die ägyptischen Behörden den rund 500 Menschenrechtsaktivisten mit mehr als 150 Fahrzeugen die Einreise nach Ägypten verweigert und sie angewiesen, über den Mittelmeerhafen Al-Arish zu kommen. Nun will der Konvoi von der syrischen Hafenstadt Latakia mit dem Schiff nach Al-Arish übersetzen und hofft, doch noch vor Jahresende nach Gaza zu gelangen. [3]

Ägypten hatte den Grenzübergang Rafah im Sommer 2007 geschlossen, nachdem die Hamas den von den USA mit Waffen, Ausbildung und Finanzmitteln unterstützten Angriff der Fatah abgewehrt und diese aus Gaza vertrieben hatte. Seither trägt die ägyptische Regierung die israelische Blockade mit, was im Lande selbst wie auch in zahlreichen Ländern der arabischen Welt mit wachsendem Zorn kritisiert wird. Die Behörden weigerten sich, die Grenze für den Marsch nach Gaza zu öffnen, wobei erneut "Sicherheitsinteressen" vorgehalten wurden.

Wie die Organisatoren des Gaza Freedom March in einem offenen Brief an Präsident Mubarak schrieben, komme man nicht nach Ägypten, um dort Schwierigkeiten zu machen oder einen Konflikt hervorzurufen: "Wir sind gekommen, weil wir der Überzeugung sind, daß alle Menschen - und so auch die Palästinenser in Gaza - Zugang zu den Ressourcen haben sollten, die für ein Leben in Würde unverzichtbar sind." Man fordere Israel auf, die Blockade zu beenden, und habe Medikamente, Schulmaterial und Kleidung im Wert von mehreren zehntausend Dollar gesammelt, die man nach Gaza bringen wolle.

Die drohende Reaktion des ägyptischen Außenministers Ahmed Aboul Gheit auf die trotz der geschlossenen Grenze angereisten Aktivisten sprach Bände: "Wir werden jene, die sich gegen uns zu verschwören versucht haben - und es sind über tausend - auf der Straße lassen." [4]

Während die ägyptische Regierung bislang mit Israel kollaboriert und sich durch die Schließung des Grenzübergangs Rafah an der Blockade des Gazastreifens beteiligt hat, jedoch zugleich dessen notdürftige Versorgung durch die zahlreichen Tunnel gewähren ließ, weicht diese nicht einmal halbherzige Unterstützung der Palästinenser nun vollends dem ungebrochenen Schulterschluß mit israelischen Interessen. Zweifellos auf Druck Israels und der USA hat Kairo damit begonnen, eine offenbar bis zu 18 Meter tief in die Erde reichende Stahlmauer entlang der Grenze zum palästinensischen Küstenstreifen zu bauen, die den Warentransport künftig unmöglich machen soll. Finanziert von Washington und konzipiert vom US-Corps of Engineers soll dieses Sperrwerk das Überleben der 1,5 Millionen in Gaza eingesperrten Palästinenser so gut wie unmöglich machen und damit den schleichenden bis offenen Völkermord perfektionieren.

Anmerkungen:

[1] Ägypten lässt 100 Aktivisten in den Gazastreifen einreisen. Personen aus aller Welt wollen an Gedenkmarsch teilnehmen (30.12.09)
NZZ Online

[2] Einladung zur Pressekonferenz der deutschen Delegation vom Gaza Freedom March in Kairo (30.12.09)
elsarassbach@gmail.com

[3] Kairo stoppt Aktivisten (30.12.09)

junge Welt

[4] Protesters Gather in Cairo for March to Gaza (30.12.09)
New York Times

30. Dezember 2009