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NAHOST/977: Iran in München zur weltgrößten Bedrohung erklärt (SB)


Iran in München zur weltgrößten Bedrohung erklärt

"Internationale Gemeinschaft" rüstet rhetorisch für den Krieg auf


Die Art und Weise, wie führende Politiker und Militärs der NATO, tatkräftig unterstützt von den westlichen Medien, die jüngste "Sicherheitkonferenz" in München als Plattform benutzt haben, um ihren aggressiven Ton gegen den Iran zu verschärfen, erschreckt und läßt den Verdacht aufkommen, daß sich eine verheerende militärische Auseinandersetzung am Persischen Golf anbahnt.

Als Gastgeber fielen die beiden Spitzenvertreter der Bundesregierung auf der Konferenz, Außenamtschef Guido Westerwelle und Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg, durch ihren arroganten, besserwisserischen, herablassenden und selbstgerechten Umgang mit Manouchehr Mottaki, dem Vertreter des Irans, besonders übel auf. Der iranische Außenminister war am Freitag, dem 5. Februar, extra in die bayerische Hauptstadt gereist, um die Bereitschaft seines Landes, den Vorrat der islamischen Republik an schwach angereichertem Uran, ins Ausland zu exportieren, um es dort auf 20 Prozent anreichern zu lassen und es anschließend wieder zu reimportieren und zu medizinischen Zwecken zu nutzen, zu unterstreichen. Ein solcher Deal war im Prinzip im letzten Herbst in Genf von Vertretern der fünf ständigen Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA - und Deutschland, der sogenannten P5-1-Gruppe, und dem Iran als Auftakt zur friedlichen Beilegung des sogenannten Atomstreits vereinbart worden.

Nach monatelangem Streit innerhalb der politischen Elite Teherans hatte sich Präsident Mahmud Ahmadinedschad am 2. Februar zum Export von Irans derzeit 1200 Kilogramm an schwach angereichertem Uran bereiterklärt. Das Signal aus der iranischen Hauptstadt wurde von den westlichen Großmächten, die dem "Mullahregime" unterstellen, heimlich am Bau einer eigenen Atombombe zu basteln, als Finte abgetan. Das gleiche widerfuhr Mottaki in München, nachdem dieser erläutert hatte, der Iran wolle seinen ganzen Vorrat nicht im Rahmen einer einmaligen Aktion aus der Hand geben und ein Jahr warten, bis er davon wieder etwas sehe, sondern in kleineren Portionen verschiffen, was auch nur bei Rückerhalt der vorher exportierten Mengen jeweils fortgesetzt werden würde.

Daß die Vertreter eines "Schurkenstaats" auf die Idee kommen könnte, denjenigen, die sich seit den Balkankriegen der neunziger Jahre als "internationale Gemeinschaft" heroisieren, Bedingungen vorzuschreiben, paßt offenbar nicht in die Vorstellungswelt westlicher Politiker. Wenn es um eine "Atmosphäre des Vertrauens" geht, zu deren Schaffung Mottaki nach eigenen Angaben nach München gekommen war, sind es immer die anderen, welche eine Bringschuld abzutragen haben. Bereits vor dem Treffen mit dem Amtskollegen aus Teheran erklärte Westerwelle gegenüber dem Deutschlandfunk, die Iraner würden seit zwei Jahren nicht ehrlich verhandeln, sondern nur "bluffen und Tricks spielen": "Der Iran spielt auf Zeit, und natürlich können wir in der internationalen Gemeinschaft einen atomarbewaffneten Iran nicht akzeptieren." Nach dem Treffen mit Mottaki erklärte Westerwelle, nichts was dieser ihm erzählt habe, habe an der Einschätzung, daß die Iraner Hinhaltetaktiken betrieben, etwas geändert.

Als am 7. Februar bei einem Auftritt im Fernsehen Irans Präsident Ahmadinedschad in Reaktion auf die erniedrigende Abfuhr, die Mottaki durch westliche Vertreter in München zuteil wurde, den Leiter der iranischen Atombehörde, Ali Akbar Salehi, mit der Anreicherung besagten Urans von 3,5% auf 20% beauftragte, damit man es in einigen Monaten zur Gewinnung von Isotopen für medizinische Zwecken benutzen könnte, war die Empörung bei den versammelten "Sicherheitsexperten" in München riesengroß. Wiewohl Ahmadinedschad gleichzeitig die Bereitschaft seines Landes zu einer Verhandlungslösung auf Augenhöhe kundtat, schien die Möglichkeit hierzu vorbei zu sein. Gegenüber Journalisten sagte zu Guttenberg, noch auf der Schlußkundgebung der Sicherheitskonferenz: "Die Erklärung von heute zeigt, daß eine Farce, genau ähnlich der, die wir in der Vergangenheit gesehen haben, gespielt wird, und daß die ausgestreckte Hand der internationalen Gemeinschaft nicht nur nicht angenommen, sondern sogar ausgeschlagen wurde."

Die Rede von der "ausgestreckten Hand" ist ein Verweis auf eine Formulierung Barack Obamas kurz nach der Amtsübernahme als US-Präsident im vergangenen Jahr. Wiewohl diese Formulierung allgemein als Signal der prinzipiellen Bereitschaft der USA zur Versöhnung mit dem Iran gedeutet wird, vergessen die meisten die Unterstellung, mit der Obama die Iraner gleichzeitig beleidigt hat. In besagter Rede entwarf er das Bild der friedenswilligen USA, mit denen der Iran, um einen neuen Anfang in den Beziehungen zu erzielen, seine "geballte Faust" lösen müsse. Damit hat Obama ganz klar den Iranern die alleinige Schuld an der jahrzehntelangen Feindschaft zwischen Teheran und Washington gegeben - was bei näherer geschichtlichen Betrachtung eine ziemliche Frechheit ist.

Die Reaktionen auf das überraschende Erscheinen Mottakis in München fiel deshalb heftig aus, weil die westlichen Politiker dorthin gekommen waren, um vor den Fernsehkameras der Welt den Iran zur großen Bedrohung aufzubauschen, die jeweils eigene Öffentlichkeit auf die kommende Eskalation einzustimmen und Rußland und China unter Druck zu setzen, damit diese im Sicherheitsrat den Weg für die Verhängung von "verschärften Sanktionen" freimachen, welche, wenn es nach den USA und ihren Verbündeten geht, die iranische Wirtschaft lahmlegen und dadurch Teheran zur Kapitulation im Atomstreit zwingen oder zum Sturz des "Mullahregimes" führen sollen. Die Marschroute gab schon am 6. Februar Senator Joseph Lieberman, dessen politische Karriere sich durch eine besondere Hervorhebung der Bedeutung der Militärallianz zwischen den USA und Israel auszeichnet, vor. Der einflußreiche Vorsitzende des Heimatschutzausschusses des Senats trat im Nobelhotel Bayerischer Hof, dem Austragungsort der Sicherheitskonferenz, für schwere Sanktionen und - sollten diese Teheran nicht in die Knie zwingen - für militärisches Handeln ein.

Ähnlich argumentierte am selben Tag in München Obamas Nationaler Sicherheitsberater James Jones. Der General der US-Marineinfanterie a. D. sprach von der Gefahr eines "nuklearen Wettrüstens im Nahen Osten", für deren potentielles Entstehen er, das umfangreiche Atomwaffenarsenal Israels ignorierend, dem Iran die alleinige Schuld gab. Um die Notwendigkeit eines strengen Vorgehens gegen den Iran zu begründen, erklärte der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber die Verbreitung von Atomwaffen zur "größten aktuellen Bedrohung unserer kollektiven Sicherheit". Interessanterweise erklärte ausgerechnet am folgenden Tag Außenministerin Hillary Clinton bei einem Auftritt in der allsonntäglichen Politsendung von CNN "State of the Union", "transnationale, nicht-staatliche Netzwerke" à la Osama Bin Ladens Al Kaida zur größten weltweiten Bedrohung. Mit dieser Einschätzung reagierte die ehemalige First Lady vermutlich auf den Auftritt Sara Palins am Abend zuvor auf dem ersten nationalen Treffen der rechtsgerichteten Tea-Party-Bewegung, als die ehemalige Gouverneurin von Alaska der Obama-Regierung einen zu laschen Umgang mit "Terroristen" vorgeworfen hatte. Die unterschiedlichen Auffassungen von Clinton und Jones lassen erkennen, daß Washingtons Einschätzung potentieller Bedrohungen nationaler oder internationaler Sicherheit weniger mit diesen an sich, als vielmehr mit ihrer Nützlichkeit für politische Zwecke - innen wie außen - zu tun hat.

8. Februar 2010