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NAHOST/997: Saudischer Kronprinz kritisiert US-Nahostpolitik (SB)


Saudischer Kronprinz kritisiert US-Nahostpolitik

Turki Al Faisal stellt der Obama-Regierung schlechte Noten aus


Angesichts des Stillstands im sogenannten Nahost-Friedensprozeß, des Ausbaus jüdischer Siedlungen im besetzten Westjordanland und der Belagerung des Gazastreifens, der ständigen Drohungen, welche die rechtsgerichtete israelische Regierung Benjamin Netanjahus mit den Syrern und der Führung der libanesischen Hisb Allah austauscht, und des eskalierenden "Atomstreits" zwischen den USA und dem Iran steigen die Ängste vor einem großen Regionalkrieg in diesem Sommer. Auf die aus der gegenwärtigen Situation hervorgehenden Gefahren haben in den letzten Wochen zwei der engsten Verbündeten Washingtons im Nahen Osten öffentlich aufmerksam gemacht - König Abdullah von Jordanien in einem Interview mit Redakteuren der Zeitung Chicago Tribune am 15. April und am 19. Mai Ägyptens langjähriger Präsident Hosni Mubarak anläßlich eines Treffens mit dem italienischen Präsidenten Silvio Berlusconi in Kairo. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang auch die Rede, die der saudische Kronprinz Turki bin Faisal am 15. Oktober vor ausländischen Diplomaten in Riad hielt und über die am selben Tag die Nachrichtenagentur Agence France Presse berichtet hatte, ohne daß sie die Aufmerksamkeit erhalten hätte, die sie verdiente.

Die Kritik Turki bin Faisal al Sauds an der aggressiven, einseitig pro-israelischen Politik der USA ist bemerkenswert, weil der langjährige saudische Geheimdienstchef, der in den achtziger Jahren eine Schüsselrolle bei der CIA-Operation zur Unterstützung des Kampfes der Mudschaheddin gegen die Sowjetarmee in Afghanistan spielte und sich dort in den neunziger Jahren um eine Beendigung des Bürgerkrieges bemühte, als großer Kenner und Freund des Westens gilt. Er hat in den sechziger und siebziger Jahren an mehreren Elite-Universitäten in Großbritannien und den USA studiert - an der Georgetown University waren Bill Clinton und er in derselben Klasse. In den letzten Jahren hat er Saudi-Arabien als Botschafter in London und Washington vertreten. 2006 wurde er nach etwas mehr als einem Jahr plötzlich und ohne Nennung von Gründen aus den USA abgezogen. Man vermutet, daß der Abruf mit Turki bin Faisals ablehnender Haltung gegenüber der Kriegspolitik der Regierung George W. Bushs, die von einigen Mitgliedern der saudischen Königsfamilie, allen voran dem früheren Botschafter in den USA und heutigen Nationalen Sicherheitsberater Prinz Bandar, unterstützt wird, zusammenhing.

In Turkis jüngster Rede in Riad schimmert vor allem dessen Enttäuschung durch, daß die Administration des Demokraten Barack Obama so wenig vom Kurs der Vorgängerregierung des Republikaners Bush jun. abgewichen ist. Der Vorsitzende des King Faisal Center For Research and Islamic Studies, der als künftiger saudischer Außenminister gehandelt wird, riet Obama davon ab zu glauben, die USA könnten "die Probleme in Afghanistan mit militärischen Mitteln lösen":

Was Afghanistan heute braucht, ist eine Verlagerung vom Wiederaufbau hin zur effektiven Terrorbekämpfung. Man soll Jagd auf die Terroristen auf beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Grenze machen, sie festnehmen oder töten, und dann von dort verschwinden, damit das afghanische Volk seine Probleme selbst lösen kann. Solange US-Truppen auf afghanischem Boden stationiert sind, werden sie dem afghanischen Widerstand und ihren ideologischen Kampfgefährten ein Ziel bieten.

Für die jüngsten Mißstimmungen in den Beziehungen der Obama-Regierung zum afghanischen Präsidenten Hamid Karsai machte Turki Washington verantwortlich. Er brachte "Unglauben und Erstaunen" angesichts des "unfähigen Umgangs" der Obama-Administration mit ihren wichtigsten afghanischen Verbündeten zum Ausdruck: "Jede Seite hegt Groll und Bitterkeit der anderen gegenüber. Wie kommen sie nun aus dieser Situation heraus? Ich weiß es nicht." Angeblich rührt die Unzufriedenheit Washingtons mit Karsai von dessen Bemühungen um eine Versöhnung mit den Taliban und eine Beendigung des Krieges her. Medienberichten zufolge verhandeln Gesandte der Karsai-Regierung seit mehreren Tagen auf den Malediven unter der Schirmherrschaft Saudi-Arabiens mit Vertretern des afghanischen Widerstands.

Turki gab bekannt, daß die arabischen Staaten Obama vier Monate gegeben haben, um einen Durchbruch bzw. Fortschritt im Nahost-Friedensprozeß zu erzielen:

Die arabische Welt hat Obama bis September Zeit gegeben, um die Sache zu erledigen. Es reicht nicht aus, schöne Reden zu halten, es müssen auch Tatsachen her. Sollte es Präsident Obama nicht gelingen ... dann werde ich ihn um eine moralische Geste bitten, nämlich den palästinensischen Staat, dessen Existenz er sich so dringend wünscht, anzuerkennen. Danach kann er einpacken, uns in Ruhe lassen und es den Palästinensern, Syrern und Libanesen überlassen, mit den Israelis direkt zu verhandeln. Keine Platitüden, Glückwünsche oder Visionen mehr, bitte.

Der 1945 geborene Neffe von König Abdullah ging wegen des gemeinsamen Kurses im "Atomstreit" mit dem Iran mit den NATO-Verbündeten USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien ins Gericht:

Die Diskussion über die Nuklearambitionen des Irans hat völlig falsch angefangen. Zuckerbrot und Peitsche funktionieren nicht. ... Man kann nicht vom Iran verlangen, daß er auf die eine Weise behandelt wird, während man Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea in einer ganz anderen Weise behandelt.

Laut Turki bedarf die Lösung des "Atomstreits" der "Gleichbehandlung" des Irans, eines "universellen nuklearen Schirms" für die Nahost-Region und einer "guten Militäroption" gegen jedes Land, das gegen eine eventuelle multilaterale Regelung verstößt.

Er warf US-Außenministerin Hillary Clinton vor, die jüngsten Bemühungen um eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten mutwillig torpediert zu haben, nachdem sich die fünf Vetomächte des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen für das Vorhaben ausgesprochen hatten. "Leider hat Clinton den Ansatz, mit der Erklärung, die Bedingungen zur Schaffung einer solchen Zone existierten nicht, um seine Bedeutung gebracht. Warum hatte sie sich zuvor überhaupt der Erklärung der anderen Vertreter der großen Fünf angeschlossen?" Turki äußerte in diesem Zusammenhang die Hoffnung, daß Obama "einen Weg finden" werde, "das Nein seiner Außenministerin zur Schaffung einer nuklearwaffenfreien Zone" im Nahen Osten "zu korrigieren".

Vor dem Hintergrund des anhaltenden Streits zwischen Sunniten und Schiiten um die Bildung einer Regierung in Bagdad warnte Turki eindringlich vor der Gefahr eines erneuten Ausbruchs des Bürgerkrieges im Irak. Befasse sich der UN-Sicherheitsrat nicht umfassend mit der Lage im Zweistromland, könnte dort nach dem geplanten Abzug der meisten US-Streitkräfte bis Ende des Sommers ein "Regionalkonflikt" ausbrechen, den man "vom Ausmaß her seit den Kriegen der osmanischen und safawidischen Dynastien während des siebzehnnten und des achtzehnten Jahrhunderts nicht mehr gesehen hat."

22. Mai 2010