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NAHOST/1033: Siedlungsbau - Projekt israelischer Regierungspolitik (SB)


USA, EU und UNO geben Israels Siedlungspolitik Rückendeckung


Beim Siedlungsbau handelt es sich um ein seit Jahrzehnten vorangetriebenes Kernstück israelischer Regierungspolitik, das durch fortgesetzten Landraub vollendete Tatsachen zu Lasten der Palästinenser schafft und deren Staatsgründung auf ein immer niedrigeres Niveau drückt, wenn nicht gar unmöglich macht. Seit Beginn der Besatzung im Jahr 1967 hat keine einzige israelische Regierung den Bau von Siedlungen verhindert, wobei sich seit dem Friedensabkommen von Oslo 1993 die Zahl der Siedler sogar verdreifacht hat. [1] In den Siedlungen fördert der Staat die Errichtung von Wohneinheiten zu Kosten, die deutlich unter jenen im Rest des Landes liegen. Er stellt eine erstklassige Infrastruktur bereit und sorgt für Sicherheitsmaßnahmen, die ihresgleichen suchen. Auf diese Weise begünstigt er die Expansion der Siedlungen, die auch für Wohnungssuchende ohne besondere Bindung an eine ideologische Begründung und Zielsetzung der Landnahme außerordentlich attraktiv sind. Angesichts einer zunehmenden sozialen Spaltung der israelischen Gesellschaft und der Verelendung wachsender Teile der Bevölkerung verleiht die Regierungspolitik mithin den Siedlungen eine regelrechte Magnetfunktion, die dafür sorgt, daß der Zustrom an Interessenten niemals versiegt, ja im Gegenteil schon aus rein ökonomischen Gründen weiter ansteigt.

Obgleich es zutrifft, daß der harte Kern radikaler Siedler immer unverhohlener eine rassistische Doktrin propagiert und umsetzt, bedient sich das politische Establishment dieser Tendenz, indem es sie in einem Akt gezielter Verschleierung des eigenen langfristigen expansiven Entwurfs als autonomen Teil der Gesellschaft ausweist, auf dessen Interessen man Rücksicht nehmen müsse. Ungeachtet zweifellos existierender Unterschiede in den Positionen der beteiligten Fraktionen und eines nie völlig auszuschließenden Verlusts der staatlicher Steuerungsfunktionen in Folge zentrifugaler Wuchten eines ungezügelten Siedlertums samt seiner reaktionären Ideologie, gilt es doch zuallererst, dessen Verankerung in der Staatsdoktrin offenzulegen.

Der Siedlungsbau ist somit kein marginaler Auswuchs, mit dem die übrige israelische Gesellschaft wenig oder gar nichts zu tun hätte, sondern im Gegenteil untrennbar verknüpft mit ihrer Existenzweise, die auf Schritt und Tritt mit jener der Palästinenser kollidiert. Nichts könnte diesen Zusammenhang deutlicher verkörpern als die Dauerblockade des Gazastreifens und die Trennmauer im Westjordanland, die den erreichten Zugewinn auf israelischer Seite zementiert, um auf Grundlage der gewaltsamen Kompression palästinensischen Raums immer weitere Brückenköpfe in Gestalt der Siedlungen zu etablieren und auszubauen. Inzwischen leben rund 500.000 Israelis in mehr als 120 Siedlungen auf besetztem Land, wozu noch 100 sogenannte Vorposten radikaler Siedler kommen. Gemessen an der Einwohnerzahl Israels von gut 7,6 Millionen ist dies schon zahlenmäßig ein so hoher Prozentsatz, daß der Siedlungsbau unmöglich als isoliertes Phänomen behandelt werden kann.

Die Verbündeten Israels und selbst die Vereinten Nationen führen zwar fortgesetzt Versatzstücke eines Siedlungsstopps im Mund, verhängen aber keine Sanktionen, obgleich es sich beim Siedlungsbau um einen Bruch des Völkerrechts handelt. Israel ignoriert nach Belieben internationale Resolutionen und völkerrechtliche Bestimmungen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das läßt im Grunde nur den Schluß zu, daß sich nicht nur Israel und seine Regierungspolitik im allgemeinen, sondern auch sein Siedlungsbau solider Rückendeckung erfreut.

Die Argumentationskette, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu müsse um des Fortbestands seiner Koalition willen auf die Interessen der Siedler Rücksicht nehmen, weshalb die US-Regierung und die Europäer die Führung Israels zwar nachdrücklich ermahnen, aber keinesfalls massiv unter Sanktionsdruck setzen dürften, zieht den Bogen vordergründiger Propaganda auf, man müsse sich zähneknirschend mit dem radikalsten Flügel der Siedler arrangieren. Wenngleich nicht auszuschließen ist, daß die Siedlerbewegung zu einem Staat im Staate heranwächst, sollte man das Augenmerk darauf richten, wer ihr Wachstum durch unablässiges Düngen und Gießen befördert. Daß eine kleine Minderheit radikaler Siedler die waffenstarrendste Streitmacht dieser Weltregion und in der Folge die Weltmacht USA samt deren europäischen Claqueuren am Nasenring führe, ist zwar eine populäre, aber nichtsdestoweniger absurde Vorstellung.

Leidtragende sind wie immer die Palästinenser, denen man unter Krokodilstränen vorjammert, man wolle ja unbedingt mit ihnen Frieden schließen, doch seien einem leider die Hände gebunden. Wenige Minuten, nachdem das zehnmonatige Moratorium zum Siedlungsbau abgelaufen war, rief Netanjahu in einer Stellungnahme Mahmoud Abbas dazu auf, "die guten und aufrichtigen Gespräche fortzusetzen, die man gerade aufgenommen habe, um ein historisches Friedensabkommen zwischen unseren beiden Völkern herbeizuführen". [2] Über eine Verlängerung des Siedlungsstopps verlor der Ministerpräsident kein Wort, als sei es eine Zumutung, dies auch nur in Erwägung zu ziehen. An seiner statt erklärten israelische Regierungsvertreter, Netanjahu fühle sich an sein Versprechen gebunden, das Moratorium auf zehn Monate zu begrenzen. Israels Botschafter in den USA, Michael B. Oren, erklärte gar, auf diese Weise werde Glaubwürdigkeit geschaffen, die nicht nur den Israelis, sondern auch den Palästinensern zugute komme. Daß dieser Mann zu seinem Wort stehe, sei außerordentlich wichtig für den Fortgang der Gespräche.

Was es den Palästinensern nützen soll, mit einem Mann zu verhandeln, der in seiner fehlenden Kompromißbereitschaft glaubwürdig ist, kann man vernünftigerweise nicht nachvollziehen. Offenbar ist man sich der Nachgiebigkeit eines Mahmoud Abbas so sicher, daß er in dieser Machtdemonstration nur noch als Marionette vorkommt, die das von ihm angedrohte Ende der Verhandlungen nicht wahrmachen wird. Abbas will nun im nächsten Schritt die PLO und die Führer der Arabischen Liga konsultieren, um eine gemeinsame Position zu formulieren. Zwar haben Regierungsvertreter arabischer Staaten immer wieder unterstrichen, daß Siedlungsbau und Friedensverhandlungen unvereinbar seien, doch steht zu befürchten, daß sie genau wie Abbas einen Rückzieher machen.

Für die Siedler und alle Fraktionen seines Landes hatte Netanjahu lediglich die Ermahnung parat, sie sollten mit dem Ende des Moratoriums "zurückhaltend und verantwortlich" umgehen, also Provokationen vermeiden. Diese milde Aufforderung hinderte die Siedler nicht daran, den Kern der Botschaft von Regierungsseite zu verstehen und ausgiebig zu feiern. Vielerorts wurden die Baumaßnahmen unverzüglich aufgenommen, man fuhr Unterstützer mit Bussen heran, hielt flammende Reden und ließ Tausende blaue und weiße Luftballons steigen. Zehn Monate lang sei man als Bürger zweiter Klasse behandelt worden, heute fahre man damit fort, im ganzen Land Israel zu bauen, verkündete Danny Danon, der Netanjahus Likud-Partei angehört. Gershon Mesika, der einem regionalen Siedlerrat vorsteht, verkündete drohend: "Von diesem Podium aus wende ich mich an Hussein Obama und erkläre ihm, daß das Land Israel dem Volk Israel gehört." Sollten Israels Regierungschef und der US-Präsident diese expansionistische und rassistische Auffassung tatsächlich nicht teilen, wäre es höchste Zeit, solchen Bestrebungen Paroli zu bieten.

Anmerkungen:

[1] Abbas will weiter verhandeln. Palästinensischer Präsident fordert Israel zum Siedlungsstopp auf. Gespräche sollen aber in jedem Fall fortgesetzt werden (27.09.10)
junge Welt

[2] Sides Work to Save Mideast Peace Talks as Freeze Expires (27.09.10)
New York Times

27. September 2010