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NAHOST/1037: Wer destabilisiert den Libanon - Syrien oder die USA? (SB)


Wer destabilisiert den Libanon - Syrien oder die USA?

Damaskus und Washington machen sich gegenseitig Vorhaltungen


Am 29. Oktober wartete die pro-westliche libanesische Tageszeitung Daily Star mit einer interessanten Meldung aus der russischen Hauptstadt Moskau auf. Entgegen anderslautenden Gerüchten in der Presse habe das staatliche russische Waffenunternehmen Rosoboronexport offiziell erklärt, kein Abkommen mit der Regierung in Damaskus über den Verkauf einer Flotte Kampfjets vom Typ MiG-31 an die syrische Luftwaffe getroffen zu haben, so die Daily Star, die in diesem Zusammenhang von einem Deal sprach, der für Rußland "Spannungen mit den USA und Israel verursacht" hätte. Doch warum sollte er das? Schließlich hatte die Regierung Barack Obamas nur wenige Tage zuvor ohne jedwede Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Russen mit Saudi-Arabien für 60 Milliarden Dollar das größte Rüstunggeschäft aller Zeiten abgeschlossen, wozu 84 Kampfjets vom Typ F-15 gehören, weswegen auf Druck der jüdischen Lobby im Kongreß das Pentagon Israel für rund 3 Milliarden Dollar 20 hochmoderne F-35- Tarnkappenkampfflugzeuge liefern soll - mit einer Option für Tel Aviv auf den Kauf weiterer 75 -, damit dessen Luftwaffe den qualitatitiven Vorsprung gegenüber den arabischen Nachbarn aufrechterhalten könne.

Der Bericht der Daily Star ist ein gutes Beispiel, wie in der Behandlung der politischen Lage im Nahen Osten häufig mit unterschiedlichem Maße gemessen wird: die Waffenlieferungen der Amerikaner stabilisieren und sind daher zu begrüßen, während die der Russen für "Spannungen" sorgen könnten und daher irgendwie verdächtig, wenn nicht sogar verwerflich sind. Doch ein noch krasseres Beispiel der unterschiedlichen Betrachtungsweisen liefert der aktuelle Streit zwischen den USA und Syrien, die sich gegenseitig bezichtigen, den Libanon zu destabilisieren. Drohte nicht ein erneuter Ausbruch des libanesischen Bürgerkrieges wegen der Möglichkeit, das UN-Sondertribunal zum Mord an Rafik Hariri im Jahr 2005 könnte demnächst Anklage gegen mehrere Mitglieder der schiitischen Hisb Allah erheben, wäre der unsinnige Streit zwischen Damaskus und Washington fast komisch, denn schließlich mischen sich Syrien und die USA seit Jahrzehnten in die Levante ein und lassen die Menschen dort nicht allein ihre ethnischen, politischen und religiösen Dispute austragen.

Angefangen hatte der Streit mit einem Auftritt des syrischen Präsidenten Bashar Al Assad, der in einem am 26. Oktober bei der pan-arabischen Zeitung Al-Hayat die USA bezichtigte, seit Jahrzehnten in der islamischen Welt "Chaos zu verursachen". "Ist Afghanistan stabil? Ist Somalia stabil? Haben sie dem Libanon 1983 Stabilität gebracht?", so die rhetorische Frage Assads. In einer ersten offiziellen Reaktion auf die Breitseite aus Damaskus warf am 27. Oktober P. J. Crowley, Sprecher von US-Außenministerin Hillary Clinton, den Syrern vor, durch Waffenlieferungen an die Hisb-Allah-Miliz und die Anklageerhebung gegen Personen, die unter Verdacht stehen, falsche Vorwürfe in Verbindung mit dem Hariri-Mord zu erheben, "die Souveränität und Unabhängigkeit" des Libanons "direkt zu unterminieren". Crowley erklärte, die USA glaubten, daß sie in Bezug auf den Libanon eine "konstruktive Rolle" spielten, Syrien dagegen nicht.

Am 28. Oktober setzte sich der Streit vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York fort. Die US-Botschafterin Susan Rice warf Syrien vor, zusammen mit dem Iran die Destabilisierung des Libanon unter anderem durch die Belieferung der Hisb-Allah-Miliz mit immer wirkungsvolleren und zerstörerischen Waffen zu betreiben. Seinerseits wies Bashar Jaafari, der syrische UN-Botschafter, die Vorwürfe Rices als völlig aus der Luft gegriffen zurück. Jaafari verwies auf den jüngsten Bericht der UN-Friedensmission im Libanon, der keinerlei Bestätigung für die Anschuldigungen bezüglich illegaler Waffenlieferungen aus Syrien enthält.

Dafür hat es am 27. Oktober Bestätigung für die Vorwürfe Assads an die Adresse der USA gegeben und zwar aus einer Quelle, die über jeden Verdacht des Anti-Amerikanismus erhaben sein dürfte. An jenem Tag veröffentlichte die angesehene Londoner Denkfabrik Chatham House eine Studie, in der die Autorin Ginny Hill zu der ernüchternden Feststellung gekommen ist, daß die finanzielle und militärische Unterstützung Washingtons für die Regierungen im Jemen und in Somalia die Konflikte in beiden Länder eher schüre, als daß sie zu einer Befriedung der jeweils hoch komplizierten Lage führe. Sowohl im Jemen als auch in Somalia mischen sich die USA unter der Vorwand der Bekämfung des Terrorismus ein - ein Ansatz, der offenbar mit den tatsächlichen Verhältnissen in beiden Ländern nichts zu tun hat.

29. Oktober 2010