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NAHOST/1044: Enthüllungen palästinensischer Kollaboration (SB)


Unterhändler der Autonomiebehörde endgültig diskreditiert?


Als Vorposten geostrategischer Interessen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten im Nahen Osten ist Israel eine militärische, politische und ökonomische Bastion, deren Staatsdoktrin untrennbar mit den hegemonialen Ansprüchen ihrer internationalen Unterstützer verbunden ist. Wenngleich diese Speerspitze westlicher Suprematie in einem als feindlich eingestuften regionalen Umfeld eine Vorreiterrolle übernimmt, ändern mitunter zu Tage tretende partielle Widersprüche zu den Verbündeten doch nichts an dem grundsätzlichen Schulterschluß. Nur in diesem Zusammenhang ist der Nahostkonflikt in seiner Bedeutung und Tragweite angemessen zu analysieren und zu bewerten.

Die Palästinenser als unmittelbar Leidtragende dieser Konstellation sehen sich einer übermächtigen Phalanx gegenüber, die sie mit militärischen, geheimdienstlichen, ökonomischen, politischen und diplomatischen Mitteln zu unterwerfen, zu vertreiben, einzukesseln und insbesondere aller Widerstandspotentiale zu berauben sucht. Die Kriegführung der israelischen Armee, die administrative Unterjochung, die Wirtschaftsblockade und die Friedensverhandlungen sind gleichermaßen Instrumente der Drangsalierung und Erniedrigung, die parallel oder wechselweise zur Anwendung gebracht werden, um die palästinensische Position zu schwächen, zu diskreditieren und auf ein immer niedrigeres Niveau zu drücken.

Der sogenannte Friedensprozeß verlangte den Palästinensern immer weitere Zugeständnisse ab, die ausschließlich dazu führten, daß sie im wortwörtlichen und übertragenen Sinn unausgesetzt Boden verloren und bei der nächsten Verhandlungsrunde mit noch schlechteren Voraussetzungen antraten als zuvor. Wenngleich sich US-Regierungen als Vermittler in Szene setzten, fungierten sie als engste Verbündete Israels doch nie als unabhängige Instanz, sondern im Gegenteil als Sachwalter einer Scharade, welche die Palästinenser köderte, hinhielt und sie zu weiteren Kompromissen zwang.

Eine zentrale Strategie zur Schwächung der Palästinenser war stets deren Spaltung in militante und gemäßigte Fraktionen durch Druck, Unterwanderung und Bestechung, welche die Kollaboration in allen Schattierungen beförderte. Dies ging so weit, daß sich die Fatah im Machtkampf mit der Hamas von israelischen und US-amerikanischen Quellen ausbilden, finanzieren und bewaffnen ließ und geheimdienstlich mit den Israelis zusammenarbeitete. Die Repräsentanten der Autonomiebehörde verfügen über keine Legitimation und die Verhandlungsführer in den Friedensgesprächen gelten seit langem in weiten Teilen der palästinensischen Bevölkerung als diskreditiert. Die Besatzungsmacht hat sich im zersplitterten Lager der Palästinenser willfährige Fraktionen geschaffen, die sie nach Belieben vorführen, abkanzeln und in Scheinverhandlungen zermürben kann.

All das und vieles mehr dürfte jedem geläufig sein, der sich mit dem Verlauf des Nahostkonflikts befaßt hat. Was die britische Zeitung "The Guardian" daher als die "größte Enthüllung von Geheimdokumenten in der Geschichte des Nahostkonflikts" präsentiert, fördert weder wirklich Überraschendes zu Tage, noch läßt sich daraus die Notwendigkeit eines grundsätzlichen Kurswechsels ableiten. Wer sich in dieser Widerspruchslage auf die Seite der weitaus schwächeren Partei stellt, wie dies schon die Humanität gebietet, bedarf keiner enthüllungsjournalistischen Begründung.

Dies vorausgesetzt, kann das nun sukzessive veröffentlichte Material durchaus dazu beitragen, die Positionierung in diesem Konflikt zu bestärken und zur Nachdenklichkeit anzuregen, wo bislang Desinteresse oder Gleichschritt mit der politischen und medialen Meinungsführerschaft das Feld beherrschten. Da wie bei allen Enthüllungen ein Außenstehender nie mit Sicherheit wissen kann, aus welchen Quellen das dargebotene Material stammt, gilt es die Frage zu präzisieren, wem dessen Veröffentlichung letzten Endes nützt.

Sowohl der Guardian als auch der arabische Nachrichtensender Al Jazeera wollen Tausende Geheimdokumente der Nahostfriedensverhandlungen veröffentlichen, die über die nachgiebige Position der Palästinenser Auskunft geben, die in den Verhandlungen für eine Zweistaatenlösung mit Israel zu erschreckend weitreichenden Zugeständnissen bereit gewesen sein sollen. Die Gesprächsprotokolle, E-Mails und Karten der palästinensischen Behörden umfassen einen Zeitraum von zehn Jahren und reichen von den Verhandlungen im Jahr 2000 in Camp David zwischen dem damaligen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat, dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak und US-Präsident Bill Clinton bis hin zu inoffiziellen Gesprächen im vergangenen Jahr, an denen Vertreter der Regierung von US-Präsident Barack Obama teilgenommen haben sollen. [1]

Deutlich wird dabei nach Angaben des Guardian die Schwäche und zunehmende Verzweiflung der Palästinenserführung, die unnachgiebige Verhandlungsposition der Israelis und die herablassende Haltung der US-Politik gegenüber den palästinensischen Vertretern. Wie erste Auszüge aus den insgesamt 1600 vertraulichen Aufzeichnungen zeigen, stellten die palästinensischen Unterhändler selbst das Rückkehrrecht der rund fünf Millionen palästinensischen Flüchtlinge und den künftigen Status Jerusalems zur Disposition. Damit gaben sie hinter verschlossenen Türen die beiden zentralen Positionen preis, auf die die gesamte arabische Welt stets größten Wert gelegt hat. Demnach waren die Verhandlungsführer bereit, die Annexion der von Israel besetzten Gebiete in Ost-Jerusalem sowie der in der Altstadt gelegenen heiligen Stätten des Islam anzuerkennen. Zeitweise war zudem ein Tausch des arabischen Viertels Sheikh Jarrah in Ost-Jerusalem gegen Land an anderer Stelle und sogar die Dreingabe des Tempelbergs im Gespräch. "Dies ist das erste Mal in der Geschichte, das wir einen solchen Vorschlag machen", wird der Chefunterhändler der Palästinenser, Sajeb Erakat, zitiert, der die Teilung der Altstadt Jerusalems im Jahr 2008 vorgeschlagen haben soll.

Obgleich sich die palästinensischen Verhandlungsführer damit geradezu erniedrigten und in krassem Widerspruch zu ihren öffentlichen Äußerungen handelten, wiesen sowohl Israel als auch die USA diese Angebote als "unzureichend" zurück. Sie monierten, daß weder Har Homa noch Siedlungen nahe der Stadt Ma'ale Adumin oder Siedlungen wie etwa Ariel mitten im Westjordanland einbezogen waren. "Wir mögen diese Vorschläge nicht, denn sie entsprechen nicht unseren Forderungen", soll die damalige israelische Außenministerin Tsipi Livni den Palästinensern gesagt haben.

Nicht minder beschämend wie die Nachgiebigkeit der palästinensischen Unterhändler in Kernfragen ist ihre unterwürfige Haltung in Gesprächen, die auszugsweise wiedergegeben werden. Er würde für sie stimmen, soll der damalige Verhandlungsführer Ahmed Qureia (Abu Ala) der israelischen Außenministerin Tsipi Livni bei Gesprächen im King-David-Hotel in Jerusalem im Juni 2008 gesagt haben, als sie sich auf parteiinterne Wahlen der Kadima vorbereitete. Noch anpaßlerischer agierte Mahmoud Abbas (Abu Mazen), den Ariel Sharon im Juni 2005 in seine Residenz zitierte, um ihm zu befehlen, die "terroristische Infrastruktur" der Hamas und des Islamischen Dschihad zu zerschlagen. Abbas soll damals hocherfreut gewesen sein, daß Sharon ihn als Freund betrachtete, was auch umgekehrt galt. "Jede Kugel, die auf Israel abgefeuert wird, zielt gleichermaßen auf die Palästinenser", soll er damals gesagt haben. Im März 2008 begrüßte Qureia US-Außenministerin Condoleezza Rice mit den Worten, mit ihrer Ankunft kehre das Leben in die Region zurück. [2]

Chefunterhändler Saeb Erekat beklagte sich gar im Oktober 2009 bei Obamas Nahostbeauftragten George Mitchell in Washington mit den entlarvenden Worten, die Amerikaner wüßten nach neunzehn Jahren voller Versprechen immer noch nicht, was sie mit den Palästinensern machen sollten. Diese hätten alle Bedingungen der road map erfüllt. (...) "Aber nein, sie sind nicht einmal zu einem sechsmonatigen Baustopp bereit, um mir ein Feigenblatt zu geben." Im Januar 2010 erklärte Erekat dann David Hale aus dem US-Außenministerium, er habe Israel "das größte Jerushalajim der jüdischen Geschichte angeboten, (wobei er sogar den hebräischen Namen Jerusalems verwendete), eine symbolische Zahl heimkehrender Flüchtlinge und einen demilitarisierten Staat. (...) Was kann ich denn noch mehr geben? (...) Wozu bin ich nütze, wenn ich mich vor meiner Frau lächerlich mache, weil ich so schwach bin?"

Im Mai 2008 soll der folgende Wortwechsel zwischen Erekat und Livni stattgefunden haben: "Wenn jederzeit eure Kampfjets an meinem Himmel kreisen und eure Armee auf meinem Territorium auftauchen kann - habe ich denn eine Wahl, wie ich meine Verteidigung nach außen sicherstelle? "Nein", erwiderte Livni. "Um deinen Staat zu schaffen, mußt du zuvor mit Israel übereinstimmen, daß du hinterher kein Recht mehr hast zu wählen."

Anmerkungen:

[1] Geheimdokumente. Palästinenser wollten Ost-Jerusalem aufgeben (24.01.11)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-01/al-dschasira-geheimdokumente

[2] Palestinian leaders weak - and increasingly desperate (23.01.11)
http://www.guardian.co.uk/world/2011/jan/23/palestine-papers-power-weakness-negotiations

24. Januar 2011