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NAHOST/1053: Libyen in Flammen - der alte Gaddhafi ist wieder da (SB)


Libyen in Flammen - der alte Gaddhafi ist wieder da

Der Westen gibt sich von seinem Partner in Tripolis schwer enttäuscht


In Libyen ist der Bürgerkrieg voll ausgebrochen. Ausländer versuchen verzweifelt zu fliehen bzw. werden von ihren Regierungen ausgeflogen. Zwar ist die Nachrichtenlage sehr unübersichtlich, doch Schätzungen zufolge sollen bereits mehrere Hundert, wenn nicht sogar mehr als Tausend Menschen den Aufstand gegen die Regierung Muammar Gaddhafis mit dem Leben bezahlt haben. Im Osten des Landes haben Regimegegner bereits die Macht übernommen. In der im Westen liegenden Hauptstadt Tripolis gibt sich Gaddhafi ungeschlagen. In einer bluttriefenden, spektakulären Fernsehrede ist der 69jährige, selbsternannte Revolutionsführer am Abend des 22. Februar wieder zu alter Hochform aufgestiegen, hat die eigenen Anhänger aufgerufen, seine Gegner, die er als "Ratten" und "drogenschluckende Jugendliche" beschimpfte, totzuschlagen, und die USA, den arabischen Nachrichtensender Al Jazeera und die islamistische Söldnertruppe Al Kaida für die Unruhe in seinem Land verantwortlich gemacht. Er kündigte an, bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen und gegebenfalls als "Märtyrer" zu sterben. Der EU drohte er, Libyen in ein zweites Somalia, diesmal am Mittelmeer, zu verwandeln.

Über den Auftritt Gaddhafis herrschte in Medien und Politik blankes Entsetzen. Besonders in den USA und in Europa empfand man eine gewisse Undankbarkeit, daß Gaddhafi, den man seit seinem Verzicht 2003 auf Atomwaffen wieder in die "internationale Gemeinschaft" aufgenommen hatte, damit sein Land Öl und Gas im großen Stil exportieren und die afrikanischen Wirtschaftsflüchtlinge vor Erreichen der Mittelmeerküste abfangen konnte, wieder den verrückten Diktator heraushängen ließ. Für das Entsetzen westlicher Staatsmänner und -frauen angesichts des geistig instabilen Eindrucks, den Gaddhafi bei seiner Rede hinterließ, gibt es allen Grund, bedenkt man das Leid und das Chaos, das dieser Psychopath gerade verursacht und noch verursachen könnte. Doch Unschuldsmienen und moralische Zeigefinger sind fehl am Platz. Denn Gaddhafi war schon immer eine Marionette des Westens, nicht erst als er sich gemäßigt gab, sondern auch als er während der Ära von Ronald Reagan als unerschrockener Kämpfer für die arabische Sache posierte.

Unvergessen bleibt die Konfrontation Mitte der achtziger Jahre zwischen den USA und Libyen, als Reagan die sechste US-Flotte in den Golf von Sirtre fahren und dabei zwei libysche Kampfjets abschießen ließ. Zuvor hatten die US-Geheimdienste über die leichtgläubige Presse Amerikas das Märchen in Umlauf gebracht, Gaddhafi hätte ein Killerkommando nach Washington entsandt, um den US-Präsidenten umzubringen. 1986 versuchte die US-Luftwaffe mit einem großangelegten Bombenangriff auf Tripolis Gaddhafi zu beseitigen, tötete statt dessen seine Tochter und Dutzende Unschuldige. Zur Begründung des völkerrechtlich umstrittenen Luftangriffs führte Washington den kurz zuvor erfolgten Bombenanschlag auf die von US-Soldaten in Berlin frequentierte Diskothek La Belle an, der drei Menschen das Leben gekostet hatte. Bis heute steht der Beweis für die Verwicklung Libyens in jenen Anschlag - angebliche Funksprüche zwischen Tripolis und der libyschen Botschaft in Berlin - unter dem Verdacht, das Ergebnis einer geheimdienstlichen Fälschung, an der der israelische Mossad beteiligt gewesen ist, zu sein.

Jahrelang galt Gaddhafi als Hauptsponsor des internationalen "Terrorismus". Selten wurde jedoch in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß es zwei Ex-CIA-Männer, Ed Wilson und Frank Terpil, waren, die Mitte der siebziger Jahre sieben ehemalige Offiziere der US-Spezialstreitkräfte nach Libyen geholt hatten, um besagte "Terroristen" auszubilden. Zu diesem Zweck haben Wilson und Terpil 20 Tonnen des Plastiksprengstoffs C4 - was damals einer ganzen Jahresproduktion dieses Teufelszeugs in den USA gleichkam - nach Libyen exportiert. Anfang der achtziger Jahre, als Wilson deshalb in den USA der Prozeß gemacht wurde, behauptete er, die ganze Operation sei mit der Segnung der CIA erfolgt. Das Gericht hat ihm aber nicht geglaubt, weil die damalige CIA-Führungsriege unter Eid jede Verwicklung der "Agency" in die Sache bestritt, sondern ihn zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Von den Medien kaum beachtet, kam Wilson 2003 wieder frei, nachdem seine Anwälte bewiesen, daß die damaligen Entlastungszeugen für die CIA allesamt Meineid begangen hatten und daß der zu Unrecht Verurteilte sehr wohl im Auftrag Langleys das Terrorgeschäft mit Gaddhafi betrieben hatte.

Ähnlich unappetitlich ist der Fall Lockerbie, der schwerste Terroranschlag der europäischen Geschichte, für den Gaddhafi seit Jahren veranwortlich gemacht wird. Nach Meinung unabhängiger Experten war es eine palästinensische Gruppe, das PFLP-GC, welche im Auftrag des Irans per Bombe den Pan-Am-Jumbo "Maid of the Seas" am 20. Dezember 1988 über dem schottischen Ort Lockerbie zur Explosion brachte. Es kamen dabei 259 Insassen der Maschine sowie 11 Bewohner Lockerbies, die von herunterfallenden Trummerteilen getötet wurden, ums Leben. Um aus den internationalen Handelssanktionen herauszukommen, hat Gaddhafi 1999 den libyschen Geheimdienstmann Abdel Barsit Al Megrahi an ein schottisches Sondergericht in den Niederlanden ausgeliefert. El Megrahi wurde zwei Jahre später ungeachtet der extrem dürftigen Beweislage schuldig gesprochen und zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. 2008, als das inzwischen an Krebs erkrankte "Bauernopfer" des ganzen Lockerbie-Komplexes kurz davor stand, in Schottland einen neuen Prozeß zugesprochen zu bekommen, der seine Unschuld bewiesen und die Unregelmäßigkeiten des ersten Verfahrens für die ganze Welt sichtbar gemacht hätte, wurde er schnell aus medizinischen Gründen nach Libyen abgeschoben. Angesichts solcher Verwicklungen wird vermutlich niemand Gaddhafi nach seinem baldigen Sturz und eventuellen Tod eine Träne nachweinen. Hinter den zu erwartenden Ausdrücken der allgemeinen Erleichterung und Zufriedenheit seitens des Westens wird sich jede Menge schlechtes Gewissen verbergen.

23. Februar 2011